Brothers in Spiritu

Christopher Große und Michael Sentef glauben, was sie wollen

Im Anfang war SEIN Wort: Nun sagt, wie habt ihr’s mit der Religion? Ihr seid herzlich gute Männer, allein ich glaub, ihr haltet nicht viel davon. Schreibt mir eine Glaubensglosse! Wir: Äh oh, das haben wir schon einmal irgendwo gehört. Ganz so gottlos sind wir eigentlich nun auch wieder … ER: Genau darum geht es, Ketzer, Häretiker, Wüstgläubige, unfähige Schreiberlinge, ihr! Wir: Hier stehen wir, wir können nicht anders. Gott helfe uns, Amen! [Tief errötet, mit schamhaftem Blicke ab.]

Voilà, die tiefgläubigste Glosse der Welt um das Thema Glaube. [Mönchsgesang an.]

Der eine von uns (MS) weilt bekanntlich derzeit in Kalifornien. Der Kalifornier glaubt an alles – und an nichts. Glaubenstechnisch ist Kalifornien eine wundersame Selbstbedienungsoase des “anything goes”. Hier koexistieren fortschrittsgläubige Technikjünger, die sich allwöchentlich zur iPad-Anbetung im Apfeltempel versammeln, mit rechtgläubigen Mexikanern, die garantiert wenigstens an die Kraft der Pickups und Tequilas glauben. Und mit fitnessgläubigen Vorzeigemamis in Atherton (Durchschnittsanwesen vier Millionen Dollar, Durchschnittsfamilie drei Kinder, zwei Hunde, ein gutverdienender Ehemann im Biotech-/IT-/Immobilienbusiness). Und mit designermodegläubigen neureichen Asiamamis in artgerechten High Heels und Vera Wangs, die regelmäßig drei bis sieben Mal die Woche das Stanford Shopping Center anpilgern und sich zur heiligen Champagnerkommunion im Blow Dry Salon einfinden, wo sie sich die Messe des heiligen Sankt Ombré fönen lassen. Oder dem Brazilian Blowout frönen. (Die beste Mami von allen merkt an, dass die Asiamamis sicher nicht dem Brazilian Blowout frönen, da sie ja schon glatte Haare haben. Man verzeihe dem einen von uns sein blowdrytechnisches Halbwissen.) San Francisco schließlich, die Anmutige, die schmutzig Schöne, die bronzene Stadt am goldenen Gate, bietet eine Mixtur an Glauben und Unglaublichem, dass sowieso alles zu spät ist. Wer einmal die Folsom Street Fair Ende September besucht hat, wird verstehen, was eine lacklederne Jeder-mit-Jedem Straßensuppe inklusive public spankings (natürlich für einen guten Zweck, so wie die allsonntägliche Kollekte) mit einem unerschütterlichen Glauben an die ewige Jugend (des eigenen Körpers) zu tun haben muss. Kalifornien ist ein bunter Glaubenszirkus, ein Varieté der quasispirituellen Verehrung von allem – und von nichts. Denn während hier und heute so vieles gern geglaubt wird, ist doch morgen das meiste wieder vergessen und stets nur das Allerwenigste wirklich heilig.

Der andere von uns (CG) glaubte immer, das mit dem Glauben sei so eine Art Privatsache. Bevor er nach Bayern übersiedelte, wusste der andere von uns als einziges verbliebenes kirchensteuerpflichtiges Mitglied seiner Familie nur vom Lohnsteuerzettel, dass er einer Glaubensgemeinschaft angehörte. Er stammt ja auch aus einem Bundesland (Perle Preußens – gottlos, aber sexy), in dem die paar gläubigen Protestanten, Katholiken, Moslems und Juden allermeist friedlich neben der Mehrheit an Nicht-Kirchenmitgliedern koexistieren und in dem Religion (folglich) schon seit ganz schön langer Zeit kein ordentliches Schulfach mehr ist und in dem der andere von uns so auch mit 14 Lenzen selbst entscheiden durfte, ob er noch am (freiwilligen) Religionsunterricht teilnehmen wolle oder nicht. Die meisten Mitschüler wollten naturgemäß lieber länger schlafen. Und so hat der andere von uns auch bis heute ein schlechtes Gewissen, dass er damals zum Religionslehrer sagte, er und die vier anderen einzig verbliebenen Freiwilligen blieben nur im Religionsunterricht, wenn ab jetzt statt des Unterrichts Fußball gespielt würde. Er und die anderen vier „Religionsschüler“ lernten fortan den Glauben auf dem Bolzplatz kennen. Der andere von uns ist sich tief in seinem Herzen sicher, dass das im Grunde niemandem geschadet hat, da ja auch der Religionslehrer ein ordentlicher Kicker war. Allerdings rechnet der andere von uns auch fortwährend damit, dass er für diese kleine – sagen wir: Beugung – irgendwann wird gerade stehen müssen. Aber sowas von. So ist das nämlich bei den Protestanten, weiß der andere von uns: Irgendwann ist Zahltag, Abrechnung, Payback, Schluss mit lustig. Nix mit Beichte, drei Ave Maria, und alles ist wieder gut. Hinten sind die Enten fett. Aber als in sich gekrümmter Mensch erkennt der andere von uns glücklicherweise ohnehin nur einen Teil seiner Sünden (besser isses).

Wir schickten ihm die tiefgläubige Glaubensglosse.

ER: Paaah! Bekennt einander eure Sünden …! Ich werde euch die Hölle auf Erden bereiten … [Reckt einen Stock zur Kasteiung.]

Wir [eilig]: Halt ein, halt ein, vergib uns, denn wir wissen nicht, was wir tun!

ER: Stimmt auch wieder.

[Gemeinsam Choräle trällernd ab.]

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