Im Karriere-Sog…Mitschwimmen oder Abspringen?

Karrieregeilheit ist „in“ – Ein Trend, so scheint es, dem man sich an deutschen Hochschulen nur schwer widersetzen kann. Mitten drin: die Young Professionals, die Elite, junge Studenten von heute, die die Führungskräfte von morgen werden wollen. Wie bei jedem Trend gibt es Trendsetter und Mitläufer, Gewinner und Verlierer, aber auch Menschen, die sich bewusst dagegen entscheiden und eine ganz andere Richtung einschlagen.

Von Laura Amenta

Wir leben in einer Gesellschaft, die gnadenlos in Gewinner und Verlierer unterteilt. Besonders von den Medien wird uns das tagtäglich vor Augen geführt. Nur eine kann Germany‘s Next Topmodel werden, hören wir Heidi Klum ins Mikro krähen. Und ob jemand mega scheiße oder mega geil ist, das erkennt Dieter Bohlen in weniger als 60 Sekunden. Respekt. Auch wenn es keiner zugibt: Wir lassen uns davon berieseln, lehnen uns auf dem Sofa zurück, zufrieden mit der Erkenntnis: Ich gehöre zu den Gewinnern. Doch in der Realität sieht das anders aus. Immer wieder aufs Neue müssen wir uns beweisen, uns vor anderen rechtfertigen, wenn wir Entscheidungen treffen, die nicht in das Schwarz-Weiß-Denken der Karrieregeilen passen. Die Unsicherheit ist groß, so dass man sich letztendlich doch alle Möglichkeiten offen halten will, um ja nicht aus dem Raster zu fallen. Ein Kommilitone macht Praktikum bei einer großen, namenhaften Firma. „Da muss man mal gewesen sein“, meint er. Ich weiß, dass ich in solch eine Firma überhaupt nicht reinpasse und mich ein Praktikum dort genauso wenig reizt, wie eine Kaffeefahrt zur nächsten Autobahnraststätte. Trotzdem denke ich darüber nach, schließlich machen es die anderen auch und es kommt schon gut im Lebenslauf. Dabei sollte man nicht vergessen, sich hin und wieder die eigentliche Bedeutung des Wortes Lebenslauf vor Augen zu führen. Schnell wird klar, dass es um viel mehr geht, als um ein Blatt Papier. Es ist der Verlauf des eigenen Lebens, das Wichtigste und Wertvollste, was wir haben. Um jede Lücke muss man fürchten, die Zeit immer so nutzen, dass sie von den Personalern als „sinnvoll“ bewertet wird.

Das Klassentreffen-Phänomen

Endlich auf der Seite der „Gewinner“ angekommen, liefert das aber keine Erleichterung. Im Gegenteil: Der Druck steigt. Wer sich nicht immer neue, noch höhere Ziele setzt, gilt in unserer Gesellschaft als langweilig und faul. Das Stichwort lautet „Optimierung“. Nicht nur Arbeitsprozesse werden ständig optimiert, auch im Privatleben hat der Optimierungswahn Einzug gehalten. Ich nenne es das Klassentreffen-Phänomen: Jedes Mal noch eins drauf setzen.
Mein Abitur ist erst vier Jahre her und schon trumpfen die ersten Ex-Klassenkameraden mit Festanstellung und Personalverantwortung auf. Kritisch werden die anderen beäugt, wer hat zugenommen, wer hat abgenommen, wer ist die Karriereleiter wieder ein Stück hochgeklettert, wer ist abgestürzt? Schnell steht ein Urteil fest. Was ich denn gerade mache, werde ich gefragt. Ich erzähle von meinem Praktikum bei Frauentausch. Verstohlene Blicke, Unsicherheit macht sich breit. Zählt die nun zu den Gewinnern oder doch eher zu den Losern? Pro: Arbeit beim Fernsehen, das kommt schon gut. Contra: Frauentausch. Nachdem ich ein paar lustige Praktikumserlebnisse geschildert habe, ist man sich einig: echt cool! Eine ist in ihrer Euphorie nicht mehr zu bremsen und ruft laut aus: „Laura macht voll Karriere!“ Schön, so niedrig sind die Ansprüche also schon gesunken. Drei Monate bei Frauentausch und ich zähle zu den Karrieregeilen – das gibt mir zu denken.

To win or not to win

Man kann also gar nicht selbst entscheiden, ob man sich zu den Gewinnern oder den Verlierern zählt, zu den Bodenständigen oder zu den Karrieregeilen. Darüber zu urteilen ist scheinbar Sache der anderen. Doch wie definiert sich ein Gewinner? Über Äußerlichkeiten, über Statussymbole, über beruflichen Erfolg, über Geld. Anhand dieser Kriterien ist schnell festgemacht, wer auf welcher Seite steht. Für die Vorstellung, dass man auch über andere Wege glücklich werden kann, ist der Horizont meist viel zu beschränkt.
Zurück zum Klassentreffen: Ein Bekannter erzählt, dass er nach dem Bachelor erst mal ein Jahr Pause machen will. Ein bisschen arbeiten, auf jeden Fall reisen und danach vielleicht den Master machen. Betretenes Schweigen am Tisch. Pause machen, Auszeit nehmen – Ist das heutzutage überhaupt noch erlaubt, wenn es nicht unter der Diagnose „Burn-out-Syndrom“ läuft?

Pauschalreise zum Lebensglück?

Alle sind auf der Suche nach dem richtigen Weg, aber Fakt ist: den kann man nicht als Pauschalreise buchen, am besten all-inclusive und immer schön sonnig. Den einen richtigen Weg gibt es nicht, denn jeder Mensch ist anders. Der eine braucht einen genauen Lebensplan, die Sicherheit als Angestellter in einem großen Unternehmen und findet darin seinen Lebensinhalt. Andere brauchen die Abwechslung, das Abenteuer und wollen sich als Selbstständige auch beruflich selbstverwirklichen. Im Endeffekt macht es die richtige Mischung: Unsere heutige Gesellschaft ist so ausgerichtet, dass wir Menschen brauchen, die bis zu einem gewissen Grad karrieregeil sind. Aber genauso dringend  benötigen wir auch Menschen, die individuell ihr eigenes Ding durchziehen, revolutionäre Ideen haben und denen es egal ist, was die anderen dazu sagen.
Ja, Karrieregeilheit ist „in“ – aber das waren Schlaghosen auch mal. Deshalb, liebe Studenten, entspannt euch, hört auf euch ständig mit anderen zu vergleichen und folgt eurem ganz eigenen, individuellen Trend.

 

Schreibe einen Kommentar