240 Bagels in vier Monaten

Rückblick auf ein Auslandssemester in Washington, D.C.

Pancakes, Bagels, Donuts: Natürlich habe ich nicht nur gegessen in Washington. Aber fast. Vier Monate habe ich in der amerikanischen Hauptstadt studiert. Es ist nicht schwer, sich dort wohlzufühlen. Eine kleine Retrospektive.

IMG_1010_mit Wimpel

Die Metro fährt ein. Trotz Jetlag habe ich mich an meinem ersten Tag in Washington vor die Tür gewagt. Ein Reiseführer lugt aus meiner Handtasche. Ich will los, will mich hineinstürzen in diese Stadt, die für die nächsten Monate mein Zuhause sein wird. An der American University studiere ich Journalismus, zwei Tage pro Woche verbringe ich mit einem Praktikum bei einer amerikanischen Tageszeitung. Hier werde ich lernen, arbeiten, leben. Und ich will sofort damit anfangen.

Sophias Eindrücke aus Washington sind der Auftakt zu unserer Reihe “Korrespondentenbericht“. Presstige-Redakteure berichten darin von ihren Auslandssemestern.

„Excuse me“, rufe ich deshalb, haste die U-Bahn-Rolltreppe hinunter, sehe, wie sich die Türen zu schließen beginnen. Das schaffe ich noch, denke ich. Mehr als 20 Jahre in Deutschland haben mir ein Grundvertrauen in die Lichtschranke verliehen. Washington gelingt es, dieses in Sekundenschnelle zu zerstören. Denn anders als erwartet, öffnen sich die Türen nicht, als mein Körper sich in den kleiner werdenden Spalt schiebt. Vielmehr spüre ich, wie sich ihre harten Kanten in meinen Arm bohren.

Es bedarf der Zugkraft zweier Männer im Bahninneren, um mich zu befreien. „Thank you“, hauche ich. Die restlichen locals haben ihre Ausgaben der Washington Post gesenkt und schütteln missbilligend die Köpfe. Tourist, denken sie, und balancieren geschickt ihre Kaffeebecher zwischen den Knien, während mich der heftige Ruck der Anfahrt gegen die Rückseite der nächsten Sitzbank presst. Ich lasse mich in einen Sitz fallen und verdecke den Reiseführer mit meinen Händen. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, merke ich, ist tatsächlich vieles möglich. Zwischen zwei blechernen Türen zermalmt zu werden zum Beispiel.
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Der Campus der American University

Als Halbamerikanerin habe ich das Glück, ansonsten keinen allzu großen Kulturschock zu erleben. Ich wundere mich nicht, wenn mir jemand auf dem Gang „Hi, how are you“ zuruft und weitergeht, ohne jemals abzuwarten, wie es mir eigentlich geht. Ich stehe nicht ratlos vor dem irrwitzig überdimensionalen Müsliregal und versuche, mich zwischen „Banana Nut Crunch“ und „Waffle Crisp“ zu entscheiden. Und anders als meine deutschen Kommilitonen, die so sehnsuchtsvoll vom heimischen Brot sprechen wie von einem komatösen Liebhaber, gehe ich lieber eine intime Beziehung zum Bagel mit Frischkäse ein, der nirgends so gut schmeckt wie in Amerika. Mein Resümee: Es ist möglich, jeden Tag etwa zwei Mahlzeiten mit dem runden Gebäck zu ersetzen, ohne Mangelerscheinungen zu erleiden.

Ähnlich kann ich mich auch für chocolate glazed donuts und die Pancakes des Diners „Open Citybegeistern. Das uramerikanische Lokal finde ich nicht in meinem Reiseführer, sondern bei einem Spaziergang durch Adams Morgan, einem multikulturellen Stadtviertel in Washington.

DSC07197bDer Reflecting Pool mit dem Washington Monument im Hintergrund

Das air conditioning hingegen macht auch mir zu schaffen. An der Uni erkennt man die internationals daran, dass sie auch im schwülen Augustwetter eine Jacke mit sich herumtragen. Es könnte ja sein, dass man ein Gebäude betreten muss. Dort bläst einem die Klimaanlage unweigerlich kalte Luft in den Nacken. Die Frage, mit wie vielen Decken man denn schläft (drei), wird zum beliebten Smalltalk-Thema.

Natürlich bleibt es das nicht. Denn Washington ist ein bisschen wie ein Umsteigeflughafen: Weil hier niemand sehr lange bleibt, fühlen sich alle sehr schnell zu Hause. Das politische Zentrum Amerikas ist schnelllebig und für viele nur ein Zwischenstopp, ein Lebenslaufabschnittsgefährte. Spiegel Online bezeichnete es einmal als „Praktikanten-Hauptstadt“. Andererseits ist es nicht schwer, sich hier heimisch zu fühlen. Die Professoren stellen sich mit Vornamen vor. Wegen meines Pressepasses darf ich im Kapitol ein- und ausgehen, wie es mir beliebt. Sogar dann, als der Kongress die Verwaltung zum Stillstand bringt, weil er sich nicht auf ein Haushaltsbudget einigen kann.

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Das Kapitol

Während des sogenannten government shutdown umstellen weiße, metallene Barrikaden die berühmtesten Denkmäler der Stadt. Wer im öffentlichen Dienst arbeitet, muss entweder zu Hause bleiben oder bekommt seine Arbeit nicht bezahlt. Der Zoo hat geschlossen. Die Nationalparks darf niemand betreten. Die meisten Museen haben zu. Für einen Zeitungsartikel laufe ich durch die Stadt und befrage Besucher, wie sie sich fühlen. Die meisten sind traurig. Sie zählen auf, worauf sie sich besonders gefreut hatten.

Ein Österreicher aber erzählt mir, dass er nicht überrascht ist: „America“, seufzt er resigniert. „It’s a funny country.“ Stimmt, denke ich. Doch wie einen verrückten Verwandten, an dem es zwar viel zu beanstanden gäbe, liebe ich es dennoch so, wie es ist.

An meinem letzten Praktikumstag ist mein Nachhauseweg längst Routine. Ich laufe die Rolltreppe hinunter, warte am Bahnsteig. Statt der Washington Post trage ich eine Ausgabe der Street Sense mit mir herum, eine Zeitung, die Obdachlose unterstützt und für die ich gerne Werbung mache. Statt eines Kaffeebechers halte ich einen glasierten Schoko-Donut in der Hand. Vielleicht mein letzter, denke ich wehmütig. Die Metro fährt ein.

IMG_0262bGedenken an den Elften September

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