Gehört ein Doktortitel zum Namen?

Als einziger Bildungsabschluss gilt der Doktor in Deutschland als Namenszusatz und kann im Pass eingetragen werden. Ist dieses Privileg berechtigt?

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Text: Dr. Christopher Große & Christian Endt – Illustration Natalia Sander

Ja, findet Dr. Christopher Große

Eigentlich muss man sich fast schämen, einen Doktortitel zu führen. Angesichts einer nicht mehr enden wollenden Debatte über die Qualität deutscher Promotionen und immer neuen Negativbeispielen geltungsbedürftiger Politiker oder Wirtschaftsvertreter darf die Frage erlaubt sein, inwieweit der Titel dem Träger überhaupt noch zur Zierde gereicht. Ich kenne Menschen, die sich ihre Promotionsurkunde haben rahmen lassen, um sie auf einem für jedermann gut sichtbaren Ehrenplatze auszustellen – über dem Klo. Fakt ist: Promotionen sind heute im Schnitt deutlich länger als noch vor 40 Jahren. Das allein ist kein Qualitätsausweis. Es könnte aber zumindest ein Indiz dafür sein, dass die Diskussion um Titel zu anderen Zeiten ebenfalls ihre Berechtigung gehabt hätte.

Die Promotionsurkunde der Universität Augsburg ist nicht unbedingt das, was man als spektakulär bezeichnen würde. Einziger Schmuck neben den schwungvollen Unterschriften von Präsident und Dekan ist ein gestanztes, kaum wahrnehmbares Universitätssigel. Schmücken kann ich mich mit diesem A4-Blatt schwerlich. Dabei zählen wie so oft im Leben eher die inneren Werte.

Beim Doktor handelt es sich eigentlich um den Nachweis einer wissenschaftlichen Leistung. Und natürlich weiß ich, dass der Titel genau daraus seine Legitimation zieht und seinen Träger für genau dieses Umfeld qualifizieren soll. Da aber leider nicht jeder seine wissenschaftliche Karriere konsequent fortsetzen kann, finde ich es wenig verwerflich, den Qualifikationsnachweis auch außerhalb der wissenschaftlichen Welt zu gebrauchen. Im Übrigen wenig anders als bei anderen Titeln: Wie oft haben wir uns gefragt, ob man für diesen oder jenen Job tatsächlich das „erfolgreich abgeschlossene Hochschulstudium“ benötigt? Es schwante uns: Es geht nicht um den Titel. Es geht in unserer Jobwelt, in der alles immer globaler, schneller, weniger verlässlich und greifbar erscheint, um etwas vollkommen anderes: um Substanz. Es geht um den Ausweis einer besonderen Leistung, einer nützlichen oder weniger nützlichen fachlichen Expertise. Und wenn ich von meinem Chef nach allen Regeln der Kunst zusammengefaltet werde, er mich dabei aber wenigstens konsequent mit meinem Doktor anbrüllt – dann weiß ich, dass es zugleich um soviel mehr geht: um meine Würde.

Ausgabe 26: MachtDieser Artikel erschien zuerst in Ausgabe 26 unseres gedruckten Magazins.

Ob mir der Doktor im Arbeitsleben mehr nützt als schadet, kann ich nicht beurteilen. Mitunter sorgt er für Distanz, manchmal sogar für Argwohn oder Neid. Für manche Positionen oder Aufgaben bin ich „überqualifiziert“. Mehr Geld als meine Kollegen ohne Doktortitel verdiene ich nicht, dafür habe ich während meiner Promotionszeit deutlich weniger verdient als die Meisten von ihnen. Tägliche Arbeit und üblicher Stress unterscheiden sich ebenso wenig. Meine amerikanischen Kollegen finden es eher albern, dass auf meiner Karte und in meinem E-Mail-Absender immer ein Dr. vor dem Namen klemmt, obwohl ich gar kein Arzt bin.

Für mich ist der Doktor auch im digitalen, globalen 21. Jahrhundert kein Auslaufmodell. Er ist genauso wenig antiquiert wie ein Studium an einer deutschen Hochschule. Und er hat seine Berechtigung genau wie viele andere Leistungs- und Qualifikationsnachweise. Ein klein wenig mehr Demut indes täte vermutlich vielen Menschen gut – in Wirtschaft, Politik und auch in der Wissenschaft – und im Übrigen nicht allein im Umgang mit ihrem Titel.

