Die Leute und ihre Kleider – die Kleider und ihre Leute

Eine Campusreportage

Leute machen Kleider – darüber sind wir uns einig. Aber macht der Stoffüberzug auch uns? Macht er uns zu der Person, die wir sind? Zu jener, die wir gerne wären? Zu dieser einen Person, die wir eigentlich nie sein wollten? Ich habe mich auf die Suche gemacht nach Kleidung, die augenscheinlich „macht“. Jene Kleidung, die Jurastudenten zu Jurastudenten und Kunststudenten zu Kunststudenten werden lässt. Klischee komm‘ raus, du bist umzingelt – oder doch nicht?

Fragt man Wikipedia, den Guru der Neuzeit, so lernt man: Ein Klischee ist ein eingefahrenes Denkschema, das sich auf eine einer Menge von Personen oder Objekten zugeschriebene Eigenschaft bezieht. Klischees sind von Person zu Person unterschiedlich, je nach Einstellung und Umfeld. Sie helfen uns – welche Gestalt auch immer sie annehmen mögen – bei der Einordnung von Neuem, Unbekanntem – Schublade zu! Schön und gut, aber wir brauchen etwas Handfestes. Hier nun also meine persönlichen Klischees hinsichtlich studiengangsbezogener Uniformen, feinsäuberlich geordnet – nach ansteigendem Schweregrad:

Sportstudenten: Gut aussehend, aber immer im Ganzkörpersportmarkenüberzug

Kunst- und Kulturgeschichtsstudenten: Rothaarig (fragt nicht woher dieses Klischee kommt), farbenfrohe Kleidung, Lagenlook, Jutebeutel, wahlweise Nerdbrille

BWL-Studenten: Polohemd mit obligatorischem Stehkragen, Bootsschuhe und sportlich-moderne Umhängetasche für den Mann; George, Gina & Lucy Tasche, Daunenjacke mit Pelzkragen und Skinny-Jeans zu Ugg-Boots für die Frau. (Wir identifizieren auch den Business-Casual-Look)

Sozialwissenschaftsstudenten: Weite Kleidung (wahlweise gebatikt oder in den Farben gelb, rot, grün), Dreadlocks und/ oder Strickmützen im selben Farbkonzept, Bart

Mathematik-, Physik- und Informatikstudenten (natürlich alle über einen Kamm geschert): Keine modische Weiterentwicklung seit der Grundschule und schon gar nicht mit der Zeit, unpassend sitzende Kleidung (häufig das Phänomen der Hochwasserhose), unbedingtes Must-Have: Brille (vorzugsweise unauffällig), Rucksack (wahlweise von 4you)

Jura-Studenten: Aktentasche, Business-Look (oder wenigstens Anzugelemente), gerne auch mal Bootsschuhe und Ralph Lauren Polohemden für den Mann; Daunenjacke mit Pelzkragen (natürlich von Moncler), Louis Vuitton Tasche, hohe Schuhe oder Ugg-Boots, Perlenohrringe und weiße Blusen für die Frau. Burberry-Schals für alle!

 

Global-Business-Management-Studenten: Fusion von BWL- und Jura-Elementen, aber tendenzielle Orientierung Richtung Business-Look

Mit diesem gut gefüllten und angeheizten Pool an Vorurteilen und Klischees mache ich mich auf die Jagd. Die Jagd nach beidem: der Erfüllung meiner Klischees, aber auch der Widerlegung dieser – ich bin ja SO offen! An dieser Stelle würde ich gerne sagen: „Und ich musste nicht lange suchen…“. Aber diese Rechnung geht leider nicht auf. Das wirklich extrem lange Suchen und Warten auf DIE Person, DAS Klischee, DEN Klischeebruch gestaltet sich mühsam. Endlich aber begegne ich Reinhard. „Bist du Sportstudent?“

Ein komplexes Verhältnis zwischen Täuschung und Realität, zwischen Schein und Sein. Reinhard hat mich getäuscht. Mein spontanes Urteil „Ganz klar: Sportstudent“, abgewogen an meinem Kriterienkatalog, ein Trugschluss. Wir müssen uns allerdings eingestehen: Das erste spontane Urteil wird deutlich durch die Kleider beeinflusst. Das ist wohl menschlich, oder so. Zufrieden bin ich jedoch noch nicht. Die sichere Bastion meines Klischeekatalogs möchte ich nicht kampflos aufgeben. Ich warte und warte, kassiere eine Zurückweisung um die andere. Es zieht mich schließlich auf den „Olymp“ (Brutstätte der zukünftigen Höchstverdiener in Wirtschaft und Recht). Dort treffe ich schließlich Christina, Marie und Lisa. Ich gehe meine Checkliste durch: Ugg-Boots, Louis-Vuitton-Tasche, Pelzkragen an der Daunenjacke. Was meint ihr? Ich wäge BWL gegen Jura ab. Ach komm, die drei schreien doch förmlich nach Jura!

Bestärkt durch meinen Erfolg dringe ich weiter vor auf dem Olymp. Ich streife durch die nicht vorhandenen Menschenmassen und identifiziere Johannes kurzerhand als Juristen. Aber macht euch bitte selbst ein Bild.

Der arme Johannes wirkt gezeichnet. Grauen und Leid stehen ihm in Gesicht geschrieben, als er mir anvertraut: „Ich habe schon einiges gesehen: Glatze und Joggingjacke mit Glitzersteinen oder auch Siegelring zum Jogging-Anzug“. Man kann Johannes an dieser Stelle nur wünschen, dass er die Bilder irgendwann loswird. Irgendwann.

