Brothers in Körpergeisteswelten

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Text: Michael Sentlef & Christopher Große – Layout: Lisa Luthardt

Michael Sentef und Christopher Große sind körperlich am Ende, wissen aber geistig zu glänzen.

Im Anfang erschallte SEIN Wort: Oh, Glossistchen, ich bin so unendlich zufrieden mit euch. Ihr seid der Grund meiner wahren inneren Freude. – Wir [zwischen Erstaunen und Misstrauen schwankend]: Aber HErr! Wir sind sprachlos vor Glück. Was verschafft uns die Ehre? – ER [diabolisch grinsend]: Eure Glossen sind Mist, großer Mist! Eure Körper aber, oh, wie soll ich sagen …? Ihr seid den Staub nicht wert, aus dem ihr geschaffen seid. Minderwertigst! An eurem dürftigen Dasein kann ich mich aufrichten an Tagen wie diesem, wenn mein iPad streikt, meine Zahnbürste ins Klo fällt, mein Rücken zwickt. Gegen euch bin ich trotz alledem reinstes Gold. Nun schreibet mir über eure schwächelnden Körper, na los! – Wir: Oh gütiger Herr, wir tun unser Bestes, so schlecht dieses auch sein mag. [Katzbuckelnd ab.] (John Cleese lacht sich im Hintergrund kaputt.)

Voilà – die körperlichste Glosse ever von uns. Sie möge euch ein Gefühl jugendlicher Überlegenheit bescheren, ihr Jungvolk!

Der eine von uns (MS) verspürt neuerdings morgens so ein Ziehen in der Schulter. Als er noch im Mekka der Reichen und Schönen (Stanford, Kalifornien) lebte, ging er regelmäßig der körperlichen Ertüchtigung wegen zum Pilates. Pilates ist wie Yoga, nur weniger eso und mehr sportlich halt. Er hatte sich von seiner Frau dazu motivieren lassen, und der eine von uns hat seinerzeit (unendlich lange ist es her) davon mächtig profitiert. Der Rücken zwickte etwas weniger, der Nacken war entspannter, die computerlich belasteten Hände und Arme gehorchten ihm ausdauernder. Und nicht zuletzt schien auch sein Geist befreiter und kreativer.

Wer es nicht glaubt, der lese die gesammelten Glossen 2011-2014. Und vergleiche sie mit der vorliegenden, die so schwermütig daherkommt wie ein rheinischer Sauerbraten in einer dunklen Bierstube.

Und da geht dem einen von uns ein Licht auf: Leichtfüßig, entspannt, lockerflockig – so kann nur Kalifornien sein! Vielleicht liegt der Verlust der Leichtfüßigkeit ja gar nicht am körperlichen Verfall. Vielleicht liegt er nur daran, dass der eine von uns jetzt wieder in Deutschland lebt, und mal ehrlich: Leichtfüßiges, entspanntes, lockerflockiges Dasein passt einfach nicht in dieses beschwerte Land. Es passt nur nach Kalifornien.

Unverfängliche Komplimente von Wildfremden an Wildfremde, immer einen lockeren Spruch auf den Lippen, grenzenloser, sonnengetränkter Optimismus, die Golden Gate Brücke ins Abendgold der Pazifiksonne getaucht, gechillte Beats am Strand und ein Lied auf den Lippen „… some gentle people there“, und alles wird leicht. Das Körperliche, so lernt der eine von uns in wundervollen Erinnerungen schwelgend, kommt vom Geistigen. Die Kraft der Suggestion! Man rede sich einfach ein, alles sei leicht, und alles wird leicht. Der eine von uns will gleich heute damit anfangen. Nur nicht sofort – er muss erstmal eine Beschwerde einreichen bei … (hier endet der Glosse erster Teil, etwas abrupt.)

