Schimmel und Himmelbett gegen die Eintönigkeit

Viele Augsburger Studenten entscheiden sich für ein Leben in der WG – Zwischen Bierkästen und Kompromissen

Von Jannina Jessen

Viele Augsburger Studenten entscheiden sich für ein Leben in der WG – Zwischen Bierkästen und Kompromissen

Ich stehe vor einer Tür mit blau eingefärbten Gläsern. Mein Kommilitone Felix öffnet mir verschlafen. Es ist viertel nach zwei nachmittags. Nur einer seiner drei Mitbewohner ist da, die Tür zu seinem Zimmer steht offen, er sitzt am Schreibtisch, ich grüße und folge Felix in die Küche. Es riecht nach kaltem Rauch. Auf dem Weg durch den Flur scanne ich die Wohnung. Überall hängen Poster, Postkarten, Schilder, Flaggen, so dass man die Farbe der Wand nicht eindeutig ausmachen kann. In der Küche stapelt sich das dreckige Geschirr. Felix sucht nach einem Messer und wäscht es ab, er will frühstücken. Anschließend holt er Marmelade aus dem Kühlschrank: „Mhhh, lecker!“ Das Glas muss erst abgewischt werden, es klebt – aus unerfindlichen Gründen. Es gibt sie also doch: die typische Studenten-WG. Alle Klischees scheinen sich zu bestätigen: Schimmel im Kühlschrank, dreckiges Geschirr, das sich in der Spüle stapelt und laut dröhnende Musik, wenn man eigentlich lernen will. Doch entsprechen die WG-Vorurteile der Realität und sollte man sich wirklich lieber gleich einen Wohnheimsplatz suchen oder sich alleine ein Zimmer nehmen, wenn man in eine fremde Stadt zieht? Oder gibt es Wohngemeinschaften, in denen es ganz anders aussieht?

Ruhe, Ordnung, Sauberkeit: Glücklich in Göggingen

Wenn Marius, Markus und Andi nach einem neuem Mitbewohner suchen, dann sollte er oder sie vom Charakter her passen, aber vor allem ordentlich sein, nicht in einem Saustall hausen und außerdem nicht rauchen. „Wir sind ein Regelhaushalt, wenn jemand seine Ruhe haben will, hat das absolute Priorität. Darauf müssen die anderen Rücksicht nehmen. Wenn wir laut sind, dann sind wir es gemeinsam. Sauberkeit ist uns allen wichtig, jeder muss zusehen, dass er seinen Kram wegräumt“, erklärt Marius. Wir sitzen in der Küche, kein schmutziges Geschirr, kein überquellender Mülleimer, alles ist frisch geputzt. Marius, Markus und Andi studieren alle drei BWL an der Uni Augsburg und wohnen seit ungefähr einem Jahr zusammen in Göggingen. Ihnen ist die Nähe zur Uni wichtig, Zentrumsnähe ist ihnen egal. Kennen gelernt haben sie sich in Violau, der Erstsemester-Hütte der beiden Hochschulgemeinden. Nachdem alle drei mit ihrer Wohnsituation unzufrieden waren, beschlossen sie nach einem Jahr, eine WG zu gründen. „Ich war froh, endlich aus dem Studentenwohnheim ausziehen zu können. Es war eintönig und ich fühlte mich auf 15 Quadratmetern total beengt“, erzählt Marius. Auch Markus und Andi sind mit ihrer jetzigen Wohnsituation weitaus zufriedener als zuvor. Beide wohnten zur Untermiete, Andi alleine und Markus in einem Zimmer bei Leuten, die er nicht kannte und die undurchsichtigen Geschäften nachgingen. Andi hat das größte Zimmer in der WG und zahlt trotzdem fast 100 Euro weniger als für das Zimmer, indem er allein wohnte. Auch für Markus kommt die WG günstiger als seine Untermiete.

