Interview: Miriam Gruß

Mit der Bundestagswahl hat sich das Leben von Miriam Gruß total verändert. Die 29-jährige Augsburgerin, die hier studiert hat und bei Professor Guggemoos promoviert, zog für die FDP ins Parlament ein. „Mein vorheriges Leben gibt es fast gar nicht mehr – außer wenn ich mit meinem Sohn zusammen bin“, erzählt die junge Mutter. Zum Schreiben ihrer Doktorarbeit kommt sie nur noch in den sitzungsfreien Wochen. Obwohl sie viel Zeit in Berlin verbringt, denkt die Abgeordnete bei Heimat zuerst an die Fuggerstadt. Neben Kind, Ehemann und Spaziergängen durch Göggingen vermisst Gruß in der Bundeshauptstadt die Augsburger Leberkässemmel.

Von Daniela Kaupert, Jörn Retterath, Christopher Große

Aber auch Berlin hat sie schon schätzen gelernt: Die Liberale hat das Gefühl, dass die „Kinderfreundlichkeit sehr hoch ist“ und die Kulturen in der Spree-Metropole „gut miteinander harmonieren“. Sonst, erzählt sie lachend, „laufen dort richtige „Freaks“ rum – Leute, die in Augsburg schief angeschaut würden.“
Presstige wollte mehr über Miriam Gruß erfahren und hat sie in Augsburg zu einem Gespräch getroffen:

P: Was ging in Ihnen vor, als Sie in der Wahlnacht erfuhren, Volksvertreterin im neuen Bundestag zu sein?

G: Zunächst war es ein Gefühlswirrwarr, da ich nicht wusste, ob ich nun tatsächlich gewählt wurde. Erst konnte ich es gar nicht glauben, zu Hause war ich dann wahnsinnig aufgeregt. Ich kam mir noch über Wochen vor wie in einem Film.

P: Sie haben ein kleines Kind und machen Karriere – wie bekommen Sie das unter einen Hut?

G: Mein Mann und ich versuchen, unserem Sohn alles in unserer Macht stehende zu geben. Dazu sind viele Absprachen nötig. Mein Mann musste beruflich kürzer treten und passt nun hauptsächlich auf unser Kind auf. Ich freue mich, dass er dieser neuen Rolle gewachsen und glücklich mit ihr ist.

P: Sie haben in Augsburg und in München studiert …

G: Vom vierten Semester an habe ich Jura und Politik parallel studiert. Vormittags Jura in Augsburg – und parallel habe ich sogar noch am Lehrstuhl gearbeitet. Nachmittags zwischen vier und neun bin ich dann nach München gefahren zum Politikstudium. Witzig ist, dass ich heimlich Politik studiert habe, da ich mich nicht traute, meinen Eltern zu gestehen, dass Jura eigentlich nicht das Richtige für mich war, um im Leben glücklich zu werden. Nachdem ich in München meine Scheine und mein Vordiplom gemacht hatte, habe ich es meinen Eltern erzählt. Inzwischen sind meine Eltern aber natürlich auch stolz und glücklich darüber, dass ich Politik studiert habe und jetzt sogar Bundestagsabgeordnete bin.

P: Klingt anstrengend.

G: Ich hatte wenig andere Hobbys. So wie ein Selbständiger auch seine 50- bis 60-Stunden-Woche hat, so habe ich damals schon im Studium meine Zeit koordinieren müssen.

P: Abgesehen von der Linkspartei wird man ja nicht von heute auf morgen Bundestagsabgeordnete. Wie verlief Ihr Weg in den Reichstag?

G: Es bedurfte viel ehrenamtlichen Engagements von Anfang an. Mit der Zeit verdient man sich immer mehr Anerkennung der anderen. Irgendwann hieß es: Jetzt kann sie stellvertretende Kreisvorsitzende werden oder hat vielleicht schon das Zeug zur Kreisvorsitzenden …

P: … gab es keine Skepsis oder Widerstände?

G: Es gibt nach wie vor ältere und erfahrenere Parteikollegen, die mich einfach für zu jung halten und sagen: „Zehn Jahre später wäre auch noch in Ordnung gewesen.“ Die Älteren verfügen über viel Lebenserfahrung und ich versuche mir sie anzueignen. Ich hab von diesen Leuten unheimlich viel gelernt. Auf der anderen Seite wusste ich aber auch, als ich mit der Gegenkandidatur antrat, dass ich mir das zutraue.

P: Wie hoch ist bei der täglichen Parteiarbeit der Grad der Anpassung? Nicht immer vertragen sich die persönlichen Ideale und Ziele mit Parteibeschlüssen, die man dann mitzutragen hat…

G: Ja, das stimmt. Man muss schon kompromissfähig sein. Das merke ich jetzt als Abgeordnete erst richtig: Innerhalb der Fraktion gibt es viele Diskussionen, aber nach einer Abstimmung vertritt man natürlich die Mehrheitsmeinung auch nach außen. So kommt es, dass man – zum Beispiel im Ausschuss – Standpunkte vertritt, die eher der Meinung der Fraktion als der eigenen Ansicht entsprechen. Aber letztlich ist das im Sinne eines handlungsfähigen Parlament(arismu)s.

P: Da wir gerade von Überzeugungen sprechen, wie stehen Sie denn zum hochschulpolitischen Programm der Bundesregierung?

