Homo-Szene in Augsburg – So was gibt’s hier nicht

Die unerträgliche Seichtigkeit des Schwulseins in der drittgrößten Stadt Bayerns

Junge Homosexuelle haben es in Augsburg nicht eben leicht. Die Reichweite der Szene ist begrenzt, die Akzeptanz in der Bevölkerung ebenfalls. Gegen die Eintönigkeit der 260.000-Seelen-Gemeinde in Sachen Schwulenkultur hilft die rosaroteste Brille nichts. Möglichkeiten, auf Gleichgesinnte zu treffen, gibt es dennoch. Ein Einblick in das Leben von fünf Augsburger Studenten.

Nase voll von Klischees

„Guck mal, Alex, wie findst’n meine neue Jeans?“ Solche Fragen kann Alex (24) schon nicht mehr hören. Das Klischee vom persönlichen Modeguru, dessen Rat es in Klamottenfragen unbedingt einzuholen gilt, sitzt fest – zumindest in den Köpfen einiger Kommilitoninnen. Schließlich ist er schwul. Da muss er doch wissen, was hip ist. Mit Schwulen-Klischees – wenn auch mit ganz anderen – haben auch Hagen (22) und Sebastian (23) vom AStA-Schwulenreferat zu kämpfen. In einem mit Sesseln, Ordnern und anderem Kram vollgestopften Hinterzimmer in der Uni halten sie einmal die Woche ihre Sprechstunde ab.

Von Marie-Sophie Seng

Wer sich outen oder selbst im Referat mitarbeiten möchte oder einfach nur den Kontakt mit Gleichgesinnten sucht, kann vorbeikommen. „Naja, so groß, dass wir uns kaum noch retten könnten, ist der Andrang nicht gerade“, sagt Hagen mit einem Augenzwinkern. „Viele trauen sich nicht mal, vor unserem Brett stehen zu bleiben, aus Angst, als schwul abgestempelt zu werden“, ergänzt Sebastian. „Wie soll sich da jemand in die Sprechstunde verirren?“ Was für Außenstehende in Zeiten von Gleichstellungsparagrafen und Homo-Ehe zunächst bizarr anmutet, ist in Augsburg Realität.
Laut offiziellen Schätzungen sind zwischen fünf und zehn Prozent der Bevölkerung homosexuell. In Augsburg müssten das also 13.000 bis 26.000 Menschen sein. „Wo zum Teufel sind die?“, fragt sich Alex. Beim Christopher Street Day (CSD) waren letztes Jahr wahrscheinlich mehr Hetero- als Homosexuelle anwesend, berichtet der Soziologie-Student. Ähnliche Beobachtungen hat auch Marco (26) gemacht. Die Schwulenszene in Augsburg? Marco schaut mich mit großen, fragenden Augen an – gerade so, als hätte ich mich nach seiner letzten Mondlandung erkundigt. „Nein, so was gibt’s hier glaub ich nicht. Vielleicht hab ich ja was verpasst. Schließlich wohne ich erst seit drei Jahren hier.“

Flirten per Mausklick: Das „schwule Einwohnermeldeamt“

Meine Feldforschungen ergeben, dass Marco durchaus nichts verpasst hat. In der Tat ist die Augsburger Weggehlandschaft für junge Homosexuelle ein spärlich besätes Feld. Viele Schwule nehmen am Wochenende den Weg nach München auf sich, um dem Kleinstadt-Mief zu entgehen und in größeren Clubs ein bisschen Anonymität zu genießen. Solche Lokalitäten sind nun mal die einzige Möglichkeit, Gleichgesinnte kennen zu lernen. Früher war das zumindest mal so. Heute besteht eine weitere Möglichkeit, die immer häufiger genutzt wird – wie sollte es anders sein – im Internet. Allein in Deutschland hat die Internetplattform GayRomeo über 217.000 User. Inzwischen hat sie sich bei jungen Schwulen als gängiges Medium etabliert. Ohne den heimischen Schreibtisch zu verlassen, kann man hier schnell und vor allem selektiv neue Leute mit ähnlichen Interessen kennen lernen, egal ob man das schnelle Vergnügen, die Liebe fürs Leben oder einfach nur einen Kumpel zum Weggehen sucht. Und wer sich selbst ein Profil mit seinen Eigenschaften (Kategorien sind beispielsweise Körpergröße, Gewicht, Behaarung und auch das Format des besten Stücks) anlegt, kann natürlich auch gleich online mit anderen chatten. Das „schwule Einwohnermeldeamt“ bietet für jeden etwas. Warum dann überhaupt noch weggehen, wenn doch alles scheinbar so einfach ist, möchte man fragen. Andi (25) fallen genügend gute Gründe ein, auf konventionelle Mittel der Kontaktaufnahme zurückzugreifen: „Eigentlich gefällt mir das gar nicht, diese virtuellen Wege zu nutzen. Viele suchen sich da einfach ein hübsches Gesicht raus, das sie dann anschreiben und mit dem sie was trinken gehen. Das ist doch total oberflächlich. Aber angesichts der Situation in kleineren Städten ist man schon fast gezwungen, diese Art von Doppelexistenz zu führen.“

Die Augsburger Schwulenszene: “Ihr seids doch Heten, oder?”

