„Unser Körper weiß viel mehr als wir“

Interview mit der Fotokünstlerin Kathrin Höhne

Text: Michael Müller – Foto & Layout: Paul von Platen
Text: Michael Müller – Foto & Layout: Paul von Platen

Die gebürtige Augsburgerin Kathrin Höhne arbeitet deutschlandweit und international unter anderem als Schauspielerin, Filmemacherin und Fotokünstlerin. In ihrem aktuellen Fotoprojekt SINNESWELTEN widmet sie sich ganz dem menschlichen Körper. Einen Teil der Serie stellt sie momentan in den Räumen der Firma City Optik in Augsburg aus. Wir sprachen mit ihr über das Projekt, die Bedeutung unserer Körper und die Wirkung eines Ausstellungsraums.

Presstige: Kathrin, deine aktuelle Ausstellung rückt den menschlichen Körper in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Welche Rolle spielt der Körper im Leben eines Menschen?

Kathrin Höhne: Eine sehr große. Er hält seinen Träger nicht einfach nur am Leben, sondern ist ein Ausdrucksmittel. Am Körper eines Menschen und daran, wie er sich bewegt, kann ich vieles ablesen. Ich sehe zum Beispiel an seinem Gang, wie es ihm gerade geht, aber auch aus welcher Zeit oder Kultur er kommt. Die Frage, wie sich ein bestimmter Mensch bewegt, fand ich deshalb immer spannend, wenn ich mich als Schauspielerin auf eine Rolle vorbereitet habe. Aber ich kann einem Körper nicht nur die Tagesstimmung ansehen. Eine bestimmte Kultur oder Lebensart prägt den Körper genauso wie die Seele. Er zeigt mir, welches Leben sein Träger geführt hat. Weil der Körper so viel über einen Menschen aussagt, ist er auch ein Tor zu seiner Seele.

In der Regel nennt man die Augen eines Menschen das Tor zu seiner Seele. Dennoch sehen wir auf keinem deiner Bilder das Gesicht des Models.

Das war eine ganz bewusste Entscheidung, um den Fokus auf etwas anderes zu lenken. Die Augen eines Menschen zeigen ganz direkt seine Emotionen. Mir ging es aber um viel längerfristige Prägungen, die sich in seinem Körper abzeichnen. Städter sehen zum Beispiel grundsätzlich anders aus als Landbewohner, weil beide in ihrem Leben mit ganz unterschiedlichen Sachen konfrontiert werden. Außerdem kann es mich leicht von einem Körper ablenken, wenn mir die Augen seines Trägers zeigen, wie er sich in einer bestimmten Körperhaltung fühlt. Ich beziehe diese Gefühle in die Betrachtung des Körpers ein und sehe ihn dann schnell in erlernten Wertesystemen. Wir Erwachsenen haben irgendwann gelernt, wie wir einen nackten Körper anzusehen haben. Mir geht es aber um einen ganz frischen, unvoreingenommenen Blick auf den Körper. Ich will zeigen, dass eine menschliche Hüfte ganz ohne Hintergedanken eine tolle Form hat, genauso wie wir sie vielleicht an einer Lampe finden können.

Schönheitsideale erheben ebenfalls den Anspruch, Werte für die Beziehung zu unserem Körper aufzustellen. Wie beurteilst du sie vor diesem Hintergrund?

Schönheit ist keine Frage der Kleidergröße. Wir geißeln uns mit Diäten, um Konfektionsgröße Zero zu erreichen, doch das ist viel zu oberflächlich. Schönheit entsteht in der Verbindung von Form, Ausstrahlung und Sinnlichkeit. Mit Sinnlichkeit meine ich nicht Erotik, sondern das Bewusstsein, sich im eigenen Körper zu spüren. Es geht um eine Balance von Körper und Seele, die wir in den Industriestaaten mit unserem hohen Anspruch an Perfektion teilweise verloren haben. Wenn Körper und Seele im Einklang sind, entsteht eine große Kraft und Energie, die ich in meinen Bildern zeigen wollte. Als Ästhetin denke ich aber nicht, dass wir einfach nur in den Tag leben sollten. Körper und Seele in Einklang zu bringen, ist auch ein Ideal, das Arbeit erfordert. Es kann erreicht werden und ist lebbar, ohne dass wir uns dafür geißeln müssen. Klar können wir uns ein Glas Rotwein oder einen Schweinsbraten gönnen. Das gehört dazu, aber eben nicht immer. Wer sich ständig inflationär alles gibt, wird es schnell nicht mehr genießen können. Unser Körper weiß da viel mehr als wir. Wenn wir auf ihn hören, sagt er uns, was uns gut tut. Ich glaube, so könnten wir viele Krankheiten vermeiden, einfach weil wir nicht mehr diesen Raubbau an uns betreiben würden.

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Foto: Kathrin Höhne

Viele deiner Bilder zeigen den Körper in direktem Kontakt mit der Natur.

Unser Körper ist ein Teil der Natur, auch wenn wir das in unserer hoch zivilisierten Gesellschaft oft nicht wahrhaben wollen. Diese Verbindung zur Natur kann ich auch sehen, wenn ich mir zum Beispiel einen Baum neben einem Körper anschaue. Da gibt es Parallelen. Ich sehe den Körper dann wie eine Art Architektur. Ich wollte den Körper deshalb dort zeigen, wo er herkommt. Ganz ohne die Ansprüche an Design und Hochkultur, mit denen wir ihn im 21. Jahrhundert sehen. Deshalb habe ich viel mit archaischen oder für den nackten Körper ungewöhnlichen Materialien wie Laub, Erde oder Schnee gearbeitet. Wenn wir die Natur und unseren Körper genau kontrollieren wollen, können wir nur verlieren.

Welcher Gedanke steckt dahinter, deine Bilder in Augsburg in den Räumen eines Optikers auszustellen?

Der Ausstellungsraum hat großen Einfluss auf die Wirkung von Kunst. Natürlich möchte ich meine Bilder in Galerien zeigen, damit sie sich Kunstinteressierte anschauen können. Die Ausstellung in Alltagsräumen bietet aber weitere Möglichkeiten. Wer zum Optiker geht, braucht eine neue Brille. Wenn er dort plötzlich mit meiner Kunst konfrontiert wird, entsteht eine ganz unerwartete Kommunikation mit Menschen, die sich nie in eine Ausstellung verirren würden. Diese Interaktion von Ausstellungsraum und Werk kann man auch ganz bewusst nutzen. Die Vorstellung, Kunst schon mit Blick auf einen bestimmten Raum zu gestalten, fasziniert mich sehr, aber hier steht meine Reise auch noch ganz am Anfang.

Kontakt

Kathrin Höhne
www.kathrinhoehne.com
Facebook: Kathrin Hoehne • Photographer

SINNESWELTEN
noch bis zum 30. Juli zu sehen bei
City Optik Augsburg
Maximilianstraße 35
86150 Augsburg

Ausgabe 28: Körper Dieser Artikel erschien zuerst in Ausgabe 28 unseres gedruckten Magazins.

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