Diplom mit 75

Uni: Eine seltene Spezies macht mobil

Ab und zu treffen wir sie allein, oftmals aber auch in Gruppen an. In den Hörsälen fallen sie nicht nur durch schlohweißes Haupthaar auf. Wir Jung-Studenten bekommen sie immer nur von hinten zu sehen, weil sie uns immer die beliebten Plätze in den ersten Reihen streitig machen. Wenigstens fühlen sich die Dozenten somit nicht ganz so allein an ihrem Rednerpult. Denn sie können jederzeit in wache, aufmerksame Gesichter blicken.

Von Ramona Feilke

Besonders beliebt bei den Gasthörern sind die Fächer Geschichte, Kunstgeschichte, Philosophie und Theologie, weiß Renate Wieser von der Studentenkanzlei der Uni Augsburg. In der letztjährigen Kunstgeschichte-Vorlesung stellten die Gasthörer sogar die Hälfte des Publikums! Solange die Teilnehmerzahlen nicht begrenzt sind, können sie an sämtlichen Lehrveranstaltungen nicht zulassungsbeschränkter Studiengänge teilnehmen. Im Sommersemester 2005 waren laut Wieser 99 Gasthörer eingeschrieben, im Wintersemester 2005/06 stieg ihre Zahl auf 116. Der Durchschnittsgasthörer ist Rentner, erscheint mit beständiger Regelmäßigkeit und ist zu 60 bis 70 Prozent männlich, berichtet Klaus Prem, Pressesprecher der Uni Augsburg. “Sieben von zehn haben Abitur, viele auch einen Hochschulabschluss”, ergänzt Wieser.

Geistige Herausforderungen in der Cafete

Gespräche zwischen Jung und Alt entstehen jedoch nur selten. Meist wird Distanz gewahrt. Schade eigentlich, sind die meisten Gasthörer doch genauso nett wie unsere Omas und Opas. Und Seminarplätze wegschnappen? Das wollen die wenigsten! Dies meint zumindest Brunhild Grüner* aus Augsburg, die häufig Vorlesungen besucht – „Seminare, nur wenn a Platz ist“. Die 60-jährige frühere Grundschullehrerin widmet sich seit vier Semestern verstärkt der Kunstgeschichte. Am Augsburger Campus schätzt sie vor allem die historischen Ringvorlesungen, die Bibliothek und die Alte Cafete, in der sie gern „mal einen Kaffee trinken“ geht. Ein Ort zum Kontakte knüpfen ist die Alte Cafete für Dr. Wolfgang J. Fröbel. „Ab und zu setze ich mich in die Cafete, und da kommt man schon mal ins Gespräch.“ Mit jungen Studenten wohlgemerkt. Der 64-jährige frühere Chirurg aus Buchloe absolviert an der Uni Augsburg gerade sein Zweitstudium in Geschichte, Kunstgeschichte und Europäischer Ethnologie. Ein Kollege, ein Internist aus Bad Wörishofen, ist derzeit als Gasthörer für Geschichte eingeschrieben. Die beiden Mediziner wollen ihr Wissen auffrischen und Zusammenhänge erkennen, die sich vielleicht ergeben. Außerdem will Wolfgang Fröbel „die Zeit nutzen“: Tatenlos und ohne jede geistige Herausforderung zuhause sitzen, ist nichts für ihn. Besonders freut er sich auf die Teilnahme an Exkursionen in diesem Sommersemester. So könnte es für ihn zum Beispiel nach Nürnberg gehen.

Geschichtskurs als Flashback

Der ehemalige Verwaltungsbeamte Siegbert Sasse* aus Kissing erzählt begeistert von seinem dritten Frühling als Student. Er ist vor allem an Alter Geschichte, Kunstgeschichte und der Zeit des Nationalsozialismus interessiert. Das bedeutet für ihn immer auch ein Stück weit Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit. Denn da kommen Erinnerungen an die Besetzung seiner Heimat, des Sudetenlandes, an die Vertreibung, die Hitlerjugend und andere Nachkriegserlebnisse zurück. Ins Schwärmen gerät der Pensionär, als er von einer dreitägigen Seminarfahrt erzählt. Er hatte Glück und konnte mit, da noch ein Platz frei war. Besonders schätzt er aber den moderaten Preis seiner Fortbildungsstätte: “Gasthörer sein ist doch billiger als Kurse an der Volkshochschule.”

(* Namen von der Redaktion geändert.)

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