Einrichtung aus dem Altenheim

Für viele andere Studenten ist die Kostenersparnis aber nicht der Grund, in eine WG zu ziehen. Ich besuche meinen Kumpel Jan, den ich noch aus meinen Wohnheimszeiten kenne. Kürzlich traf ich ihn in der Uni, und er erzählte mir, dass er aus dem Wohnheim ausgezogen sei und seine eigene WG am Roten Tor gegründet habe. Er hat schon seit längerem von diesem Plan geredet, ihn nun aber endlich auch in die Tat umgesetzt. Ich drücke den Klingelknopf – ein Namensschild fehlt. Zum Glück ist jemand da. Ich komme unangekündigt. An der Wohnungstür im vierten Stock steht Jan. Was ich beim Eintreten erblicke, verschlägt mir die Sprache. Es erstreckt sich ein weitläufiger Flur mit frisch verlegtem Parkettboden.
Von der Einweihungsparty ist nichts mehr zu sehen, als die gestapelten Bierkästen auf dem Balkon. Dass in dieser Wohnung vier Studenten wohnen, ist unfassbar. Riesige Zimmer, große Küche plus separatem Wohnzimmer und ein lichtdurchfluteter Flur. Doch das alles hat seinen Preis. Jan wohnte bis vor kurzem im mit Abstand teuersten Wohnheim Augsburgs. In seiner WG zahlt er noch mehr Miete. „Ich wollte endlich Platz, hohe Decken und außerdem ist alleine wohnen langweilig. Man muss immer alles alleine sauber machen, muss alleine fernsehen, alleine essen. Das WG-Leben ist viel angenehmer. Wenn man seine Ruhe haben will, macht man die Tür zu. Es gibt immer was zu essen, es ist lustig und man hat ne Art Ersatzfamilie“, rechtfertigt Jan die hohen Kosten. Gespart wird dafür bei der Möblierung, das Altenheim ist gleich nebenan. „Sponsored by death“, erklärt Jan.
Gerade letztgenannter Punkt ist bei der Entscheidung, in eine WG zu ziehen, ausschlaggebend. So war es auch bei Felix: „Wenn du in einer WG wohnst, fällt dir nicht so leicht die Decke auf den Kopf. Da ist immer irgendwer zu Hause, mit dem du reden kannst.“ Er ist zufrieden mit seiner Entscheidung: „Wenn man merkt, dass man sich sympathisch ist und es einfach passt, dann geht das auch gut. Wichtig ist, dass man Probleme anspricht, wenn einen etwas stört.“

Amerikanische Frauen im besten Alter

Britta ist es da anders ergangen. Auch sie ist zu Beginn ihres Studiums in eine WG gezogen. Am Anfang gab es keinerlei Probleme mit ihrer 43-jährigen amerikanischen Mitbewohnerin. Doch Britta ist mittlerweile der Meinung: „Ob es gut geht, wenn man mit jemandem Fremden zusammenzieht, kommt auf alle Beteiligten an.“ Bei ihnen ist es nicht gut gegangen. Die beiden haben sich verkracht und leben nur noch aneinander vorbei: „Im Moment ist bei unserem täglichem Zusammenleben wichtig, dass wir uns nicht sehen.“ Britta hofft nun, dass ihre Mitbewohnerin bald auszieht und zurück nach Amerika geht. Sie hängt an der Wohnung und hat keine Lust, noch einmal umzuziehen. Dieses Horrorszenario bestätigt ein weiteres Klischee: Wenn man nicht zusammen passt, wird das Leben in einer WG zur Hölle. Trotz Brittas schlechter Erfahrung würde sie immer wieder in eine WG ziehen: „Es ist interessant, mit anderen Leuten zusammenzuwohnen. Man lernt voneinander; man lernt, zu teilen und Rücksicht zu nehmen. Das kann einen nur weiterbringen.“

