Emanzipation von den Eltern – ein alter Hut oder immer noch aktuell?

Studieren und Zweifeln gehören heutzutage häufig zusammen, meint unser Autor. Da sollte man wenigstens nicht am Studienwunsch der Eltern verzweifeln.

Von Reiner Schmidt

Im Zugabteil ist die Fragerunde losgegangen: Woher kommst du? Was machst du? Und wohin willst du? Diesmal macht es mir Spaß, also bleiben die Ohrenstöpsel im Rucksack und ich im Gespräch. Das Mädel neben mir steht vor der Bachelorarbeit in BWL und war für ein Praktikum in New York. „Ach wirklich?“ Die Bewunderung wird hörbar im Abteil. Sie genießt es, streicht sich den blonden Pony aus dem Gesicht und gibt ihre Unentschlossenheit preis: Soll sie den Master machen? Und wenn ja, wo?

Als sie fragt, was wir anderen machen, sagen ein Diplompolitologe und ich, dass wir uns für einen Master entschieden haben: Besser man hat den Master in der Tasche, gerade wenn man kein wirtschaftsorientiertes Fach studiert hat. „Ich hatte keinen Bock auf BWL, sondern wollte etwas mit Medien studieren. Jetzt schaue ich, wo ich unterkomme. Aber das klappt schon irgendwie“, sage ich. Da antwortet die BWLerin: „Lust hatte ich auch nicht auf BWL. Aber ich wusste nicht, was ich studieren sollte. Da meinten meine Eltern ich soll BWL machen. Das würde mir später etwas bringen.“

Vom Zweifeln zur Verzweiflung

„Ach so“, sage ich und muss schlucken. Studieren nach Elternwunsch. Ich wusste auch nicht, was ich studieren wollte, aber bei mir kam eine Frage zurück: „Was interessiert dich denn?“ Seit der Szene im Zug bin ich meinen Eltern wieder dankbar dafür. Natürlich wünschen sich meine Eltern eine gute Zukunft für mich und so muss ich von Zeit zu Zeit erklären, dass mein Studium, „Medien und Kommunikation“, nicht direkt zu Hartz IV führt. Das ist nicht einfach, denn Zweifeln ist dank diverser Unkenrufe und Hiobsbotschaften aus der so genannten freien Wirtschaft fester Bestandteil meines Studiums. Doch Hochschulpsychologen haben festgestellt: Die Gefahr, dass das Zweifeln zum Verzweifeln wird, ist um ein Vielfaches größer, wenn man sich das Studium nicht selbst gesucht hat, sondern dem Wunsch der Eltern gefolgt ist. Dann nagen nicht nur Selbstzweifel, sondern auch Unzufriedenheit an einem. Dies führt häufiger zum Scheitern und letztendlich in die Krise. Denn man muss sich und den Eltern gestehen, dass man das hochgelobte Studium in den Sand gesetzt hat. Und wie soll man das erst in Bewerbungsgesprächen erklären?

Lösen, zum eigenen Besten

Die Emanzipation von den Eltern ist selten einfach, gerade wenn man von der Schule direkt an die Uni wechselt. Die Eltern sind schließlich teilweise die Geldgeber und wenn es nur das Kindergeld ist. Aber irgendwann muss man sich lösen, zum eigenen Besten. Spätestens wenn ich höre, dass in der Studentenkanzlei Eltern anrufen und sich anstelle ihrer Kinder über den Studienverlaufsplan beschweren, lief bei der Emanzipation eindeutig etwas schief.

Ich habe im Zug damals nicht mehr viel gesagt und meine Ohrenstöpsel rausgeholt. Doch vielleicht hätte ich ihr einen Ratschlag geben sollen: „Mach diesmal das, worauf du Lust hast – und frag bloß nicht deine Eltern!“

 

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