„Mensch, wie machst du das eigentlich?“

Zwei Studenten mit Handicap berichten über ihr Studium an der Uni Augsburg

Zwei Mädchen gehen dicht nebeneinander von der Tramhaltestelle „Universität“ Richtung Hörsaalzentrum. Sie bewegen sich merkwürdig vorsichtig, die Hand der Einen liegt leicht auf dem Arm der Anderen, bei genauem Hinhören vernimmt man leise Hinweise, „hoch“, „links“, „Vorsicht“. Es sind Danyela und Kathrin, beide studieren Romanistik und unternehmen an der Uni alles gemeinsam. Was ihre Freundschaft dabei so besonders vertrauensvoll macht, ist Danyelas Behinderung. Sie ist blind.

Von Jan Koenen

Von Geburt an kann die heute 24-Jährige nicht sehen, war zunächst bis zur zehnten Klasse auf der Blindenschule, machte dann ihr Abitur und begann im Wintersemester 2004 das Studium in Augsburg. Mit Unterstützung anderer Studenten und einem „Mobi-Trainer“ lernte sie, sich auf dem Campus zu Recht zu finden, Laufwege zu verinnerlichen und die meisten Orte selbstständig zu finden. Und mit dem Studium der Sprachen Spanisch und Englisch tut sich die Augsburgerin vielleicht sogar leichter als manch sehender Kommilitone: „Wegen meines besonders geschulten Gehörs fallen mir auch winzige Besonderheiten bei der Aussprache immer gleich auf.“

Im Seminar hilft Danyela der kleine „Pronto!“, eine handliche Schreibmaschine, die mit der vom Franzosen Louis Braille entwickelten Blindenschrift arbeitet. Ein Zusatzgerät für den Laptop wandelt normale Dokumente in Brailleschrift um, so dass an die junge Studentin bei Klausuren statt eines Aufgabenzettels einfach ein USB-Stick mit den Aufgaben ausgeteilt wird. Zudem fällt es ihr dank des Konvertierungsprogramms nicht schwer, sich Informationen aus dem Internet zu besorgen. Schwieriger gestaltete sich dagegen lange Zeit Danyelas Arbeit in der Uni-Bibliothek. Ohne fremde Hilfe ging hier gar nichts, stets war sie auf hilfsbereite Kommilitonen oder Mitarbeiter angewiesen, die ihr die Bücher zur Ausleihe heraussuchten, damit sie die Literatur zu Hause am Computer für sich lesbar machen konnte.

Alles neu macht das Wintersemester

Während der Semesterferien löste sich diese Schwierigkeit in Luft auf. Auf Initiative der Universität und der Familie eines weiteren blinden Studenten wurde in der Teilbibliothek Jura ein Arbeitsraum eingerichtet, der mit modernsten Scannern, „Braille-Zeilen“ für die Tastatur und einer speziellen „Screen-Reader“-Software für den PC ausgerüstet wurde. Die teure Investition macht sich nach Meinung der blinden Studentin bezahlt, schließlich bräuchte Augsburg mit dieser topmodernen Ausstattung auch den Vergleich zu anderen Unis nicht mehr zu scheuen. „Früher hätte ich Blinden aufgrund der mangelnden technischen Ausstattung unserer Uni eher die LMU in München zum Studieren empfohlen. Die jetzige Lösung ist aber so genial, dass ich mich beinahe gleichberechtigt mit den übrigen Studenten fühle – denn zeitlich gesehen braucht das Kopieren von Büchern, wie es die Anderen tun, mindestens so lange wie mein Scannen.“

Dass die Universität Augsburg zum Teil nur „bedingt behindertengerecht“ ist, weiß auch Katharina von Saucken-Griebel. Sie ist die Behindertenbeauftragte des Studentenwerks und für die Beratung von „Studenten mit Handicap“ zuständig. Diese Einrichtung wird aus einem Teil des Semesterbeitrags finanziert und besonders von Studenten in Anspruch genommen, die neu an der Universität sind. Gemeinsam mit dem Behindertenbeauftragten der Universität, Bernd Oberdorfer, werden so etwa 20 bis 30 Studenten im Jahr dabei unterstützt, einen behindertengerechten Wohnheimsplatz zu finden, Formulare und Anträge auszufüllen oder staatliche Fördermitteln zu beantragen.

Die Hinweise und Beschwerden, die von Seiten der Studenten vorgetragen werden, sind allerdings oft weniger bürokratischer denn praktischer Natur. So lassen sich die Türen zum Hörsaalzentrum und zur Mensa nur mit großem Kraftaufwand öffnen, Automaten, Fahrstühle und Büros besitzen keine blindengerechten Punktschrift-Schilder. Vor kurzem beklagte sich zudem ein Student, der nach einem Sportunfall an Krücken gehen musste, dass ihm der Einlass zur Bibliothek versagt worden sei. Er hatte einen Rucksack mitnehmen wollen, um seine Bücher zum Kopierer tragen zu können. „Solche Missverständnisse sind aber in der Regel schnell geklärt“, weiß von Saucken-Griebel. So kommt sie zum Fazit, dass trotz kleinerer Mängel und Betreuungslücken die Universität Augsburg durchaus für Studenten mit Behinderung empfehlenswert sei, „gerade wegen der typisch kurzen Wege einer Campus-Uni.“

Mit dem Rollstuhl in den Hörsaal

Eben diese weiß auch Student Jörg zu schätzen. Seit einem Autounfall vor sechs Jahren ist der 28-Jährige querschnittsgelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen – zwei Jahre nach dem Unglück entschied er sich für ein Studium an der Uni Augsburg. Nicht zuletzt, weil zu dieser Zeit noch seine Freundin hier studierte. Neben ihr helfen dem angehenden Rechtswissenschaftler sowohl ein Zivildienstleistender als auch Freunde und Kommilitonen über die Hindernisse des „Handicaps“ hinweg. Einen großen Umweg auf dem Campus können aber auch sie ihm nicht ersparen: „Die Treppe vom unteren Bereich der Universität hinauf zu den Wirtschaftswissenschaften und Jura ist für mich praktisch unpassierbar.“ Einmal in der eigenen Fakultät angekommen, ist für Jörg ein barrierefreies Studium möglich: kein Wunder, denn das Gebäude ist keine zehn Jahre alt und somit bautechnisch auf dem modernsten Stand.

Kanten+Ecken = Schrammen+Flecken

Danyela bewältigt derweil weiter ihren Weg in Richtung Hörsaalzentrum. Dabei wird ihr genau das zum Hindernis, was den meisten Studenten Mobilität verschafft: „Fahrräder sind für mich die größte Stolperfalle – zudem stehen sie jeden Tag woanders.“ Auch Tische und Stühle, die ohne böse Absicht am Rand der Flure gestellt werden, sorgen für Schrammen und blaue Flecken. Insgesamt ist aber auch sie mit ihrem Studienort glücklich. „Ich fühle mich hier sehr wohl. Die Dozenten sind ausnahmslos sehr hilfsbereit, die Kommilitonen verständnisvoll für meine Situation.“ Und was die mangelnde Braille-Beschriftung der Seminarräume und Büros angeht, so hat sich die souveräne Blinde in einer mehrstündigen Aktion einfach selbst geholfen: Seit kurzem zieren kleine Punktschrift-Schilder die Bürotüren ausgewählter Romanistik-Dozenten.

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