Schüler auf der Überholspur

Wie Frühstudenten an ihren Kommilitonen vorbeiziehen, obwohl sie neben dem Studium die Schulbank drücken.

Schüler auf dem Campus: Wer glaubt, dass das nur am alljährlichen Studieninformationstag der Fall ist, der irrt gewaltig. Ein gutes Dutzend von ihnen studiert als so genannte „Frühstudierende“ an der Uni Augsburg Informatik, Mathe oder Physik.

Von Vicky Wagensommer – Fotos: Andreas Bee

Zuerst Abitur, dann Studium: Das ist der Normalfall. Martin und Nuhro meistern aber beides gleichzeitig. Seit drei Semestern sind die beiden 19-Jährigen an der Uni Augsburg eingeschrieben. Ein bis zwei Tage pro Woche studieren sie Physik. Den verpassten Schulstoff eignen sie sich zu Hause selbst an und im Moment bereiten sie sich nebenbei sogar noch auf das Abitur vor. „Das ist schon viel Arbeit,“ sagt Nuhro. „Dass ich Unterricht verpasse, ist für mich aber keine so große Belastung, weil ich sowieso schon früher das Meiste aus dem Buch gelernt habe.“ Auch mit dem ständigen Wechsel zwischen Klassenzimmer und Hörsaal kommt er gut klar. „Das ist ein bisschen wie unterschiedliche Unterrichtsfächer zu haben. Nur gehe ich eben statt in einen anderen Klassenraum in die Uni.“ Für Martin gab es nur eins, was er in der Vorlesung anfangs komisch fand. „Ungewohnt war, dass die Professoren oft gar keine Antwort hören wollen, wenn sie eine Frage stellen. Am Anfang mussten wir uns ziemlich zurückhalten, damit wir uns nicht wie in der Schule ständig melden,“ erzählt er und lacht.auch recht

Keine „Voll-Freaks“

Inzwischen ist der Hörsaal Nuhro und Martin lieber als das Klassenzimmer. Selbstständig zu lernen liegt den beiden, sie sind das, was man auf Gutdeutsch als „Überflieger“ bezeichnen könnte. Am Peutinger-Gymnasium gehören sie schon lange zu den Schulbesten. Als Streber oder Wunderkinder wollen sie aber auf keinen Fall gelten. „Es ist ja auch nicht so, dass wir Voll-Freaks sind,“ sagt Nuhro. „Wir sind nur neugierig. Schon als Kind habe ich mich zum Beispiel über die Sterne gewundert. Mit der Physik lässt sich die Natur beschreiben und deshalb fasziniert sie mich so.“ Mit Martin teilt er seinen Wissenshunger: Seit der siebten Klasse sind die beiden befreundet. „Früher haben wir uns aus Interesse über Youtube Physik-Vorlesungen angeschaut, die amerikanische Universitäten aufzeichnen und online stellen. Jetzt können wir hier in Augsburg richtig studieren. Das ist toll!“, freut er sich.

Seit dem Wintersemester 2008/2009 gibt es in Augsburg das Schülerstudium. Mathematik-Professor Volker Ulm, hat es für die Fächer >> Mathe, Physik und Informatik damals ins Leben gerufen und betreut das Projekt seither. „Ich habe einen Brief an die schwäbischen Gymnasien geschrieben, in dem stand, dass man an der Uni Augsburg als Schüler studieren kann“, erzählt er. Daraufhin sprach sich die Neuigkeit schnell herum. Als Martin und Nuhro davon erfuhren, machten sie sich sofort an die Bewerbung.

