Überraschung nach Abpfiff

Bei der dritten Halbzeit des Fußballspiels FCA-Kaiserslautern spielt auch die Polizei mit

 

Für die Anhänger des FC Augsburg gab es während der ersten Zweitligasaison nach 23 Jahren in den Niederungen von Bayern- und Regionalliga viel Grund zur Freude. Das Team wusste spielerisch zu überzeugen und konnte sich am Ende verdient in der oberen Tabellenhälfte festsetzen. Über 285.000 Zuschauer besuchten die 17 Heimspiele.

Von Christopher Große

Über 23.000 zahlende Gäste kommen auch am Sonntag, den 29. April, in die Rosenau. Am 31. Spieltag trifft Augsburg um 14 Uhr auf den 1. FC Kaiserslautern. Vor dem Spiel verteilen Vorstandsmitglieder und Spieler vor dem Gästeblock 2.500 Fahnen an die mitgereisten Fans aus der Pfalz – als Dank für deren Unterstützung während der Saison. Während des Spiels verwandeln die FCK-Fans ihren Block in ein rot-weißes Fahnenmeer. Es ist ein ansehnlicher Kick, den der FCA mit 3:2 für sich entscheidet. Sportlich ist der sonnige Nachmittag für beide Mannschaften beinahe bedeutungslos. Für viele Besucher des Rosenaustadions ist er jedoch bis heute in lebendiger Erinnerung geblieben. Und dafür sind weder die tolle Stimmung im Stadion, noch die gastfreundlichen Augsburger Anhänger verantwortlich. Von einem „unverhältnismäßigen und überzogenen Einsatz der Polizei und des Ordnungsdienstes“ wird der Gastverein später in einer Pressemitteilung sprechen.

Aber der Reihe nach: Es ist 16 Uhr. Etwa 3000 Gästefans zwängen sich traurig über die schmale Treppe hinter dem Block in Richtung des einzigen Ausgangs. Zahlreiche Ordner des FC Augsburg, grün gekleidete Beamte der Augsburger Polizei sowie die bayerische Polizei-Sondereinheit Unterstützungskommando (USK) aus Dachau in schwerer, schwarzer Kampfausrüstung sollen einen geordneten Abzug der Fans gewährleisten. Der Auslöser für die teils heftigen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Gästefans lässt sich nicht zweifelsfrei rekonstruieren. Möglicherweise ist es ein Plastikbecher, den ein aufgebrachter Fan in Richtung der Polizisten schleudert. Der Becherwerfer jedenfalls wird verhaftet, wie das Internet- Fußballmagazin „Der-Betze-brennt.de“ unter Berufung auf „übereinstimmende Augenzeugenberichte“ in seinem Beitrag „Augsburg: Polizeigewalt gegen FCK-Fans“ vom 30. April berichtet. „Nicht nachvollziehbar“ indes, heißt es dort weiter, sei „für viele umstehende Fans“ die Behandlung des Festgenommen gewesen, „der von gleich mehreren Beamten des schwarz gekleideten ‚Unterstützungskommandos’ (USK) mit Schlagstöcken niedergestreckt wurde“.