Der andere von uns (CG) verspürt neuerdings morgens so ein Ziehen in der Schulter. Kann aber auch vom Trainieren kommen. Denn der andere von uns hat sich vor geraumer Zeit eingestehen müssen, dass er für sein mittlerweile weit fortgeschrittenes Alter zwar noch blendend aussieht, dass sein geschundener Körper sich aber immer häufiger viel älter anfühlt, als er jemals wird werden können. Und weil der andere von uns schon immer ein großer Freund fernöstlicher Weisheiten (und noch allerhand weiteren fernöstlichen Schnickschnacks) ist, beherzigte er die alte konfuzianische Marschroute vom mens sana im corpore sano. Gerade für einen Geistesarbeiter (animus), der zum Arbeiten (labor) zu jeder Zeit (tempus) und vollkommen unabdingbar über eine funktionstüchtige Dachstube (cerebrum) verfügen muss, sollte die Gesunderhaltung aller wesentlichen körperlichen Funktionen (cor, pulmo) somit eine Kardinalaufgabe (wenn schon keine -tugend) sein, dachte sich der andere von uns. Und meldete sich in einem sog. Münchner In-Fitnessstudio an. Dort erklärte man ihm zuerst, dass er zu dick und zu alt zum Laufen sei und deshalb besser Cardiotraining auf dem Stepper machen solle, was den anderen von uns nicht über die Maßen erfreute. Hernach erklärte man ihm im Brustton (pectoralis) der Überzeugung, wie bedeutsam die richtige Ernährung für eine gesunde Lebensweise sei, was den anderen von uns naturgemäß noch in weitaus geringerem Maße erfreute. Weil wirkliche Wahrheiten zumeist schmerzhaft sind (ebenfalls pectoralis) und der Geistesarbeiter (animus) an sich zum Extrem neigt, kam es, wie es nicht anders kommen konnte. Dreizehn Trainingspläne (nahezu wahr) und unzählige schmackhafte Whey-Shakes (teilweise gelogen) später erkannte er, dass er sein halbes Liebes- (dramatisch) und Konfektionsleben (dramatischer) im falschen Körper verbracht haben musste, während klagend Kollegah-Songs aus seinem Tuning- Sportwagen wummern. Bebend und wimmernd vor solch schmerzhafter Erkenntnis klammert sich der andere von uns verzweifelt an einem neongelben Everlast-Tanktop fest, während vor ihm tonlos und traurig Jane Fonda in nicht enden wollenden fiebrigen Verrenkungen über einen verstaubten Röhrenbildschirm flackert (finis).

[SCHLUSS]ER [im Fitness-Shirt, schweißgebadet]: Ihr Luschen! Ich bin körperlich fit wie nie zuvor! Mein Horizont ist grenzenlos weit, die ewige Jugend, kein bloßer Traum, eine Realität … (singt alleine mehrstimmig „Freude schöner Götterfunken“) Wir [verlegen]: Nicht jedem ist’s vergönnt, dies befreite Dasein … (Zurück an den Schreibtisch.)

Dr. Michael Sentef und Dr. Christopher Große zählen zur Ursuppe von presstige. Christopher war im Dezember 2004 einer der Gründer des Magazins und wird heute von einigen wohlmeinenden Weggefährten als Uropa des gepflegten Boulevardpöbelns bezeichnet. Michael bereichert seit der zweiten Ausgabe das Heft mit seinen gedankenschweren Texten und hat sich seither als presstige-Urglossist keine große Anhängerschaft aufgebaut. Obwohl deren Entstehung stets in handfeste Streitereien ausartet, steuern die beiden presstige- Herausgeber seit mittlerweile 16 Ausgaben nachdenkliche, tiefsinnige, bisweilen wachrüttelnde, aber stets höchst belanglose Glossen zum jeweils aktuellen Titelthema bei. Sowohl Michael als auch Christopher haben noch nie Fanpost erhalten.

Ausgabe 28: Körper Dieser Artikel erschien zuerst in Ausgabe 28 unseres gedruckten Magazins.

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