Selbstversuch: Halbmarathon

Laufen gegen mich selbst

Joggen, um den Kopf frei zu bekommen, sich in der Bewegung vergessen, einfach laufen – das kenne ich nur aus Erzählungen. Für mich ist Joggen ein ständiger Kampf, bei dem permanent Fragen durch meinen Kopf ziehen: „Warum tue ich das hier?“ Und vor allem: „Wann kann ich endlich aufhören?“ Ich bin dafür einfach nicht veranlagt, glaube ich. Trotzdem habe ich mich für einen Halbmarathon angemeldet.

halbmarathon münchen juli 2014 017

Es gibt zwei Arten von Reaktionen, die man erwarten kann, wenn man seine Teilnahme an einem Halbmarathon bekannt gibt: grenzenlose Bewunderung oder etwas à la „naja, das würd ich auch noch ohne Training schaffen.“ Das entspricht dem Wesen des Halbmarathons. Es ist nicht der ganze Marathon, man geht nicht wirklich an die Grenzen, sondern läuft nur 21,1 Kilometer, vielleicht das Doppelte von dem, was andere zweimal die Woche laufen. Trotzdem ist es für mich eine große Sache. Ich habe letztes Jahr schon an einen Halbmarathon in der Nähe von London teilgenommen. Es war nett, viele ältere englische Herren, die dann unerwartet schnell losgerannt sind, ich hinterher. Letztes Jahr lief die Vorbereitung nicht optimal, trotzdem habe ich es geschafft, irgendwie, auch wenn ich, wie ich jetzt aufrichtiger weise gestehen muss, zwischendurch ein bisschen gegangen bin. Aber ich habe überlebt, kein Kollaps, es kam kein Sauerstoffzelt zum Einsatz, das war so vorher auch nicht unbedingt abzusehen.

Phase eins: Anmeldeeuphorie

Dieses Mal wird alles anders, dachte ich, als ich mich im März zusammen mit meinen Geschwistern und meinem Freund für den SportScheck Lauf in München angemeldet habe. Da war ich noch in Norwegen im Auslandssemester und dachte: „So fit wie jetzt werde ich nie wieder. Das wird ein Spaziergang.“ Man muss nämlich wissen: Sport gehört für den Norweger zur nationalen Identität, das macht einfach jeder. In meiner Vorstellung färbte allein schon dieser Umstand auf mich ab, machte mich zu einem neuen, sportlichen Menschen mit eisernem Durchhaltevermögen.

Ich nenne diese Phase die „Anmeldeeuphorie“. Ein optimistischer Zustand, voll Vertrauen in die eigene Stärke. Anlass der Euphorie war ein erstes, positives Lauferlebnis: 50 Minuten auf dem Laufband im Fitnessstudio, was mir so leicht fiel wie noch nie.

Phase zwei: Der Trainingsplan

Für mich war von Anfang an klar: Ich brauche einen Plan, der mir sagt, an welchem Tag ich wie viel laufen soll. Im Internet findet man eine Vielzahl solcher Trainingspläne. Die meisten schlagen ein, zwei kurze Läufe, teilweise mit Steigerungsintervallen, und ein, zwei lange Läufe pro Woche vor. Je nach angestrebter Laufzeit, von 1:15h bis zu 2:30 h, fallen sie härter oder entspannter aus. Ich entschied mich für einen kostenlosen Trainingsplan der TU München (für die Initiative Lauf10/Lauf 21). Hier kann man je nach Bodymassindex und Trainingsstand einen Plan auswählen. Ich nehme optimistisch „bereits 10 km durchgelaufen“ . Es geht dabei nicht um die Zeit, sondern in erster Linie ums Durchhalten. Also genau richtig für mich.

Phase drei: Ernüchterung

Diese Phase tritt in der Regel nach der Anmeldung ein, wenn klar ist, dass es kein Zurück mehr gibt. Bei mir kam dieser Punkt bei meinem ersten richtigen Lauf im Freien: Es. Ging. So. Schwer. Die üblichen Probleme: schwere Beine, das Gefühl, nicht richtig Luft zu kriegen und der absolute Unwille, weiter zu laufen. Zusätzlicher Stressfaktor: Mein Freund, der geborene Läufer, der immer einen Tick vor mir herläuft, ganz locker. Für mich ein absoluter Trennungsgrund.