Es kommt zu einem kurzen Gerangel zwischen der Polizei und einigen Fans, die dem Mann zur Hilfe eilen wollen. Der Polizei gelingt es, die Fans zurückzudrängen. Zu diesem Zeitpunkt seien „die Fronten geklärt“ und wieder „alles ruhig“ gewesen, beschreibt Augenzeuge Christian Hirsch (27), Sprecher der Fußball-AG der „Aktion 3.Welt Saar“ und aktives Mitglied im Bündnis Aktiver Fußball-Fans (BAFF), die Situation. Es ist die Ruhe vor dem Sturm. Was dann folgt, schockiert Hirsch bis heute: „Ich bin noch immer total entsetzt, gerade weil auch Frauen und Kinder in Mitleidenschaft gezogen wurden.“ Hirsch ist Sozialarbeiter und engagiert sich mit seinem Bündnis für die Rechte von Fußballfans wie für eine demokratische Fankultur. Im Juni hat Hirsch am DFB-Fankongress in Leipzig teilgenommen. Auch die „Polizeigewalt gegen Fußballfans“ habe dort auf der Agenda gestanden. Die Vorkommnisse in Augsburg sind nach Auffassung Hirschs ein solcher Fall. Unvermittelt sei die Sondereinheit USK, die bundesweit bei Demonstrationen und Großveranstaltungen wie dem G8-Gipfel im Einsatz ist, in die sich langsam zum Ausgang schiebende Menschenmenge hineingestürmt. Manfred Gottschalk, Sprecher der Polizeidirektion Augsburg, bestätigt den Einsatz der „speziell für solche Zwecke ausgebildeten Beamten des USK“ hinter dem Gästeblock. Ursache seien Verstöße gegen das Sprengstoffgesetz während des Spiels gewesen. Es habe keine andere Möglichkeit gegeben, als den eng mit der Augsburger Polizei abgestimmten Zugriff gleich im Anschluss an das Spiel vorzunehmen, um den mutmaßlichen Straftätern habhaft zu werden: „Wir wollen direkt vor Ort diejenigen rausziehen, die eine Straftat begangen haben.“ Gesetzlicher Auftrag der Polizei sei es zu zeigen, „dass wir bei Fehlverhalten entsprechend handeln. Dieses sofortige Vorgehen hat auch eine präventive Wirkung“, ist Gottschalk überzeugt. „Zur Eskalation der Situation“ sei es gekommen, „weil andere sich eingemischt haben“. Das habe man im Vorfeld nicht erwartet – und ebenso wenig, dass einige Personen versuchen würden, „gegen die Polizei vorzugehen“. Solch „falsch verstandene Solidarität während einer vorläufigen Festnahme ist eine strafbare Handlung, die entsprechend zu ahnden ist“.

Gottschalk räumt ein, dass dadurch „auch Leute beeinträchtigt“ worden seien, „die unbeteiligt sind. Das ist natürlich von uns nicht gewollt.“ Doch habe man „für den Schutz all derjenigen Zuschauer zu sorgen, die ins Stadion gehen, weil sie ein Fußballspiel sehen wollen.“ Christian Hirsch ist anderer Auffassung: „Die Gewalt ist eindeutig von der Polizei ausgegangen. Das USK hat die Lage eskaliert. Die haben alles weggeknüppelt und mit Pfefferspray bearbeitet, was nicht niet- und nagelfest war.“ Auch der Augsburger Politik-Student Marc Picket* (26), der das Spiel im Gästeblock verfolgt hat, wird in die Tumulte verwickelt. „Ich wollte einfach nur nach Hause gehen und hätte nie gedacht, dass ich in sowas hineingeraten könnte.“ Dabei habe „überhaupt nichts“ auf den plötzlichen Einsatz der Polizei „hingedeutet“. Aufgrund der Enge hinter dem Gästeblock habe er gar keine Möglichkeit gehabt, sich in Sicherheit zu bringen – das „Klohäuschen und der Zaun“ versperren ihm den Weg. So wird er schließlich „mitgerissen“ und findet sich mit verdrehtem Knie auf dem Boden wieder. Für das Vorgehen der Polizei hat er kein Verständnis: „Das USK ist unter Schlagstockeinsatz wie die Axt im Walde in die Menschenmenge gestürmt, um eineneinzelnen Fan zu verhaften. Wo bleibt da die Verhältnismäßigkeit?“ Eine Frage, die sich auch Kaiserslautern-Vorstand Arndt Jaworski stellt: „Bei allem Verständnis für ein hartes Durchgreifen bei Straftaten oder anderweitigen nicht zu tolerierenden Vergehen, Fußballfans dürfen nicht pauschal kriminalisiert und ohne ersichtlichen Grund Opfer von Einsätzen übermotivierter Ordner und Polizeibeamter werden.“ Der Verein stellt in seiner Pressemeldung klar: „Das harte Einschreiten einiger Polizei- und Ordnungskräfte mit Hilfe von Schlagstöcken und Pfefferspray, unter anderem auch gegen völlig unbeteiligte Frauen, Kinder und körperlich beeinträchtigte Fans geschah ohne ersichtlichen Grund und sorgte für Entsetzen bei den betroffenen Fans und den Augenzeugen der Vorfälle.“ Ein Fehlverhalten der FCK-Anhänger, das einen solchen Einsatz rechtfertigen könne, habe es zu keinem Zeitpunkt gegeben.

