„Es ist fahrlässig, Prostitution zum Tabu-Thema zu erklären“

Interview mit Diana Schubert vom Kriminalpräventiven Rat Augsburg

 

Text: Michael Müller - Fotos: Isabell Beck
Text: Michael Müller – Fotos: Isabell Beck

 

Prostitution ist in Augsburg ein brennendes Thema. Im Moment arbeitet die Stadt an der Entwicklung eines Bordellstrukturkonzepts für die zukünftige Genehmigung von Bordellen. Wir sprachen mit Diana Schubert vom Kriminalpräventiven Rat Augsburg, die für die Koordination der Arbeit an diesem Konzept zuständig ist. Thema war die rechtliche Regelung der Prostitution vor Ort und in Berlin.

 

presstige: Frau Schubert, was kann man sich unter einem Bordellstrukturkonzept vorstellen?

Schubert: Beim Bordellstrukturkonzept (BSK) geht es in erster Linie um bau- und ordnungsrechtliche Fragen. Zu Beginn unserer Arbeit haben wir in anderen deutschen Kommunen angefragt, wie viele Prostituierte sich dort täglich aufhalten. Wir rechnen in diesen kurzen Zeiträumen, da die Frauen sehr häufig, teilweise wöchentlich, die Stadt wechseln. Mit 222 Prostituierten auf 100.000 Einwohner ist Augsburg im Verhältnis Spitzenreiter, auch vor größeren Städten. Der Durchschnitt liegt gerade einmal bei 114. In Augsburg gibt es dabei gewisse Schwerpunktgebiete wie Lechhausen und Haunstetten, in denen die Prostitution besonders präsent ist. Um in Zukunft über Bauanträge für neue Bordelle entscheiden zu können, brauchen wir also ein gesamtstädtisches Konzept dafür, in welchen Teilen Augsburgs neue Bordelle noch vertretbar sind. Daneben prüfen wir das Instrument der Sperrgebietsverordnung. Aus Gründen des Jugendschutzes und der öffentlichen Sicherheit ist grob gesagt die Augsburger Innenstadt Sperrgebiet für Prostitution. Wir erheben weitläufig Daten über die Lage von Spielplätzen, Kinderheimen, Jugendzentren und anderen Orten, an denen sich  junge Menschen besonders aufhalten, um herauszufinden, ob diese Einschränkung erweitert werden sollte. Darüber entscheidet zwar der Bezirk Schwaben, aber die Stadt Augsburg kann Vorschläge machen.

 

Was ging dem BSK in Augsburg voraus und wer arbeitet gegenwärtig daran? 

Prostitution ist vor Ort natürlich bereits länger ein Thema. Im Jahr 2010 veröffentlichte Kriminalkommissar Helmut Sporer in der Zeitschrift „Kriminalistik“ seinen Aufsatz zum „Augsburger Weg“. Als absoluter Experte leitet er unseren Arbeitskreis. Dem BSK ging zudem bereits die Entwicklung des Gesamtkonzepts zur Verbesserung der Lage der Prostituierten voraus. Es bezog die konkrete Lebenssituation der Prostituierten in Augsburg ein und ist in dieser Form einmalig im Bundesgebiet. Am 27. Februar 2014 erging dann im Stadtrat der Beschluss, unter Federführung des Arbeitskreises Prostitution mit Blick auf das Bau- und Ordnungsrecht das BSK zu erarbeiten. Weitere Mitglieder des Arbeitskreises sind örtliche Vertreterinnen der Menschenrechtsorganisation Solwodi, Vertreter der Bauverwaltung und das Gesundheitsamt der Stadt Augsburg sowie die Staatsanwaltschaft und Landgericht Augsburg. Zudem ist der Arbeitskreis um die Wirtschaftsverwaltung erweitert worden. Wenn in einem Stadtteil besonders viel Prostitution angesiedelt ist, kann dies dazu beitragen, dass das gesamte Gebiet wirtschaftlich abrutscht.

 

Prostitution wird oft mit dem organisierten Verbrechen in Verbindung gebracht. Wie stellt sich diesbezüglich die Lage in Augsburg dar?