Aber ich reiße mich zusammen, bis zum Lauf sind es noch drei Monate, genug Zeit, um das in den Griff zu kriegen. Die Runde um den Sognsvann, ein See in der Nähe meines Wohnheims, wird zu meiner Stammstrecke. Den Kilometer steil bergauf dorthin fahre ich mit dem Bus, fühlt sich irgendwie falsch an, aber was soll‘s. Mein Lieblingslauftag ist Dienstag: kurzer Dauerlauf, am Anfang nur 30 Minuten. Geht. Der schlimmste Tag ist der Mittwoch: Steigerungsintervalle. Ich gehe die schnellen Phasen viel zu schnell an, kann sie dann natürlich nicht durchhalten. Meistens endet der Mittwochslauf mit Frustration, mit hängendem Kopf trotte ich den Berg hinunter. Freitag: welliges Gelände. Erste Erfolgserlebnisse stellen sich ein, vielleicht werde ich ja doch irgendwann eine richtige Läuferin. Sonntags kommt der lange Lauf, am Anfang 65 Minuten, zum Schluss sollen es 100 Minuten werden. Auch das klappt einigermaßen, die ersten 45 Minuten sind reine Überwindung, aber danach laufe ich einfach, fast so wie ich mir das immer erträumt hatte.

Phase vier: Scheitern

Die ersten drei Wochen geht also alles ganz gut, es fällt mir zwar schwer, mich an den Trainingsplan zu halten, nach dem gewöhnlichen hin und her Überlegen kann ich mich aber doch überwinden. Bis dann in der vierten Woche auf einmal gar nichts mehr geht. Es ist, als hätte das Training bis jetzt rein gar keine Wirkung. Dazu kommt die Prüfungszeit, die es mir noch schwerer macht, das Training in meinen Tagesablauf zu integrieren. Schwerstes Trainingshindernis aber: zu viele, zu exzessive Erasmus-Partys. Wer die Nächte durchfeiert, läuft am nächsten Tag einfach nicht so locker. Ich versuche durchzuhalten, nehme mir vor, auf Hochprozentiges zu verzichten, starte immer wieder neue Laufversuche. Meistens marschiere ich aber erfolglos und demotiviert zurück zum Wohnheim. Irgendwann stehe ich vor der Wahl: Beim Laufen so richtig durchstarten oder die letzten Wochen meines Auslandssemesters genießen. Erasmus gewinnt.

Phase fünf: Der Lauf

29. Juni, sechs Uhr früh: Ich bin unterwegs nach München. Schon um acht Uhr startet der Halbmarathon am Marienplatz. Den Beutel mit dem Laufshirt und dem Zeitmessungschip habe ich schon, ich weiß nur noch nicht, ob ich überhaupt starte. Zurück in Deutschland habe ich mir prompt eine hartnäckige Erkältung eingefangen. Ich war seit Wochen nicht mehr laufen und fühle mich wirklich krank. Gesund wäre es nicht, jetzt zu starten. Noch schlimmer: Die Angst, anzutreten und dann nicht durchzuhalten. Ich entscheide mich dagegen.

Glücklich bin ich nicht mit dieser Entscheidung. Die Stimmung am Start ist trotz strömenden Regens ansteckend, ich wäre sehr gerne einer von den Tausenden von Läufern. Aus der Sicht des Zuschauers ist das Ganze aber auch recht unterhaltsam: Während vorne die Ersten schon starten, stehen hinten immer noch Massen bei den Toiletten an. Felix Neureuther erzählt irgendwas über Fußball, die Läufer interessiert das recht wenig, sie wollen zu ihrem Startblock kommen, unmöglich, zu viele Menschen überall. Nach einer guten Stunde kommen die ersten wieder zurück von ihrer Runde durch den Englischen Garten. Der Sieger läuft die 21,1 km in unfassbaren 70 Minuten. Am schlimmsten sehen die Läufer mit 1:30 Stunden aus, total mitgenommen, viele ganz bleich. Danach kommen immer mehr Teilnehmer angelaufen, alle schlammverspritzt, manche überglücklich, manche ganz lässig, manche komplett am Ende, manche setzen noch zum Zielsprint an. Die Erkenntnis des Tages: Orange steht nicht vielen Leuten.

Daheim in Augsburg setze ich mich an den Laptop und suche nach dem nächsten Halbmarathon, an dem ich teilnehmen kann, vielleicht Friedberg im September. Denn ich weiß, eines Tages werde ich joggen, um den Kopf frei zu kriegen, um abzuschalten, mich in der Bewegung vergessen, einfach laufen. Ich muss es weiter versuchen.

Die Semesterferien stehen an und wir verabschieden uns in den Urlaub: Höchste Zeit also, einmal über sportliche Ertüchtigung nachzudenken. Die presstige-Redaktion macht sich fit für den Sommer mit Beiträgen rund um den Schwerpunkt Sport. Macht mit und schaut euch alle gesammelten Beiträge hier an.

Schreibe einen Kommentar