Familienidylle: Drei Rasierer in der Dusche

Anna, Karin und Sophie sind von dem Leben in einer WG begeistert. Die drei Mädels wohnen in der Nähe der City-Galerie. Im WG-Flur steht ein kleiner Tisch mit Spiegel, den Küchentisch ziert liebevoll eine Decke und in der Dusche kleben drei Rasierer, hier wohnen nur Frauen. Die drei sind wie eine kleine Familie, vom erwarteten Zickenterror ist nichts zu spüren: „Uns ist es wichtig, dass wir zusammen essen, wir pflegen unsere Gemeinschaft, in dem wir uns umeinander kümmern. Jeder ist aufmerksam und denkt an den anderen“, erklären Karin und Sophie. Alles ist sehr ordentlich und die Zimmer sind keineswegs spartanisch oder provisorisch eingerichtet, sondern mit sehr viel Mühe – sehr unstudentisch und sehr schön. Und doch findet sich ein kleiner Hinweis auf eine Studenten WG: Der aus Bierkästen zusammengebaute Beistelltisch. Aber selbst das ist kreativ.

Fremde Haare und leere Kühlschränke

Auch wenn einen die Haare des Mitbewohners im Waschbecken manchmal nerven, und ständig der Lieblingsjoghurt im Kühlschrank geplündert wird, ist das WG-Leben für Studenten eine sinnvolle Alternative zum Wohnheim oder der Single-Wohnung. Man sollte sich durch die typischen Klischees und Vorurteile nicht abschrecken lassen, denn so verschieden die Studenten sind, so verschieden sind auch die Wohngemeinschaften. Rücksichtsnahme und Toleranz sind in einer WG Pflicht, aber wenn es nach Britta geht, dann „macht man das gerne, dann ist es ein Gewinn und keine Einschränkung“. Besonders wenn man mit Amerikanerinnen in den besten Jahren zusammenlebt.

Der Weg zur WG

WG finden:

>> www.wg-gesucht.de
>> www.studenten-wg.de
>> www.wg-welt.de
>> Aushänge an den Schwarzen Brettern der Hochschulen beachten
>> Annoncen in der Neuen Szene
>> Fachschaftsseite

WG aufmachen:

>> www.immobilienscout24.de
>> www.studentenwohungen.de
>> Wohnungsmarkt mittwochs und samstags in der Augsburger Allgemeinen auch online auf der AZ Seite www.augsburgerallgemeine.de/immoboerse
>> Den Vermieter sofort fragen, ob er überhaupt an WGs vermietet
>> Von den Eltern eine Bürgschaft besorgen
>> Alle Mieter als Hauptmieter eintragen lassen, dann hat jeder die gleichen Rechte und Pflichten

WG einrichen:

>> IKEA in Ulm oder München
>> Sperrmüll (Augen offen halten auf den Straßen)
>> Altenheim am Roten Tor (dort werden öfters Wohnungen aufgelöst – hohe „Auszugs“rate!)
>> Segmüller, Augsburger Str. 11, 86316 Friedberg
>> Hiendl, Unterer Talweg 49, 86179 Augsburg (Haunstetten)
>> Secondhand Möbel bei Contact in Augsburg e.V., Gärtnerstraße Ecke Friedberger Straße sowie Herrenbachstraße 5 und Hochstiftstraße 40
>> Bauhaus, OBI, Praktiker (selber bauen ist immer noch die günstigste Variante)

Esoterik-Tanten und Nachhausefahrer: Nachgefragt

Was ist euer WG Motto?
– Prosecco für alle!
– Vermieter sagt, dass wir ein „Haus mit Niveau“ sind…

Habt ihr bestimmte Auswahlkriterien für neue Mitbewohner?
– Leute im Anzug, BWLer, Münchner, Nachhausefahrer, Esoterik-Tanten und Bayern kommen uns nicht ins Haus!
– Geiles Aussehen und muss gern putzen.

Wenn etwas nicht klappt, wie löst ihr das Problem?
– Bis jetzt haben wir uns noch nicht gekloppt.

Was ist dir beim täglichem WG Leben wichtig?
– Dass wir uns nicht sehen, weil wir uns annerven, obwohl ich will sie ja nerven, damit sie schnell abhaut.

Was würdet ihr an eurer WG ändern?
– Wir hätten gern mehr männlichen Besuch…
– Wir hätten gern eine Dachterrasse, einen Pool, ein geiles Wohnzimmer und gleich große Zimmer…
– Die antibayerische Grundeinstellung.

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