Es besteht eindeutig eine Verbindung zwischen dem Menschenhandel und der Prostitution. Für die genaue Situation in Augsburg ist jedoch die Polizei der bessere Ansprechpartner. Nach meinen Informationen ist das Verbrechen hier jedenfalls nur in Einzelfällen auf der Straße sichtbar. Vielleicht fehlt auch deshalb oft das öffentliche Bewusstsein für das Problem. Neben dem Menschenhandel gibt es aber auch wirtschaftliche Zwangsprostitution. Wenn eine Frau nicht weiß, wie sie am nächsten Tag ihr Kind ernähren soll und sich deshalb selbst entscheidet, in die Prostitution zu gehen, ist das meines Erachtens ganz und gar nicht freiwillig. Daher ist es fahrlässig Prostitution zum Tabu-Thema zu erklären. Allein in Augsburg arbeiten um die 700 Frauen. Das sind nicht wenige und das Leid ist groß. Nimmt man den Menschenhandel und die Armutsprostitution aus, bleibt nur ein verschwindend geringer Anteil an Frauen, die sich vollkommen selbstbestimmt für die Prostitution entschieden haben.

 

Die Bundespolitik will darauf mit einem Prostituiertenschutzgesetz reagieren. Wie stehen Sie zum aktuell diskutierten Entwurf der Regelung?

Der Entwurf stellt uns absolut nicht zufrieden. Im Vorfeld haben wir zum Beispiel die Heraufsetzung des Mindestalters gefordert. Wir sind überzeugt, dass man mit 21 Jahren andere Entscheidungen trifft als mit 18 Jahren. Nicht ohne Grund gilt das Jugendstrafrecht bis zu diesem Alter. Auf Bundesebene ist das vollkommen unter den Tisch gefallen. Auch die Meldepflicht kommt nur in abgespeckter Form vor. Prostituierte müssen sich lediglich einmal im Jahr melden. Wo, entscheiden die Länder. Aus unserer Sicht kommt dafür nur das örtlich zuständige Kriminalkommissariat infrage. Die Beamten können die Umstände, unter denen die Frauen ankommen am besten einschätzen. Gleichzeitig hätten wir dann einen Überblick, wie viele Prostituierte sich wo aufhalten. Bisher sind die Frauen da vollkommen schutzlos. Sie begründen hier keinen Wohnsitz und müssen sich auch nicht bei Finanzbehörden oder dem Gesundheitsamt melden. Es ist tragisch, aber im Moment merkt niemand, wenn eine Frau verloren geht. Unter anderem deshalb fordern wir auch die verpflichtende Gesundheitsuntersuchung, die ebenfalls zu abgespeckt kommt. Neben wichtigen Informationen zu ihrem eigenen Schutz wollten wir Prostituierten so eine Art Schutzraum schaffen, in dem sie sich einmal ohne ihren „Freund“ zur Sache äußern können. So bauen die Frauen ein Vertrauen zu unserem System auf. Ein Großteil von ihnen kommt aus Ländern, in denen sie den Staat und die Polizei ganz anders kennen.

 

Geht es also vor allem darum, die Prostitution an bestehende Systeme heranzuführen? 

Nicht nur, wir brauchen zudem endlich ein eigenes Regelungsinstrument. In Deutschland muss sich jeder Gastronom auf seine Zuverlässigkeit überprüfen lassen. Ein Bordell kann dagegen jeder eröffnen, auch wenn er sich in mehrere Verfahren wegen Menschenhandel verantworten muss. Es fehlt ein Rechtsrahmen, auf den sich die Prostituierten gegenüber den Bordellbetreibern oder ihren Freiern berufen können. Es gibt zum Beispiel ein eingeschränktes Weisungsrecht gegenüber den Frauen im alten Prostitutionsgesetz. Wenn sich hier nichts ändert, sind wir nicht weiter als zuvor. Es reicht aber nicht, die Prostitution im Gewerberecht zu regeln. Sie ist eben kein Beruf wie jeder andere und braucht Regelungen, die ihren Besonderheiten gerecht werden. Vor allem müssen wir Verstöße auch mit Bußgeldern ahnden – und zwar gegen die Freier und Bordellbetreiber. Die Prostituierten wollen wir nicht treffen. Regeln wie eine Kondompflicht können und müssen der Staat dann nicht selbst überprüfen. Wer ein Bordell betreibt will seine Konkurrenz loswerden und wird die im Zweifel auch anzeigen. Durch Gesetze können wir also eine Kontrolle innerhalb der Szene erreichen.

 

 

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