Enttäuschte Erwartungen und zerplatzte Träume

Das Phänomen Studienabbrecher – Ein Erfahrungsbericht

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Text: Franziska Deller – Illustration & Layout: Sandra Deyerler

Allein schon das Wort klingt unangenehm.Wie fast alle Nomen, die auf „-echer“ enden: Studienabbrecher, Verbrecher, Messerstecher. (Eine Ausnahme wäre vielleicht noch „Sprecher“, aber wenn man ehrlich ist: nicht schön.) Woran das liegt, woher es kommt – keine Ahnung. Vielleicht wüsste ich mehr darüber, hätte ich mein Germanistikstudium nicht abgebrochen.

Nach meinem Abitur war ich mir sicher, dass das genau das Richtige für mich ist. Ich hatte mich informiert, verschiedene Interessenstests gemacht, alle meine Möglichkeiten durchdacht. Ich glaubte, dieses Studium würde mich wirklich erfüllen. Dann stellte sich heraus, dass mich die Kurse, die ich im ersten Semester besuchen musste, nicht im Geringsten interessierten. Ich lernte Dinge, die ich schon wusste. Es kam mir sinnlos vor, wie Zeitverschwendung, und das machte mir zu schaffen. Deshalb ließ ich immer mehr ausfallen, schob Referate und Arbeiten immer weiter vor mir her, es ging mir nicht gut. Nach zwei Monaten beschloss ich, es sein zu lassen.

Aus dem Studium geschlichen

„Das Studium abbrechen“ klingt wie eine aktive, laute Tätigkeit, ein Paukenschlag. Tatsächlich ist es eher passiv: Man tut ja eigentlich nichts, man unterlässt etwas, man geht einfach nicht mehr in die Uni. Es ist schleichend, nach ein paar Wochen melden sich die Dozenten, nach und nach gesteht man es den Eltern und Freunden. „Ich habe mich aus meinem Studium geschlichen“ würde es besser treffen. Auch, weil es eine unangenehme Angelegenheit ist. Obwohl es eine Befreiung für mich war, die Kurse nicht mehr besuchen zu müssen, fühlte es sich gleichzeitig wie ein Scheitern an. Im Oktober hatte ich meine Entscheidung für das Studium lauthals verkündet und gegen Kritik („Kind, das ist doch nichts Gescheites“) verteidigt. Im Januar musste ich zugeben, dass ich mich doch geirrt hatte.

Wie viele andere Studenten in Deutschland die gleichen Erfahrungen machen wie ich, lässt sich nicht genau sagen. Für exakte Zahlen müsste man den genauen Studienverlauf jedes einzelnen Studenten erfassen, was allein schon aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht möglich ist.

Um die Zahl der Studienabbrecher grob einschätzen zu können, berechnen Experten den sogenannten „Studentenschwund“. Das heißt, die Zahl der Studienanfänger eines Jahrgangs wird mit der Zahl der erfolgreichen Abschlüsse nach sechs bis acht Semestern Studienzeit verglichen. Unter diese Schwundquote fallen dann aber auch Studenten, die einfach nur die Uni gewechselt haben. Ich lerne bei der Recherche, dass Studiengangwechsler gar keine Studienabbrecher im engeren Sinn sind, weil sie im Hochschulsystem bleiben. Sie werden je nachdem von der Quote erfasst, ob sie auch die Hochschule gewechselt haben und zu welchem Zeitpunkt sie ihren ersten Studiengang verlassen. Die Quote gibt also nur eine grobe Richtung an.

2000 verschwundene Studenten

An der Universität Augsburg haben sich im Zeitraum zwischen dem Sommersemester (SoSe) 2008 bis zum SoSe 2011 9.438 Studienanfänger eingeschrieben, im entsprechenden Prüfungszeitraum SoSe 2011 bis SoSe 2014 haben 7.465 ihr Bachelorstudium abgeschlossen. Es sind also fast 2000 Studenten verschwunden, knappe 21 Prozent. Welche Studiengänge am stärksten vom Schwund betroffen sind, kann man mir von Seiten der Universität nicht sagen.

Deutschlandweiten Studien nach ist die Quote der Studienabbrecher bei den Sprach- und Kulturwissenschaften besonders hoch, am niedrigsten ist sie bei Medizin und Lehramt. Fragt man die Betroffenen nach Gründen, nennen sie meist enttäuschte Erwartungen an das Studium und damit einhergehende mangelnde Identifikation. Aber auch finanzieller Druck und fachliche Überforderung spielen eine Rolle.

Die hohe Zahl der Studienabbrecher in Deutschland wird immer häufiger in den Medien thematisiert. Das ist verständlich – während ich planlos durch die Gegend studiere, koste ich den Staat Geld und arbeite nicht als Fachkraft, die ja so dringend gebraucht wird. Begriffe wie „Effizienz“, „Leistung“ und „Qualität“ fallen da. Deswegen liegt es auch im Interesse der Hochschulen, die Anzahl der Studienabbrecher so gering wie möglich zu halten. Beratung und Aufklärung sollen verhindern, dass die Studenten falsche Erwartungen an Studieninhalte und Berufsmöglichkeiten haben.

Alles auf Anfang

Mit meinem abgebrochenen Germanistikstudium passe ich also ganz gut ins Schema. Nach diesem Fehlschlag stürzte ich mich so schnell wie möglich in ein neues Studium. Ich schrieb mich für Europäische Kulturgeschichte ein. Natürlich machte ich mir Gedanken und versuchte, diesmal die richtige Wahl zu treffen – man kann schon mal ein Studium abbrechen, aber das zweite muss dann sitzen. Wenn ich ehrlich bin, wollte ich auch einfach so schnell wie möglich wieder „aufgeräumt“ sein: ein einigermaßen geordneter Tagesablauf, sozialer Anschluss, Kindergeld, Versicherung.

Blicke ich jetzt zurück, kann ich all meine Entscheidungen immer noch nachvollziehen. Ich bereue nicht, dass ich keine Germanistin geworden bin, aber auch nicht, dass ich es versucht habe. Es war ein Umweg, der mich trotz allem geprägt und weiter gebracht hat.

Tipp:

Für Studenten, die mit ihrer Studienwahl unzufrieden sind, ist die erste Anlaufstelle der jeweilige Studienfachbetreuer. Bei Fragen zum Hochschul- oder Fachwechsel hilft die Zentrale Studienberatung weiter. Wer das Studieren ganz sein lassen möchte, kann sich außerdem von Experten der Agentur für Arbeit (beraten lassen (nur während der Vorlesungszeit: dienstags von 9:00 von 12:00 Uhr und donnerstags von 9:00 bis 15:00 Uhr, Raum 154, Gebäude M2).

Ausgabe 28: Körper Dieser Artikel erschien zuerst in Ausgabe 28 unseres gedruckten Magazins.

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