Sollen wir unsere Organe spenden?

Demnächst wird wohl fast jeder von uns wieder einen Organspendeausweis in seinem Briefkasten finden. Schließlich verschicken die deutschen Krankenkassen 70 Millionen davon. Doch dann bleibt die Frage – was kreuze ich an? Unsere Redakteure diskutieren dieses Thema in einem Pro und Contra.

Text: Linda Gering - Illustration: Paul von Platen
Text: Linda Gering & Michael Müller – Illustration: Paul von Platen

 

Ja, findet Linda Gering

Wir alle sind heute bestens über Fälle von Organhandel informiert. Kein Wunder, dass angesichts dessen die Zahl der Organspender in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken ist. Im Jahr 2010 lag der Bundesdurchschnitt noch bei 15,9 Spendern pro 1 Million Einwohner, 2013 waren es nur noch 10,9. Laut der Warteliste von Eurotransplant warteten im Jahr 2013 mehr als 11. 200 Menschen in Deutschland auf eine Organtransplantation. Ich finde, man sollte dem Abwärtstrend entgegensteuern und die Zahl der Wartenden verringern!

Der große Erfolg des letztjährigen Kinohits „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ zeigt das Interesse der Bevölkerung an Menschen, die ein schweres Schicksal zu tragen haben. Ein Film über zwei Jugendliche mit Krebs schreit ja geradezu nach Aufmerksamkeit. Beim tragischen (und irgendwie vorhersehbaren) Ende des Films haben tausende Menschen eine ganze Packung Taschentücher verschnäutzt und sich sicher gefragt: „Warum ist mein Schicksal KEIN mieser Verräter?“ Niemand will nur tatenlos zusehen müssen, noch nicht einmal im Kino.

Vielleicht kennt auch manch einer selbst das Kopfkino und den Augenblick, in dem man sich denkt: „Warum habe ich nur so ein glückliches, gesundes Leben?“ Von einer Sekunde auf die andere könnte alles vorbei sein. Ein Wimpernschlag und nichts ist wie zuvor. Niemand außer denen, die mich kannten wird dann wissen, dass ich ein glücklicher Mensch war und mich gerne beim Schicksal bedankt hätte.

Das könnte ich doch gut durch die Spende meiner Organe zeigen und so einem anderen Menschen ein problemloseres und angenehmeres Leben ermöglichen, vielleicht sogar ein Leben retten.

Sicher, Schicksal ist Schicksal, werden einige Zyniker denken. Die einen trifft es hart, die anderen weniger. Aber kann ich mit gutem Gewissen meine Organe verschwenden, indem ich sie behalten will, wenn ich sie gar nicht mehr benötige? Zugespitzt grenzt das an passive Sterbehilfe. Die einfache Möglichkeit, die eigenen Organe nach dem Tod jemand anderem zur Verfügung zu stellensollte sich niemand entgehen lassen! Wenn es das Schicksal gut mit mir meint, wird von meinem Organspendeausweis nie Gebrauch gemacht. Falls nicht, kann ich durch meinen Ausweis vielleicht einer Geschichte wie der der beiden unglücklichen Jugendlichen im Kinofilm ein gutes Ende verpassen – und auch einen anderen Titel.


 

Nein, findet Michael Müller

Eine Organspende kann ein Leben retten. Dazu müssen wir nichts weiter tun, als ein kleines Kärtchen mit uns herumzutragen. Von der eigentlichen Spende bekommen wir nichts mehr mit und gebrauchen könnten wir die Organe dann ja sowieso nicht mehr. Kann man da überhaupt dagegen sein? Ja, das geht – und zwar ganz ohne skandalträchtige Fälle von Organhandel zu bemühen.

Ungeachtet trendiger Werbekampagnen geht es beim Thema Organspende letztlich um den eigenen Tod. Voraussetzung für Organentnahme ist der Hirntod des Spenders. Selbst wenn wir aus diesem Zustand erwiesenermaßen nicht mehr aufwachen, sind wir noch nicht tot im landläufigen Sinne. Nur deshalb sind wir ja als Spender geeignet. Der Herztod tritt erst mit der Entnahme ein. Wer darüber nachdenkt, Organspender zu werden, stellt sich damit eine der ganz großen Fragen: Wann endet ein menschliches Leben? Aus philosophischen oder religiösen Gründen lässt sich durchaus argumentieren, dass der Hirntod dazu noch nicht ausreicht. Aus dieser Sicht ist ein Organspendeausweis die Einwilligung, sich unter bestimmten Umständen töten zu lassen. Eine so persönliche Entscheidung ist absolut ergebnisoffen. Mit einem Arzt, der sich fragt, ob er gerade entgegen seinem Eid ein Leben beendet hat, möchte man im Übrigen wohl auch nicht tauschen. Ebenso werden die Angehörigen des Spenders in der Organspendedebatte oft vergessen. Mit dem Verlust eines nahen Menschen setzt ein schmerzhafter Trauerprozess ein. Die Logik der Organspende kann dabei unerträglich pragmatisch wirken. Damit kann die Rücksicht auf Angehörige also ein guter Grund sein, sich dagegen zu entscheiden.

Vor allen Dingen betrifft die Frage nach der Organspende die ganz persönliche Freiheit. Egal, wie ich mich entscheide, ich nehme damit das Recht in Anspruch, bis zur letzten Minute über meinen Körper zu entscheiden. Das darf mir auch nicht mit der moralischen Keule genommen werden. So richtig es ist, dass eine Organspende Leben retten kann, so kurzsichtig ist es, jeden als rücksichtslosen Egoisten zu verteufeln, der sich dagegen entscheidet.

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