G: Grundsätzlich würden wir uns Autonomie der Hochschulen sehr wünschen. Die Idee der Exzellenzzentren ist nicht schlecht. Ich habe aber auch Angst, dass die Länder ihre Macht missbrauchen – gerade in Bayern mit der Zweidrittel-Mehrheit der CSU.

P: Staatsminister Goppel hat jetzt das neue Hochschulgesetz vorgestellt. Die Hochschulen sollen ein größeres Maß an Freiheiten erhalten. Könnte auch von der FDP sein oder?

G: Mir fällt auf, dass die Exekutiven, also Rektor und Dekane, unheimlich gestärkt werden. Zudem wird der Hochschulrat vom Beratungsgremium, das externen Sachverstand in die Hochschulen hineintragen soll, zu einem Beschlussgremium. Ich frage mich, wie viel Mitspracherecht die Studenten dann wirklich noch haben. Das betrachte ich skeptisch. Ebenso wie den vorgegebenen Gebührenrahmen von 300 bis 500 Euro. Wir sind dafür, dass die Unis selbst entscheiden, wie viel Geld sie von den Studenten verlangen. Wir möchten, dass die Gebühren transparent sind und die Studenten nachvollziehen können, warum sie jedes Semester den Betrag X zahlen müssen.

P: Geistes- oder Sozialwissenschaftler kommen die Hochschulen ja beispielsweise deutlich billiger als Naturwissenschaftler. Wie sehen Sie als Sozialwissenschaftlerin die Rolle der Geistes- und Sozialwissenschaftler in der Gesellschaft? Braucht die Wirtschaft diese Absolventen nicht?

G: Auf jeden Fall braucht sie sie. Ich glaube, dass auch in Zukunft die “breiten Denker” gefordert sind. Ich finde es gut, dass sich Rektor Bottke vor die Geisteswissenschaftler gestellt hat und diesen Zweig erhalten möchte. Das Allgemeinwissen aus dem Studium bekommt man nirgendwo sonst im Leben – eben da sind Geisteswissenschaften ungemein wichtig. Ich wünschte mir, dass einige BWLer oder Juristen auch mal geisteswissenschaftliche Vorlesungen besuchen würden, um ihren Horizont zu erweitern. Jeder Studierende sollte außerdem besonders die Möglichkeit zu Praktika ausreichend nutzen.

P: Was soll aus der Musik- und der Fachhochschule werden?

G: Sie müssen auf alle Fälle in Augsburg bleiben. Es sollte nicht alles nach München abwandern. Gerade Musikwissenschaften sind sehr wichtig. Wir wissen, wie elementar musische Erziehung gerade für Kinder ist.

P: Thema WM: In Augsburg gab es in den letzten Monaten einige Diskussionen um die Übertragung auf Großbildleinwand. Andauernd gibt es Querelen um Veranstaltungen in der Innenstadt …

G: Ich habe einmal plakatiert: ‚City + Jugend ist auch Kultur’. Wenn sich junge Menschen am Brunnen treffen, die schöne Maximilianstraße auf und ab flanieren, so ist das ebenfalls Kultur. Die Innenstadt sollte allen gehören. Warum soll ich nicht mit einem Glas Wein bis vier Uhr morgens ruhig draußen sitzen können? Freiheit auf den Straßen!

P: Ein Ausblick: Wo steht Augsburg in vier Jahren?

G: Der FCA spielt in der 1. Bundesliga.

P: Was glauben Sie, wo Sie persönlich in vier Jahren stehen werden?

G: Ich hoffe, wieder gewählt zu werden. Noch habe ich meinen Idealismus nicht verloren. Im Bundestag sitzen sehr viele Leute, bei denen das anders ist und die einfach vor sich hin arbeiten. Das finde ich schade.

P: Wie wird sich unser Land politisch entwickeln?

G: Vielleicht wird es bei der Rentenreform gewisse Kompromisse geben. In der Gesundheitspolitik halte ich das nicht für möglich. Ich denke, das wird auch die große Geduldsprobe der großen Koalition werden. Es wird eben eine Politik der kleinen Schritte werden, und die breite Bevölkerung wird einfach nur merken, dass sie weniger Geld in der Tasche hat: Dem Bürger wird immer mehr weggenommen, und er versteht immer weniger.

P: Haben sich eigentlich durch die weibliche Bundeskanzlerin Angela Merkel neue Impulse für Deutschland und die Politikkultur in unserem Land ergeben?

G: Ich spüre Veränderungen, die dadurch entstehen, wie über Frau Merkel und die Tatsache, dass sie eine Frau ist, gesprochen wird. Ihre Wahl hat viel für uns Frauen bewegt, ist aber auch dem Ansehen Deutschlands in der Welt sehr zuträglich. Obwohl ich Sympathien für Frau Merkels Politik habe, müssen wir als Opposition bei diesem Zweidrittel–Einheitsbrei den Finger in die Wunde legen und dürfen nicht alles gut heißen – das kann auch für Deutschland nicht gut sein.

P: Regiert Ihre Partei in vier Jahren gemeinsam mit der CDU?

G: Es ist denkbar.

P: Unter Kanzlerin Merkel?

G: Oder unter Kanzler Guido.

P: Grüßen Sie uns Berlin! Vielen Dank für das Gespräch.

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