Melting-Pot Auslandssemester

Vom Zusammenleben mit anderen Kulturen

Einige Monate im Ausland studieren – Das ist mittlerweile gang und gäbe bei deutschen Studenten. Auch für Arbeitgeber ist „Auslandserfahrung“ ein Kriterium bei der Bewerberauswahl. Andere Kulturen besser kennenlernen, Kontakte knüpfen und eine neue Sprache lernen – das sind Gründe, weshalb es so viele junge Menschen in die Ferne zieht. Während meines eigenen Auslandssemester habe ich erkannt, dass es dabei um viel mehr geht.

Von Martina Schnitzer – Fotos: privat

Spanien, Schweden und Frankreich, dort zog es einige meiner Kommilitonen bereits nach zwei Semestern hin. Unbegreiflich für mich. So lange von meinen Freunden, meiner Familie und von meinem Freund getrennt sein? Das kommt nicht in Frage, dachte ich mir. Der Entschluss den Sprung ins kalte Wasser doch zu wagen kam überraschend. Eines Morgens aufgewacht, erschien Bozen vor meinem geistigen Auge. Als Kind hatte ich schon oft meinen Urlaub in Südtirol verbracht und es lag nicht ganz so weit von zuhause entfernt. Prompt erfuhr ich, dass eine Kooperation zur „Libera Università di Bolzano“ besteht. Schnell auf einen Restplatz beworben, stand für mich nach drei Wochen fest: Italien, ich komme!

Neue Stadt, neue Menschen, neue Bräuche

In Bozen angekommen, war ich überwältigt von den vielen, neuen Eindrücken. Das Studentenheim, wohl eher ein 5*-Hotel mitten im Zentrum gelegen und die vielen Cafés, Bars und Boutiquen nur einen Katzensprung entfernt – einfach genial! Aber schon am Abend schlug die anfängliche Begeisterung ins Gegenteil um. Eigentlich in einer Dreier-WG untergebracht, verbrachte ich meine erste Nacht in der neuen, unbekannten Stadt mutterseelenallein und so fühlte ich mich auch – ich bereute meinen Entschluss. Am nächsten Morgen waren alle Ängste des letzten Tages verflogen. Das Treffen mit den Erasmus-Studenten stand vor der Tür. Fast 50 an der Zahl, aus aller Herren Länder, hatten sich ebenfalls für Bozen entschieden. Schnell lernten wir uns kennen und wurden Freunde – die anfängliche Einsamkeit war wie weggeblasen.

Austauschstudenten unter sich

Jeder war in derselben Situation: allein in einem unbekannten Land, das entdeckt werden wollte. Im Abenteuer Bozen fand ich schnell eine eingeschworene Gruppe, mit der die vielen Sightseeing-Touren noch mehr Spaß machten. Verständigungsprobleme gab es dabei nicht, denn Englisch wurde schnell zur „Lingua Franca“, also zur gemeinsamen Sprache zwischen uns. Wöchentlich veranstalteten wir einen Kochabend, bei dem jeweils eine „Nation“ für ihre Heimat typische Gerichte zubereitete. So lernten wir nicht nur Menschen, sondern auch deren Bräuche kennen und schätzen.

Andere Länder, andere Sitten

Ich muss zugeben, Vorurteile sind beim Zusammentreffen mit anderen Nationen immer im Spiel. Nicht aus Boshaftigkeit, sondern aus Unwissenheit. So war ich der Meinung, dass Mädchen aus muslimischen Ländern immer ein Kopftuch tragen. Eines Besseren belehrte mich meine Kommilitonin Gokce. Obwohl sie in der Türkei einen Freund hatte, wohnte sie in Bozen mit einem anderen männlichen Kumpan zusammen und trug nie ein Kopftuch.

Die Verhältnisse von Studenten aus Prag und Budapest unterscheiden sich sehr von unseren in Deutschland, erfuhr ich von zwei Kommilitoninnen. Obwohl manche Studentenbude auch bei uns alles andere als aufgeräumt ist, leben wir im Schlaraffenland. Die Armut, die in manchen anderen Ländern herrscht, kann sich in Deutschland niemand vorstellen. So fühlten sich die beiden Mädchen in Bozen wie im Himmel, denn „zuhause teilen wir uns zu siebt ein 1-Zimmer-Appartement“ erzählte mir Gabriella. Für uns Deutsche unvorstellbar.

Von meinen kanadischen Mitstudenten erfuhr ich, dass „kein Sex vor der Ehe“ dort immer noch weit verbreitet ist. Für die Kanadier war es unbegreiflich, wie ich mit meinem Freund schon über zwei Jahre zusammen sein kann und noch nicht mal ans Heiraten denke. In ihrem Heimatland würde längstens ein halbes Jahr „dating“ betrieben, dann folge die Hochzeit, erklärten sie mir. Das sei zwar nicht in ganz Nordamerika der Fall, aber in Teilen schon.

Kulturen im Uni-Alltag

Da die Uni Bozen dreisprachig ist, gibt es eine bunte Mischung aus den verschiedensten Kulturen. Vor allem Deutsche, Italiener und Südtiroler lernen und leben dort gemeinsam. Dabei besteht zwischen letzteren ein großer Unterschied. Die deutschen Muttersprachler aus Südtirol grenzen sich bewusst von den Süditalienern ab. Heutzutage würde man meinen, der Krieg sei vergessen und die Kulturen verschmolzen. So ist es jedoch nicht – noch nicht zumindest. Man spürt, dass es verschiedene Gruppierungen gibt: die eifrigen Deutschen, die engagierten Südtiroler und die lebenslustigen Italiener. Trifft nun auf diese Gruppierung eine weitere Kultur, wird mit Abwehr reagiert. Viele Erasmusstudenten haben mir erzählt, dass sie sich in den Vorlesungen isoliert fühlen. Ich habe diese Erfahrung nicht gemacht. Als Deutsche war  es für mich ein Leichtes, in die Gruppe der Deutschen zu gelangen, ebenso verhalf mir mein südbayerischer Dialekt (Südtiroler sprechen ebenfalls südbayerisch), die Südtiroler von mir zu überzeugen. Es scheint, gleich und gleich gesellt sich gern.

Einzigartig

Was ich während meiner Zeit in Bozen gelernt habe, kann mir niemand mehr nehmen. Dieses halbe Jahr hat mich geprägt. Meine Sicht der Dinge hat sich erweitert und ich bin weltoffener geworden. Ich habe gelernt, auf eigenen Beinen zu stehen. Auch wenn heutzutage, dank Globalisierung und Menschenrechten alle „gleich“ sind, gibt es Bereiche im Leben, wo sich Gegensätze abstoßen. Seien diese nun kultureller Natur oder durch unterschiedliche Schichtzugehörigkeiten bedingt. In anderen Bereichen wiederum ziehen sie sich an. Das heißt, man tauscht sich aus, ist an den Unterschieden zum Gegenüber interessiert und möchte etwas lernen. Schließlich machen uns die Unterschiede zu dem, was wir sind – Jeder für sich ein Individuum.

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