 

Nein, findet Christian Endt

Als Kind wollte ich Feuerwehrmann werden. Eines Tages gingen meine Eltern mit mir zum Tag der offenen Tür bei der Berufsfeuerwehr. Ich durfte die Garage besichtigen, in der die großen Fahrzeuge standen, und einen der schweren Helme anprobieren. Alles sah aus wie in meinem Lieblingsbilderbuch über Feuerwehrmann Florian. Nach der Garagenführung gingen wir in den Hinterhof. Dort waren für Kinder mehrere Stationen aufgebaut. An eine kann ich mich noch erinnern: Da mussten wir mit einem Wasserstrahl aus dem Feuerwehrschlauch irgendwelche Ziele treffen. Wer alle Stationen erfolgreich absolviert hat, bekam eine Urkunde. Auf meiner stand: „Christian Endt darf nun den Titel Oberspritzenmeister führen.“

Eigentlich sollte ich bei allen Online-Formularen in das Titelfeld die Bezeichnung „Oberspritzenmeister“ schreiben. Wenn jemand nachfragt – ich habe die Urkunde noch und kann belegen, dass alles seine Ordnung hat. Das ist albern? Klar ist es albern. Zugebenermaßen ist es viel alberner, als unter Titel die Zeichenkombination „Dr.“ einzutragen. Aber prinzipiell ist es dasselbe.

Jedenfalls bin ich der Meinung, ein Doktortitel sollte genauso wenig Teil des Namens sein wie Oberspritzenmeister oder das Seepferdchen. Wer eine Promotion erfolgreich zu Ende bringt, beweist wissenschaftliche Kompetenz und Durchhaltevermögen; dafür bekommt Herr oder Frau Doktor zu Recht Anerkennung und oft auch bessere Karrierechancen. In erster Linie sollte man aber aus Interesse an seinem Thema promovieren oder weil man eine Laufbahn in der Wissenschaft anstrebt. Die Promotion gehört daher, wie andere Bildungsabschlüsse auch, in den Lebenslauf. Warum aber muss der Doktor auf der Visitenkarte und dem Türschild zu lesen sein? Mit dieser Praxis zieht man Leute an, denen es um Ruhm und Prestige geht, maximal am Rande um Wissenschaft. Prominente Beispiele für diesen Doktortypus finden sich unter dem Suchbegriff „Plagiatsaffäre“ zuhauf bei Google.Ein Doktortitel ist eine Auszeichnung für Leistungen in einem bestimmten Fachgebiet. Man kann einen Doktor etwa in Medizin machen oder in Sozialwissenschaften. An der Uni Wuppertal gab es bis vor wenigen Jahren einen Master-Studiengang in „Brandschutz“. Ob Zielübungen mit einem Feuerwehrschlauch zur Ausbildung gehörten, weiß ich nicht.

Gerade ältere Menschen reden beinahe ehrfürchtig von Doktoren. Auch wenn sie damit meistens Ärzte meinen und gerade der Dr. med. vergleichsweise leicht zu erlangen ist und international nicht als dem Ph.D ebenbürtig anerkannt wird. Viele Frauen, die mit einem Doktor verheiratet sind, haben die Erfahrung gemacht, als „Frau Doktor“ angesprochen zu werden, obwohl sie selbst nicht promoviert haben. Als wäre die Dissertation keine akademische Arbeit, sondern die Aufnahme in den Adelsstand.

Auch andere Menschen haben in Ausbildung oder Beruf viel geleistet, dabei aber keinen Titel erworben. Oder einen, der keinen herausgehobenen Status als Namenszusatz besitzt wie der Doktor, Handwerksmeister beispielsweise. Für diese Ungleichbehandlung gibt es keinen Grund. Darum gibt es nur zwei Möglichkeiten: Auch Schreiner- und Oberspritzenmeister dürfen im Ausweis eingetragen werden. Oder der Doktor muss raus.

1 thought on “Gehört ein Doktortitel zum Namen?”

  1. Der Vergleich zwischen einem Spritzenmeister und einem Doktorgrad ist schon fast bösartig. Ich bin selbst Hochschuldozent und denke, dass auch ein Meistertitel noch lange nicht an die Leistung eines Doktorgrads heranreicht. Ja, leider gibt es zwischen den akademischen Fächern sehr große Unterschiede bezüglich dem Schwierigkeitsgrad und dem geforderten Können zur Erlangung einer Promotion. Hätte den Artikel nicht ein Mensch ohne Titel wie Herr Endt geschrieben, so könnte man wenigsten den primitiven Neidfaktor der Besitzlosen ausschließen. Ich aber der Meinung, dass man nicht alle Traditionen über Bord schmeissen soll. Wenn der Dokotor nicht mehr zum Namen gehört, dann der Adelstitel erst recht nicht, denn für diesen muss man gar nichts tun. Umgekehrt bekommt heute jede Putzfrau den Titel einen Diplomfußbodenkosmetikerin, was immer mehr in Respektlosigkeit nieder qualifizierter Menschen im Berufsleben gebenüber dennen ausartet, die wirklich was gelernt haben.

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