Damit widersprechen die Pfälzer der Darstellung in der Augsburger Allgemeinen Zeitung vom 30. April 2007, in welcher zu lesen war, die „Polizisten und Ordner“ seien „bei einer Festnahme […] von Fans angegriffen“ worden. Die Fans des FC Augsburg haben beim letzten Saisonspiel ihrerseits ein Zeichen gesetzt und sich mit mehreren Transparenten gegen als überhart empfundene Polizeimaßnahmen zur Wehr gesetzt. „Solidarität zu Kaiserslautern und Jena“, hieß es auf einem der weithin sichtbaren Plakate. „Wir haben beim Auswärtsspiel in Fürth am eigenen Leib erfahren, was es heißt, in gewaltsame Auseinandersetzungen mit dem USK zu geraten“, so Thomas Marzahn, Fanbeauftragter des FCA. Beim Auswärtsspiel in Franken seien „alle Augsburger vor dem Gästeblock von der Polizei zusammengehalten“ worden. „Eine kleine Auseinandersetzung“ zwischen zwei Augsburger Fans „um ein verschüttetes Bier“ habe dann das USK zum Anlass genommen, „in die Menge zu preschen und mit Gewalt gegen die Augsburger vorzugehen – Pfefferspray inklusive, wobei natürlich auch zahlreiche völlig Unbeteiligte in die Aktion einbezogen wurden.“ In den Augen Marzahns „ein vollkommen unangemessenes Vorgehen“, das vier Festnahmen nach sich gezogen habe. Nicht nur deshalb stehe man jeder Fanszene „solidarisch gegenüber, die unverschuldet derartige Einsätze erdulden muss – bei Kaiserslautern natürlich noch vor dem Hintergrund, dass die Geschehnisse sich in unserem Stadion abgespielt haben.“ In der zurückliegenden Saison habe es „einige Heimspiele“ gegeben, „in denen die Polizei auch körperlich tätig geworden“ sei. Die Polizeieinsätze beurteile man kritisch, „weil hier doch manchmal an der Verhältnismäßigkeit gezweifelt werden muss.“ Deshalb bemühe man sich um einen kritischen Dialog mit der Augsburger Einsatzleitung.

Für eine differenziertere Sichtweise plädiert der FCA-Vorstandsvorsitzende Walther Seinsch und nimmt die Augsburger Einsatzkräfte in Schutz. Kritisch sieht aber auch er das Vorgehen des Sonderkommandos: „Das USK aus Dachau hat eine andere Motivationslage. Es sollte darüber gesprochen werden, dass sie sich etwas mehr zurückhalten.“ Seinsch bemängelt ferner die mangelnde Kommunikationsbereitschaft der Sondereinheit: „Die sind gar nicht ansprechbar.“ Darüber möchte der FCA-Chef auch mit dem Präsidenten des Bayerischen Fußballverbands sprechen. Marcs Vertrauen in die Polizei hingegen ist erschüttert. „Ich gehe nicht oft zum Fußball und man liest ja häufiger in der Zeitung, dass gewaltbereite Fußballfans die Auseinandersetzungen mit der Polizei provozieren würden. Ich war als Außenstehender fest davon überzeugt, das würde schon so stimmen und jeder Fußballfan sei selbst schuld, wenn er mit der Polizei aneinander gerät.“ Seine Meinung hat er nun geändert: „Die Stimmung zwischen den Augsburg- und Kaiserslautern-Anhängern war die ganze Zeit über total friedlich. Ich habe jetzt ein mulmiges Gefühl ins Stadion zu gehen, nachdem ich erlebt habe, wie die USK-Polizisten auf die Fans losgegangen sind. Vor solchen Polizei-Einsätzen kann sich niemand sicher fühlen – und wen kann man zur Verantwortung ziehen, wenn einem dabei wirklich etwas Schlimmeres zustößt?“ Zahlreiche Verletzte und 14 Festnahmen – die Bilanz eines frühsommerlichen Nachmittags in der Rosenau. Neben Strafverfahren müssen alle Festgenommenen mit mehrjährigen bundesweiten Stadionverboten rechnen.

(* Name von der Redaktion geändert.)

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