Uni-Luft schnuppern

Die Zugangsvoraussetzungen für das Schülerstudium sind in Augsburg laut Professor Ulm vergleichsweise gering: „Die Entscheidung, ob ein Schüler zugelassen wird, trifft hier allein der Schulleiter. In Würzburg und Erlangen dagegen muss man Zeugnisse einsenden und dann findet auch an der Uni nochmal ein Gespräch statt“. An der Uni Augsburg fehle für ein so aufwändiges Bewerbungsverfahren das Personal. Außerdem verlasse man sich gerne auf das Urteil des Schulleiters, so Ulm. Bei Martin und Nuhro hat sich dessen Prognose jedenfalls bestätigt: Ihre schulischen Leistungen haben unter dem Schülerstudium nicht gelitten. Beide haben ihre Noten gehalten oder sogar verbessert.

Pro Semester sind zwischen 10 und 15 Jungstudenten an der Uni Augsburg eingeschrieben. Sie besuchen in der Regel die 10. bis 13. Klasse. Manche von ihnen legen an der Uni keine Prüfungen ab, sondern sehen das Schülerstudium eher als Chance, Uni-Luft zu schnuppern und sich für ihr späteres Studium zu orientieren. Andere gehen gleich mit viel Ehrgeiz an die Sache heran. „Etwa die Hälfte der Schülerstudenten schreibt am Ende des Semesters die Modulprüfung mit und das äußerst gut“, berichtet Ulm. Aus Neugier hat er sich die Ergebnisse der rund 150 Teilnehmer der Anfängervorlesung „Analysis, lineare Algebra“ einmal genauer angeschaut und dabei eine interessante Beobachtung gemacht. „Unter den besten beiden Studierenden in der Klausur war in den vergangenen drei Semestern immer ein Schüler. Entweder der beste oder der zweitbeste.“

Hunger im Gehirn

Auch Martin und Nuhro haben bereits Scheine mit guten Noten in der Tasche. Theoretisch könnten sie nach dem Abitur bereits im dritten Physik-Semester einsteigen. Nuhro möchte aber an eine Uni in der Schweiz, an der die Scheine voraussichtlich nicht anerkannt werden. Martin weiß noch nicht, wo die Reise hingeht. „Natürlich wäre es toll, wenn ich die Scheine anrechnen und mein Studium so verkürzen könnte. Der Hauptgrund für das Schülerstudium war für mich aber nicht die Zeitersparnis, sondern das Interesse am Fach“, sagt er. „Hunger im Gehirn“ sei das gewesen. Martin und Nuhro hat das Schülerstudium außerdem geholfen, das passende Studienfach zu finden. „Im ersten Semester haben wir Mathe studiert, sind dann aber ab dem zweiten Semester auf Physik umgestiegen, weil wir gemerkt haben, dass wir das spannender finden“, sagt Martin. Schon allein für diese Erkenntnis habe sich das Schülerstudium gelohnt.

Die Betreuung der Schülerstudenten wird bisher mit Drittmitteln bezahlt: „Die bayerische Wirtschaft hat das Ziel, mehr Abiturienten in die mathematisch-naturwissenschaftlichen Studiengängen zu locken“, erklärt Professor Ulm. In etwa einem halben Jahr läuft das Förderprojekt aus. Ulm hofft, dass die Uni dann für die Betreuungskosten aufkommt und das Schülerstudium auf weitere Studiengänge ausdehnt. Ihm zufolge profitieren nämlich nicht nur Wirtschaft und Studenten: „Es hilft auch der Uni Augsburg, weil man dadurch – mal ganz eigennützig gesprochen – gute Studierende an sich bindet.“ Zumindest bei Martin könnte diese Rechnung aufgehen. Statt Pläne-Schmieden steht für ihn jetzt aber erst einmal der Abschluss auf dem Programm. Studium plus Abitur – heißt das Tag und Nacht lernen? Bei Martin jedenfalls nicht: „Ich habe schon genug Freizeit. Immerhin habe ich genug Zeit, um Unterricht in Klavier, Cello und Blockflöte zu nehmen und Tennis im Verein zu spielen.“ Auch Nuhro hat trotz der Doppelbelastung nicht nur Lernen im Kopf – es scheint, als hätte der Tag bei den Jungstudenten mehr als 24 Stunden.

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