Erwartungen an Franziskus

Oder: Der Papst war schon mal in Augsburg!

„Schönen Sonntag und einen guten Appetit“, wünschte er nach seinem ersten Angelus-Gebet: Franziskus ist volkstümlich und unkonventionell, ein Papst der Überraschungen. Dass er bereits in Augsburg war, ist eine davon.

Auf der Internetseite des Guardian kann man sich seinen eigenen Papst basteln. Die britische Tageszeitung stellte das interaktive Spielzeug bereits vor der Wahl online: Der User kann verschiedene Kriterien auswählen, die er sich für den Papst wünscht; die Webseite zeigt dann die Kardinäle an, auf die diese zutreffen. Filtern lassen sich die Amtsanwärter etwa nach Alter oder nach ihrer Einstellung zur Verhütung. Die Befürwortung der  gleichgeschlechtlichen Ehe ist nicht einmal als Kategorie vorhanden. Und möchte man ein Kirchenoberhaupt, das sich aktiv mit dem Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche auseinandersetzen will, schrumpft die Zahl der geeigneten Kardinäle rasch von 150 auf 14.

Dennoch: Als im März dieses Jahres aus dem Schornstein der Sixtinischen Kapelle weißer Rauch aufstieg, versetzte das Hunderttausende von Menschen in hoffnungsfrohe Aufregung. Und als der gewählte Papst auf den Balkon getreten war, herrschte für einen Augenblick seltene, andachtsvolle Stille auf dem Petersplatz: „Bevor ich euch segne, tut mir einen Gefallen: Bittet den Herrn, mich zu segnen“, hatte Franziskus zu den Gläubigen gesagt. Sein bescheidenes Gesuch an das Volk hat viele erstaunt. Irgendetwas, so schien es, war anders an dem neuen Papst.

„Er geht mitten unters Volk”

Und tatsächlich: Franziskus, ehemals Erzbischof Jorge Mario Bergoglio, verstößt gerne gegen das Protokoll. An seinem ersten Arbeitstag betritt er die Basilika durch einen Seiteneingang. Er weigert sich, den päpstlichen Palast zu beziehen. Verlegt die Gründonnerstagsmesse in ein Jugendgefängnis und wäscht dort die staubigen Füße der Gefangenen, auch die der Frauen. Und, vermutet der Augsburger Stadtpfarrer Anton Schmid, macht seinen Leibwächtern das Leben schwer. „Er geht mitten unters Volk“, freut sich Schmid. Und beweist Furchtlosigkeit vor den Ausgegrenzten, den an den Rand der Gesellschaft Gedrängten.

„Die Zeichen, die seine Macht unterstreichen, will er nicht“, bestätigt der Jesuitenpater Thomas Gertler, der in Augsburg als kirchlicher Assistent der Gemeinschaft Christlichen Lebens arbeitet und lebt. Franziskus trägt einfaches Weiß statt eitles Gold und ein blechernes Brustkreuz statt seidenem Schmuck. Und rotes Schuhwerk, so Gertler, könne er ohnehin nicht anziehen: „Er muss nämlich orthopädische Schuhe tragen.“ Die vielzitierten feuerfarbenen Slipper seines Vorgängers Benedikt XVI. waren gleichsam zum Symbol für den zur Schau gestellten Reichtum und Einfluss der katholischen Kirche avanciert.

In Augsburg heimisch, in Argentinien berühmt

Interessanter als die schwarzen Schnürschuhe, die Franziskus stur anbehält, sind ohnehin die Orte, an denen er mit ihnen schon gewesen ist: Es muss in den frühen Achtzigerjahren gewesen sein, mutmaßt Gertler, als der einstige Erzbischof von Buenos Aires seine Ordensbrüder in Augsburg besuchte. Damals hatten die Jesuiten noch eine Niederlassung in der Innenstadt, die vor drei Jahren aufgelöst wurde. In der Kirche St. Peter am Perlach, in der die Brüder zu jener Zeit die tägliche Messe hielten, gewann Bergoglio ein Bild lieb, das in Augsburg heimisch, in Argentinien mittlerweile berühmt ist: die Knotenlöserin.

Das Ölgemälde zeigt Maria, einen verknoteten Faden entwirrend, den ihr ein Engel reicht. Darüber schwebt, als blaugraue Taube, der Heilige Geist. „Ursprünglich steht das Band für das Eheband“, sagt Gertler, der als letzter Jesuit in der Fuggerstadt aktiv ist. „Ein Prälat hat das Bild malen lassen, weil es in seiner Familie ein Eheproblem gab.“ Bergoglio habe Postkarten der Muttergottesdarstellung in sein Heimatland gebracht, wo es vervielfältigt wurde und seitdem verehrt wird. „Das Gemälde ist sehr aktuell“, sagt Schmid: „Überall gibt es Knoten, in der Politik und im eigenen Leben.“

Bedenken statt Begeisterung

Damit, dass der Argentinier Jahre später einmal Papst wird, hat niemand gerechnet – am wenigsten seine Ordensbrüder. „Wir waren sehr verwundert“, sagt Gertler. Denn: Dass ein Jesuit hohe kirchliche Ämter anstrebt, sei nicht vorgesehen, ja vom Ordensgründer Ignatius von Loyola sogar ausdrücklich nicht gewollt. Das liege daran, dass sich der Jesuit als Diener versteht; als Gesandter, nicht als Sender. „Würden annehmen hieße, unsere eigenen Totengräber zu sein“, soll Ignatius einmal gesagt haben. Zudem, so Gertler, haben die Ordensbrüder ein Gelübde abgelegt, in dem sie dem Papst besonderen Gehorsam versprechen. Doch: „Inzwischen sind wir alle sehr hoffnungsvoll und froh.“

Hohe Erwartungen weckte Franziskus auch aufgrund der Wahl seines Namens: Dieser geht auf Franz von Assisi zurück, der auch Schmids Kirche seinen Namen leiht. Im Inneren steht eine 2,70 Meter hohe Figur des Heiligen, dargestellt in schlichter Kutte als Zeichen für sein freiwilliges Leben in Armut. Die Schöpfung soll er ausnahmslos geliebt haben. Daran erinnern Schnitzereien von Vögeln, welche die Orgel zieren: Ihnen predigte er angeblich, ohne dass sie fortflogen. Auch der Papst, sagt Schmid, werde sich vehement einsetzen für die Schwachen, die Kranken, die einfachen Leute.

Begrenzt und endlich

Franziskus kritisiert die „Selbstbezogenheit“ der katholischen Kirche und plant eine Reform der römischen Kurie. Neuerungen im Bereich der gleichgeschlechtlichen Ehe sind von ihm aber nicht zu erwarten. Immerhin den Missbrauchsskandal adressiert er etwa einen Monat nach der Wahl: Von der Glaubenskongregation fordert er, so heißt es in einer Mitteilung des Vatikans, bei Fällen sexuellen Missbrauchs „mit Entschiedenheit“ zu handeln.

„Man soll nicht auf den Papst hoffen wie auf den lieben Gott“, warnt Pater Gertler. „Er ist genauso begrenzt und endlich wie alle Menschen.“ Es tut gut, sich das ab und an ins Bewusstsein zu rufen angesichts all der Menschen auf dem Petersplatz mit dem Kopf im Nacken und der Sehnsucht in den Augen.

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