Religion – essentieller Lebensinhalt oder unnötiges Relikt?

Über den Platz der christlichen Kirche im studentischen Leben

Quo vadis, Religion? Das Christentum, die in Deutschland vorherrschende Religion, ist angeschlagen. „Mehr Kirchenaustritte als Taufen“ ist eine populistische Darstellung der  Zahlen. Doch welchen Platz nimmt die Religion überhaupt noch in unserem Leben ein? Von vielen jungen Erwachsenen wird Religion als zu starr angesehen, die sich nicht in ihren flexiblen Lebensplan einflechten lässt. Vielleicht interessieren wir uns gar nicht mehr für einen Gott. Und die Institution Kirche hat seit den jüngsten Missbrauchsskandalen sowieso an Ansehen verloren.

 

Von Daniela Steffl

Laut Bischofskonferenz im Jahr 2012 gehörten 24.472.817 Menschen dem katholischen Glauben an. Das sind knapp 30 Prozent der Gesamtbevölkerung in Deutschland. Vor zehn Jahren waren es noch zwei Millionen mehr. Ist das ein klarer Abwärtstrend, der vor allem von jungen Menschen in Deutschland ausgeht? „Eindeutig nein“, sagt die Deutsche Bischofskonferenz. Denn 2011 lag die Austrittsrate zum ersten Mal seit einigen Jahren wieder unter der Zahl der Taufen und Eintritte in die katholische Kirche.

Einladung zum Gespräch

Ein Brief vom Pfarrer? Das ist wohl für viele von uns ein befremdlicher Gedanke. Die Deutsche Bischofskonferenz hat im Herbst 2012 beschlossen, dass sie etwas gegen die hohen Austrittsraten aus der katholischen Kirche tun muss. Sie verabschiedete ein Dekret, das besagt, dass jeder, der aus der Kirche austreten möchte, zum Gespräch mit dem ortsansässigen Pfarrer eingeladen wird. Wir sollen uns also in Zukunft, wenn wir keine Kirchensteuer mehr zahlen wollen, vor dem Pfarrer erklären.

Harte Worte finden die Bischöfe für die Abtrünnigen. Sie begehen eine „schwere Verfehlung gegenüber der kirchlichen Gemeinschaft“ und werden nicht mehr als katholisch angesehen. Ob das den Menschen, die einfach nur ein paar Euro mehr auf dem Gehaltszettel haben möchten, bewusst ist? Immerhin spart man sich bei einem Austritt acht Prozent des Gehalts. Wenn dieser Beschluss tatsächlich umgesetzt würde, dann hätten die deutschen Pfarrer alle Hände voll zu tun. 126.488 Katholiken haben im Jahr 2011 in Deutschland der Kirche den Rücken gekehrt. Und wer weiß schon, ob durch ein Gespräch mit dem Glaubensmann tatsächlich mehr Abgekehrte wieder zum Glauben finden.

Wer zeigt mir den Weg?

Typisch für unsere Leistungsgesellschaft frage ich nun: „Was habe ich für einen Nutzen von einer Religion?“ Für die fast 50 Millionen Christen in Deutschland ist ihre Religion ein Anker, eine Orientierung. Letztere suchte auch Michael B. in seinem Leben. „Mir war mein Umfeld zu ‚laut‘“, sagt der junge Student heute. Mit der Freundin lief es nicht gut und ein Umzug stand an. „Ich hatte das Gefühl, dass es Zeit war, einfach loszugehen.“ Er begab sich auf Pilgerreise. Obwohl er sich selbst als nicht wirklich religiös beschreibt, hat er auf den 700 Kilometern Fußmarsch über sein Leben nachdenken können. Besonders nahe geht ihm auch heute noch der Moment, als er in Cruz de Ferro angekommen war. Er legte dort ein Andenken an einen verstorbenen nahen Verwandten ab, das er die ganze Zeit über im Rucksack hatte. Es war aber nicht jeder Tag von reinigenden Erfahrungen geprägt. Michael erzählt, dass er sich an eine Tagesetappe erinnere, die ausschließlich aus einer Staubpiste entlang einer Autobahn bestand. Nach der Quälerei stellte er fest, dass er sich verlaufen hatte und sich auf der falschen Route befand. „In solchen Momenten stellt man seine Pläne schon mal in Frage“, weiß er. „Aber man merkt sehr schnell, dass im Staub sitzen einen auch nicht weiterbringt.“ Er fand buchstäblich auf den richtigen Weg zurück und nutzte die Zeit, um aus dem Unialltag, aus der Beziehung und aus dem Leistungsdruck auszusteigen. Verändert hat er sich durch die Zeit auch körperlich. Noch in Spanien ließ er sich zusammen mit zwei Weggefährten ein Tattoo auf den Unterarm stechen. Das Motiv ist naheliegend: eine Jakobsmuschel.

Tatsächliche Entscheidungsfreiheit?

Zur Suche nach unserem Leben mit oder ohne Religion, und vor allem wie dieses aussehen soll, gehört eine entscheidende Voraussetzung. Wir können uns in Deutschland aussuchen, welcher Religion wir angehören möchten. Oder ist der Paragraph vier im Grundgesetz im täglichen Leben so nicht anzutreffen? Unsere Eltern entscheiden, welcher Religion, und ob wir überhaupt einer Religion angehören. Die Studentin Regina kommt aus einem kleinen Dorf in Bayern. Sie erzählt mir, dass junge Eltern öfter ihre Kinder evangelisch taufen lassen möchten. Sie selbst fühlen sich trotz katholischem Glauben mehr zur evangelischen Kirche hingezogen. Doch das ist undenkbar. Bereits in der Grundschule wären der Sohn und die Tochter Außenseiter. Religionsunterricht ist katholisch. Nur wenige „Zugezogene“ gehen in die andere Religionsklasse. Sieht so freier Wille aus? Sicher, in Deutschland treffen wir auf solch strenge Traditionen nur noch im ländlichen Raum. Aber es spiegelt die Reformbedürftigkeit der christlichen Kirche wider.

Wir Studierende wehren uns immer so sehr gegen Vorgaben, die wir durch unsere Eltern bekommen. Wir haben mehr denn je die Chance zu mehr Bildung und steilerer Karriere als unsere Eltern. Es ist gut, dass wir unabhängig denken und unsere eigenen Erfahrungen machen wollen. Doch nicht alle Traditionen sind schlecht. Die christliche Kirche in Deutschland muss sich verändern. Das steht außer Frage. Es hilft einem Boot aber meist mehr, wenn bei Gefahr alle zusammen rudern als dass alle von Bord springen. Vorausgesetzt der Steuermann findet den richtigen Takt, dem alle folgen können.

 

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