Ein mörderisches Idyll

Die international-schwäbische Jakobervorstadt im Profil

Sirenengeheul ist in der Jakobervorstadt keine Seltenheit. Doch der Hubschrauberlärm eines dicht über den Dächern kreisenden Polizeihelikopters beunruhigte im Juni diesen Jahres die Bewohner des Viertels. Erst der nächste Tag brachte Aufklärung. Bei Aldi, beim Bäcker, im Juweliergeschäft – überall hing ein Fahndungsaufruf der Polizei: Versuchter Mord. Diese Vorstadt ist kein Idyll, wie man es aus dem amerikanischen Fernsehen kennt: große Häuser mit riesigen, wohlgepflegten Gärten, nette Nachbarn und Kinder, die auf den akkurat angelegten Bürgersteigen Rollschuh laufen. Doch hier ist es laut, schmutzig und offenbar gefährlich. Aber es wird nie langweilig. Das Viertel hat seinen ganz eigenen Charme, den auch ein Mordversuch nicht trügen kann.

Von Jannina Jessen; Fotos: Jan Koenen

Kartoffelschäler since 1276

Das Jakoberviertel, das ursprünglich nicht zur Stadt gehörte und erst 1340 mit in die Stadtbefestigung einbezogen wurde, beherbergt einige kulturelle Schätze. Unter anderem die Augsburger Attraktion – die Fuggerei. Die älteste Sozialwohnsiedlung der Welt wurde 1521 von Jakob Fugger für Bedürftige gestiftet. Auch heute noch wohnen dort 150 in Not geratene Augsburger für eine Jahreskaltmiete von 88 Cent – dem nominellen Gegenwert eines Rheinischen Guldens. Darüber hinaus müssen die Bewohner täglich drei Gebete für den Stifter und seine Familie sprechen. Die Bedingungen: Man muss in der Stadt am Lech geboren und Katholik sein. Von der ZVS nach Augsburg geloste Studis haben also das Nachsehen. Doch die Fuggerei ist nicht das einzige historische Highlight des Stadtteils. Zwei Veranstaltungen sind aus Augsburgs kulturellem Leben nicht mehr wegzudenken – die Dult und die Jakober Kirchweih.

Auf der Dult, die jedes Jahr im Frühjahr und im Herbst stattfindet, kann man von der Hängematte bis zum Kartoffelschäler so gut wie alles erwerben und sich nebenbei mit Augsburger Köstlichkeiten versorgen. Zum ersten Mal wurde der Markt im Jahr 1276 als Ostermarkt und Sankt Michels Messe urkundlich erwähnt. „Dult ist ein süddeutscher Ausdruck und vorwiegend bayerisch. Dies könnte auch erklären, weshalb die Bezeichnung in Augsburg erst seit dem 19. Jahrhundert, als Augsburg bayerisch wurde, üblich ist“, bestätigt Professor Rolf Kießling vom Lehrstuhl für Bayerische und Schwäbische Landesgeschichte. Der Begriff habe früher Kirchenfest bedeutet. Diese Bedeutung änderte sich jedoch im 19. Jahrhundert zu Jahrmarkt.

Antalya am Jakobsweg

Die Kirchweih ist dagegen Augsburgs ältestes Volkfest. Die Pilger, die auf dem Weg zum Grab des Heiligen Jakobus nach Santiago de Compostela waren, machten bei der vor circa 1000 Jahren gebauten Kapelle in der Jakobervorstadt Station. Später ersetzte eine Kirche die einfache Kapelle. Am 25. Juli 1355 fand dann die Weihe der St. Jakobskirche statt. Diese ist auch der Namensgeber des Stadtviertels und nicht, wie oft vermutet wird, Jakob Fugger. Zu Kirchweih-Zeiten steigt der Lärmpegel stets kräftig an. Ungünstig für alle Studenten, die in der Vorstadt wohnen, denn die Kirchweih findet immer am Ende des Semesters, also zur Prüfungszeit, statt. Da bleibt meist nur der Weg in die leisere Unibibliothek. Übrigens wollte die bayerische Staatsregierung im 19. Jahrhundert die Feierlichkeiten verbieten. Dem Aus entging man nur, indem man München wissen ließ, es handle sich nicht um eine Kirchweih, sondern um einen Gemüsemarkt. Überprüft wurde die schwäbische Lüge jedoch bis heute nicht.

Für Studenten ist die Vorstadt ein beliebter Wohnort, da man in kürzester Zeit zu Fuß in der Innenstadt ist. Der schnellste Weg führt den Perlachberg hinauf. Einkaufsmöglichkeiten sind reichlich vorhanden, so dass der „faule“ Student keine langen Wege auf sich nehmen muss. Der gute Anschluss an öffentliche Verkehrsmittel erleichtert den Weg zur Hochschule. „Ich mag die Wohngegend, weil ich alles, was ich brauche vor der Tür habe und schnell in der Stadt bin“, meint die 22-jährige BWLStudentin Vera. Eine Besonderheit der Vorstadt sind eindeutig die vielen internationalen Läden. Hier findet sich ein Halal-Metzger, ein Asia-Laden, griechische und italienische Restaurants, deutsche Kneipen, ein orientalischer Bekleidungsladen für Damen und vieles mehr. „Ich habe mein Geschäft gerne hier, denn die Leute sind offen und die Mieten nicht so hoch. Trotzdem hat man die Nähe zur Innenstadt“, meint Rüsdiye Cetinkiran aus dem Blumengeschäft „Blütenelfe“.

Prost, Brecht!

Die Gegend ist nicht nur für Studenten und Touristen attraktiv, sondern für alle, die die bayerische Biergartenkultur lieben. Die Jakobervorstadt beherbergt sogar eine eigene Brauerei. Seit 1844 entsteht das Augustabräu-Bier am Lauterlech. Allgemein bekannt ist der Biergarten „3 Königinnen“ im Meister-Veits-Gäßchen. Ein echter Geheimtipp ist auch „Die Augsburger Kahnfahrt“. Dieser Biergarten liegt direkt am Wasser und besteht schon seit nunmehr 130 Jahren. Wenn einem beim Schwätzen und Biertrinken langweilig werden sollte, kann man gleich in den nächsten Kahn springen und ein bisschen im Stadtgraben umherpaddeln. Hier findet man sie dann doch: die typische Vorstadtidylle aus dem amerikanischen Fernsehen. Schon Bertholt Brecht, der gegenüber der Kahnfahrt wohnte, schätze die romantische Ecke am Oblatterwall. Hier vergisst man das Sirenengeheul und den Mordversuch ganz schnell.

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