Die Luft auf dem Olymp wird langsam etwas dünn. Ich flüchte in Richtung Gebäude D, schüttele die herbe Erinnerung an Johannes Erzählungen ab und presche im Hörsaalzentrum wagemutig vor: „Hallo. Kann ich dich etwas fragen? Studierst du Kunst- und Kulturgeschichte?“

„Ich habe auch schon zwei Semester Jura studiert. Das war ganz schlimm. Die Klischees stimmen wirklich – alles ein Einheitsbrei da!“, erzählt mir Ann-Katrin. Aber seien wir doch mal ehrlich: Geht es nicht ebenso um jenes Einheitsbreiphänomen, wenn ich Ann-Katrin als Kunststudentin identifizieren kann? Ich verlasse Gebäude D. Drehe mich noch einmal um und betrachte die puristische Schönheit des architektonischen Gesamtkunstwerks. Passen sich die Studenten etwa ihrer Heimat-Fakultät an? So sind die Juristen und Wirtschaftswissenschaftler ebenso herausgeputzt, wie ihre modernen Gebäudekomplexe. Die Geisteswissenschaftler lässig, wie Gebäude D, das mit dieser fast unverschämten Hässlichkeit auf dem Campus „chillt“. Die Naturwissenschaftler unauffällig, aber doch irgendwie modern. Das wollen wir doch einmal überprüfen. Ich wage mich erneut in Richtung Olymp. Dort, im WiWi-Gebäude treffe ich Regina. Kunst- und Kulturgeschichte, oder?

Alle Studenten sehen doch irgendwie gleich aus? Nie im Leben! Gerade die BWLer repräsentieren doch ein klischeehaftes Volk, oder? Regina bringt mich zum Nachdenken. Sie sagt, dass BWL ein so großer Studiengang sei, da hätten Klischees gar keinen Platz im Hörsaal. Ich erlaube mir diese Erkenntnis, aber nur, weil ich dafür ein anderes Klischee parat habe: Jeder, der nicht weiß, was er studieren soll, macht BWL. Ich verspreche das BWL-Klischee für immer aus meiner Klischee-Checkliste zu streichen – wenn auch widerwillig.

Als nächstes fange ich Franzi ab. Sie kostet mich einen Spurt, meinen Atem und hoffentlich auch die ein oder andere Kalorie. Aber sie juckt das kein bisschen; Franzi steht einfach lässig da – wie eine Geisteswissenschaftlerin?!

Dass Franzi, versteckt hinter ihren Haaren, Perlenohrringe trägt, entgeht mir nicht. Perlenohrringe, Leute! Gehen wir unsere Checkliste für Global-Business-Management (siehe Jura/ BWL) durch, finden wir dieses kleine, aber feine Must-Have wieder. Wollte sie uns mit ihrem lässigen Kokon etwa hinters Licht führen? Sind „Klischeejäger“ wie ich etwa schon bekannt und bekämpft? Ich bekomme auf einmal ein ungutes Gefühl: Was, wenn all jene Studenten, die ich in den letzten Tagen meiner Jagd als „unauffällig“ abgestempelt habe, hinter ihrer Fassade aus Winterjackenungetüm und Schal eine klischeeträchtige Erscheinung versteckt hielten? Ich stolpere in Richtung Bibliothek. Dort sehe ich einen nackten Burschen. Nackt im Sinne von fassadenfrei, jackenfrei – oder was habt ihr jetzt gehofft? Zuletzt nun ein Rätsel: Was studiert Pascal wohl?

„Ich werde beim Staatsexamen keinen Anzug anziehen“, verrät mir Pascal. Er findet das lächerlich – besonders an Erstsemestern, die mit ihrem herausgeputzten Erscheinungsbild (erfolgreich) Kompetenz vortäuschen. „Außerdem muss Studieren bequem sein!“. Pascal strahlt sie aus, diese Lässigkeit. Ich möchte ihm gerne empfehlen, zu den Geisteswissenschaften zu wechseln, wo Lässigkeit ein hoch geschätztes Gut zu sein scheint, halte aber inne, da er auf mich wirkt wie ein Pionier innerhalb der Juristerei.

Am Ende meiner Ermittlungen bin ich, wenn auch nicht erleuchtet, dann wenigstens etwas erhellt. Klischees haben wir alle, die meisten davon sind jedoch nicht verallgemeinerbar. Das generelle Auftreten des modernen Studenten erscheint mir recht ähnlich. Daunenjacken und Wollschals sind offensichtlich der Renner – wie spektakulär! Klar gibt es den ein oder anderen typischen Vertreter eines Studiengangs, aber vielleicht geht dieser einfach nur sehr in seinem Studium auf – man will es doch gar nicht wissen. Es zeigt sich letztlich, dass DER Sozialwissenschaftsstudent oder DER BWL-Student nicht existiert, sondern nur DER Student. Oder versteckt sich das wahre Gesicht eines jeden tatsächlich hinter den Jacken- und Mantelschichten? Diese Frage kann ich euch leider nicht beantworten. Erst wenn der erste frühlingshafte Windzug über Augsburg streift und die ersten Schweißperlen unter den Mantelbergen hervorkriechen, dann lüftet sich dieses Geheimnis vielleicht. Seid wachsam.

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