„Du fühlst dich eingesperrt“

Die Geschichte von Robin, einem Transmann

IMG_0631_1200px
Text: Alexandra Kiefer – Foto & Layout: Lisa Luthardt

Robin ist erst 23. Trotzdem hat er bereits sechs Operationen und den langen Weg einer faszinierenden Geschichte hinter sich.

Mir gegenüber sitzt Robin. Er studiert Sport-, Event- und Medienmanagement im zweiten Semester in München und sieht auch sehr sportlich aus. Er hat grüne Augen, gebräunte Haut, braunes Haar und einen Dreitagebart. Er mag schnelle Autos und hübsche Frauen. „Ich bin schon eher so der Machotyp“, sagt er über sich selbst. Hätte ich Robin vor drei Jahren getroffen, wäre sein Name noch Teresa gewesen, sein Körper noch weiblich und seine Zufriedenheit sicher nicht so groß wie heute. Robin ist ein Transmann.

Als ich ihn bitte, seine Geschichte zu erzählen, beginnt er bei einem Friseurbesuch mit fünf Jahren. Er wünscht sich einen Kurzhaarschnitt,um seinem Vater ähnlicher zu sehen. Sein Kleidungsstil: kurze Hosen statt Röcke, Badeshorts statt Badeanzug. Als Kind hält man ihn erst einmal oft für einen Jungen, nicht für das Mädchen Teresa. Robin erklärt, dass ihn das nie gestört habe. Sehr wohl aber die ständige Korrektur dieses Eindrucks durch Familie und Freunde. Er weiß damals schon: Ich bin anders. Nur warum und wie genau, das ist ihm noch nicht klar und auch nicht wichtig.

Die Pubertät verändert alles

Plötzlich entwickelt sich sein Körper ganz anders als gewollt. Hormonelle Umstellungen, das Wachsen des Busens – Robin beginnt sich und sein Spiegelbild zu hassen. Er erzählt: „Du fühlst dich, als ob du eingesperrt wärst. Es ist komisch das zu beschreiben, weil es nur wenige wirklich nachvollziehen können. Aber du stellst einfach fest, du kannst und willst so nicht leben.“ Zur selben Zeit entdeckt er den Begriff „Transgender“ in einer Zeitschrift. Dort liest er den Erfahrungsbericht, von jemandem, der als Frau geboren wurde, sich aber als Mann fühlt und danach leben will. Er stellt fest: Genau das bin ich auch. Endlich kann er sich einordnen, weiß, was mit ihm los ist.

Nach einiger Zeit findet er den Mut, sich seinen Eltern anzuvertrauen. Glücklicherweise stoßen sie ihn nicht zurück, sondern nehmen die Nachricht gut auf. Mehr noch, seine Mutter unterstützt ihn, wo sie kann. Sie informiert sich mit ihm über eine mögliche Umwandlung und macht für ihn Termine bei einem Psychologen aus. Der begleitet ihn die nächsten Jahre. Hilft, so gut es geht, mit der Situation umzugehen. Seinen Freunden will er während der Schulzeit noch nichts erzählen. Auch wenn sie wissen, dass Robin anders ist, stellt keiner blöde Fragen. Nur ab und zu, wenn jemand Neues zur Gruppe stößt, wird es komisch. Robin wird gleich als Mädchen vorgestellt, das aussieht wie ein Junge. Von weitem zeigen Finger auf ihn. Die Pubertät ist für ihn eine „elendige Zeit“, am liebsten würde er all ihre unerwünschten Veränderungen stoppen. Doch die meisten Ärzte wollen Patienten unter 18 Jahren nicht operieren oder mit Hormonen behandeln. Robin muss sich gedulden. Er verabredet mit seinem Eltern und dem Psychologen für weitere eineinhalb Jahre bis nach dem Schulabschluss zu warten, damit vor den entscheidenden Prüfungen nicht alles durcheinander gerät.

Eine Narbe für die Vollendung

Nach dem Abi kann Robin endlich beginnen. Er startet die Hormontherapie und wartet gespannt auf seinen Bart. Für ihn ein wichtiges Zeichen der Männlichkeit. Er stellt sich bei Ärzten vor und bespricht, wie eine Umwandlung ablaufen kann. Er beschließt, sich seinen Busen in mehreren Schritten abnehmen zu lassen, damit keine Narben zurückbleiben. So verplant er zweieinhalb Jahre für vier OP-Termine, dazwischen jeweils ein halbes Jahr Abheilen. Erst als die Brust fertig ist, geht er die nächste Stufe an. Es folgt „die Vollendung als Mann“:
der Penoidaufbau. Zwei Eingriffe, bis man „damit arbeiten kann“. Eine dreieckige Narbe am Unterarm verrät, wo dazu ein Muskelstrang entnommen wurde. Robin sagt: „Die Narbe gehört zu mir und ist Teil meiner Geschichte, deshalb zeige ich sie auch.“

Die Zeit des Versteckens vor seinen Freunden ist vorbei. „Wahrscheinlich wäre es doch besser gewesen, sich früher zu outen. Aber ich wollte einen klaren Cut setzen und das deshalb erst nach der Schulzeit machen“, so Robin im Rückblick. Seine Freunde nehmen die Nachricht gut auf und unterstützen ihn.

Robin lässt seinen Namen und Personenstand ändern. In der Geburtsurkunde wird aus Teresa Robin, aus weiblich männlich. So einfach, wie es hier klingt, ist das jedoch nicht. Vor einer OP mussten er und seine Mutter oft erst mit der Krankenkasse verhandeln und danach fällt Robin viele Wochen aus, um sich zu erholen. Schule, Studium oder Ausbildung – daneben nicht zu schaffen. Lediglich in einer Bar arbeiten, das klappt. Robin nimmt sich drei Jahre Zeit für alles. Vor der offiziellen Änderung seiner Geburtsurkunde müssen zwei Psychiater in einem Gutachten versichern, dass Robin auch wirklich zum Mann werden will.

Ein langer Weg

Im Sommer 2014 ist es endgültig geschafft. Robin hat „den ganzen Scheiß“ hinter sich gebracht und kann so leben, wie er es sich seit zehn Jahren gewünscht hat. Im Herbst darauf beginnt er sein Studium in München. Sein neuer Freundeskreis dort weiß bislang noch nichts von seiner Geschichte. Er genießt es, hier inkognito unterwegs zu sein. Doch er ist bereit, Fragen zu beantworten. Auch wenn es mit einer Frau zu mehr kommt, erfährt sie davon. „Bisher haben das alle Frauen, mit denen ich, was am Laufen hatte, verstanden“, erklärt er. „Wenn ich jetzt jemanden erzähle, dass ich als Frau geboren wurde, denkt der zunächst, ich verarsche ihn. Ich kann locker durchs Leben gehen, ohne dass ich schief angeguckt werde.“ Auch als ich ihm gegenüber sitze, mit ihm rede – selbst wenn ich versuche, ihn anders zu sehen, es klappt nicht. Vor mir sitzt ein ganz normaler Kerl. Aber Robin ist mehr als ein gewöhnlicher Mann: wahnsinnig mutig, locker und offen.

Ausgabe 28: Körper Dieser Artikel erschien zuerst in Ausgabe 28 unseres gedruckten Magazins.

Schreibe einen Kommentar