Trotzdem geht auch Andi etwa zweimal im Monat „schwul“ weg. Bei näherem Hinsehen lassen sich nämlich auch in Augsburg ein paar lohnende Events für Homosexuelle ausmachen – die Gays-, Lesbian & Friends-Discoparty im Kerosin zum Beispiel. Ich gehe als „Friend“ und bin angenehm überrascht. Eigentlich eine ganz normale Party. Die Leute sehen halb so flippig aus wie erwartet, die Musik ist tanzbar, der Laden zum Bersten voll. Und doch ist irgendwas anders. Auf dem Weg zur Toilette werden meine Freundin und ich von einem rockig aussehenden Mitt-Vierziger mit Glatze angehauen: „Hey, ihr seids doch Heten, oder?“ Ja, das sind wir. Woher weiß er das nur? Steht das irgendwo in unsere Gesichter geschrieben? Wahrscheinlich war die Frage gar nicht böse gemeint, aber plötzlich kann ich erahnen, was mit dem Begriff „Brandmarkung“ gemeint ist. Alex hat schon schlimmere Varianten dieser Art von Intoleranz erlebt. Weil er nicht aussieht wie ein Klischee-Schwuler, wurden er und seine Freunde bei homosexuellen Events schon häufiger für heterosexuell gehalten und entsprechend dumm angequatscht. So gelangt auch die schwule Toleranz mitunter recht schnell an ihre Grenzen.

Weder Fisch noch Fleisch

Ähnliche Probleme machen sich auch bei der Organisation schwuler Events bemerkbar. Früher hat das Schwulenreferat bei der Organisation des CSD mitgemacht. Das Augsburger Cliquenwesen kann solch ehrenamtliches Engagement allerdings ganz schön vermiesen. „Da wollte ein Grüppchen dem anderen eins auswischen und hat nur deshalb den CSD-Termin eine Woche früher angesetzt als vorgesehen. Auf derlei Kindergartenspielchen hatten wir einfach keine Lust mehr.“, sagt Hagen. Auch an der Uni herrscht alles andere als Geschlossenheit. Sogar in seiner viel kleineren Heimatstadt Kempten sei die Szene in sich geschlossener und daher leichter zu erreichen, behauptet Sebastian, ganz zu schweigen von Städten wie Berlin oder Köln. Vielleicht ist es gerade das Problem einer mittelgroßen Stadt wie Augsburg, nicht Fisch noch Fleisch zu sein. Den Schwulen zwar weniger Möglichkeiten zu bieten als eine Metropole, aber doch genug, damit sich Grüppchen bilden können und ehrenamtliches Engagement im Sande verläuft. Vielleicht wollen die schwulen Augsburger aber auch einfach nur ein Stück Normalität – wollen nicht mit dem Etikett „Ich bin schwul und das ist gut so“ auf der Stirn an offiziellen Homosexuellen-Events teilnehmen. Wenn das so wäre, könnte man das durchaus nachvollziehen, denn wer – abgesehen von einigen Geltungshungrigen – thematisiert schon gerne sein Sexualleben in der Öffentlichkeit? So muss es auch nicht wundern, wenn Schwule es ablehnen, mit jedem anderen Schwulen automatisch „gut Freund“ zu sein und sich öffentlich für ihre sexuelle Orientierung einzusetzen – gerade in einer Stadt, in der man dafür unter Umständen auch noch schräg angeschaut wird. Schließlich ist es keine irgendwie geartete Überzeugung, sondern lediglich die sexuelle Orientierung, die alle Schwulen untereinander verbindet und sonst nichts. Ein bisschen mehr Zusammenhalt könnte allerdings auch nicht schaden.

Coming-out & Going-out:
– Stammtisch und Bowling des AStA-Schwulenreferats (Termine siehe Aushang am Rosa Brett)
– Fegefeuer, Ludwigstr. 34 (das Stammpublikum ist tendenziell 35 aufwärts; wer nach dem Kerosin um 4 Uhr noch einen Absacker braucht, ist hier richtig)
– Kerosin (zwei Mal im Monat Gays-, Lesbian & Friends-Discoparty)
– Kantine (ab Juli alle zwei Monate Lovepop)
– CSD (dieses Jahr in Augsburg am 5. August)

Infos im Netz:
– http://www2.student.uni-augsburg.de/~asta/referate/schwulenreferat.shtml
– augsburg.gay-web.de (Info-Plattform für Augsburg und Umgebung)
– www.gayromeo.com (Seit Oktober gibt es auf der Homepage einen „Club“ des AStA-Schwulenreferats mit 61 Mitgliedern. Wer sich registriert, wird regelmäßig mit aktuellen Infos versorgt.)

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