Müller will über das „Reden“ reden

Müller_1200_Reden

„Meinung ist tot? Nicht mit uns!“ So lautet das Motto dieser Kolumne für eine neue Meinungskultur. Doch braucht es die überhaupt noch? Immerhin werden wir von Politik und Wirtschaft gerade an beinahe jeder Ecke nach unserer Meinung gefragt. Wurde das Ziel dieser Reihe am Ende von der Realität überholt? Zeit, einmal in eigener Sache zu reden!

Wer anderen gerne einmal die Meinung sagt, hat es zurzeit vielleicht einfacher als jemals zuvor. Egal ob Kundenzufriedenheit, Innovation im Unternehmen oder die große Politik – immer häufiger ist die Mitarbeit des „kleinen Mannes“ gefragt. Das wirklich Neue daran ist vor allem die Qualität des Interesses an der Meinung des Einzelnen. Beispielsweise haben Mitglieder der Bundesregierung von April bis Oktober dieses Jahres an verschiedenen Orten in ganz Deutschland und über das Internet einen Bürgerdialog um Thema „Gut leben in Deutschland“ geführt. Momentan werden die Ergebnisse der Diskussionen ausgewertet. Das Ziel ist, im kommenden Jahr ein Aktionsprogramm zu erarbeiten, das auf Basis der Bürgermeinung konkrete Maßnahmen enthält, um die Lebensqualität zu verbessern. Damit ist ein Maß an Bürgerbeteiligung erreicht, das die klassischen Statisktiken des Politbarometers weit hinter sich lässt.

In der Wirtschaft ist der Ansatz, schwierige Herausforderung unter Berücksichtigung möglichst
vieler verschiedener Perspektiven zu lösen, schon länger im Gerspräch. Bereits Mitte der 1990er Jahre haben die Japaner Nonaka und Takeuchi in ihrem Buch „Die Organisation des Wissens“ festgestellt, dass vor allem ein offener Austausch der Mitarbeiter eines Unternehmens über die Grenzen von Hierarchien oder Abteilungen hinweg Innovation oder neues Wissen im Betrieb schafft. Das Voranschreiten der Globalisierung und die Entstehung immer komplexerer, neuer wirtschaftlicher Strukturen wird dieses Bedürfnis zumindest nicht gemindert haben. Immer wieder setzen Unternehmen deshalb auf Arbeit in interdisziplinären Projektteams, flache Hierarchien und eine Vielzahl gemeinsamer Kreativitätstechniken. Auch beim Thema der innerbetrieblichen Beteiligung redet inzwischen die Politik mit. Zum Beispiel hat das Bundeswirtschaftsministerium schon vor zwei Jahren einen Leitfaden zum Wissensmanagemet in Unternehmen herausgebracht, der auch Hinweise enthält, wie eine interne Dialogkultur gefördert werden kann. Aber rennt diese Kolumne nicht einfach nur offene Türen ein, wenn die Meinung des Einzelnen in Politik und Wirtschaft ohnehin schon so eine große Rolle spielt?

Ein Anreiz macht noch keine Kultur

Nicht unbedingt, denn alle beschriebenen Maßnahmen schaffen erst einmal nur einen Anreiz, die eigene Meinung einzubringen. Bei der Frage, ob der gewünschte Dialog tatsächlich entsteht, kommt es aber letztlich auf seine Teilnehmer an – und damit auf uns. Sich so an einer Diskussion zu beteiligen, dass am Ende ein komlpexes Problem gelöst werden kann, ist allerdings gar nicht so einfach. Neben ausreichenden Kenntnissen zum Thema des Dialogs braucht es dazu in erster Linie gewisse „handwerkliche Fähigkeiten“. Wie baue ich eine gute Argumentation auf? Wie gehe ich mit Kritik um und wie widerpsreche ich anderen konstruktiv? Wie schmiede ich einen Kompromiss und wann sollte ich mit einem Ergebnis zufrieden sein? Allein diese Fragen machen bereits deutlich, dass es einige Erfahrung, Menschenkenntnis und Fingerspitzengefühl benötigt, um erfolgreich eine Meinung zu vertreten. Wie die meisten praktischen Fähigkeiten lässt sich das Diskutieren aber nicht am Schreibtisch lernen, sondern nur durch regelmäßige Übung. Der passendste Ort dafür müsste eigentlich die Uni sein, denn immerhin war es ja eines der Ziele des Bologna-Prozesses, Studierende für genau diesen modernen Arbeitsmarkt fit zu machen, auf dem meinungsstarke Bewerber gerade so gefragt sind. Wie sieht es also an der Uni aus?

Oft leider nicht ganz so dialogfreudig wie erhofft. Ironischerweise hat das teilweise mit Veränderungen zu tun, die eine Folge Bolognas waren. Die Zuordnung von nur sechs Credit Points zu einzelnen Seminaren hat in einigen Studiengängen dazu geführt, dass orientiert an der Regelstudienzeit innerhalb des einzelnen Seminars kaum noch Raum zur Diskussion bleibt. Gerade bei Kursen, in denen Studierende selber forschen ist oft schlicht nicht die Zeit, theoretische Hintergründe in der Tiefe zu diskutieren. So lernen Studierende vor allem das formale und methodische Handwerkszeug der Wissenschaft und werden für vertiefte Inhalte auf den Master verwiesen. So wichtig diese Grundlagen sind, passt eine derartige Argumentation alledings nicht so richtig zu der Idee mit dem Bachelor auch einen vorgezogenen akademischen Abschluss zum Berufseinstieg einzuführen, wenn die Diskussionsfähigkeit fehlt. Doch es gibt auch noch eine andere Voraussetzung für eine offene Meinungskultur: den Willen zu diskutieren und hier sind wir selbst in der Pflicht. Auch wenn die Bedingungen nicht ideal sind, fordern viele Dozenten immer wieder zur Dikussion auf, um dann allerdings häufig mit Schweigen belohnt zu werden. So können auch Studierende den Frontalunterricht erzwingen. Gerade im Gespräch mit anderen Studenten können wir üben, konstruktiv und ohne den Druck einer Hierarchie unsere Meinung vorzutragen. Wer aus Unischerheit schweigt, verpasst also wichtige Erfahrungen, denn Sicherheit gehört auch später oft  zu den Zielen, nicht den Voraussetzungen eines Dialogs.

Übung macht den Redner

Trotzdem müssen wir natürlich nicht zu allem eine Meinung haben oder uns bei jeder Gelegenheit mit Dozenten anlegen. Aber wenn uns ein Thema interessiert oder eine Sache wichtig ist, lohnt sich dazu eine jede Diskussion. Wer nicht redet, kann auch niemanden überzeugen. Und wer übt, erhöht die eigenen Chancen. Davon gibt es in der heutigen Gesellschaft nämlich jede Menge, wenn wir uns trauen, unsere Meinung zu sagen. Zum Glück können wir auch mit der Familie oder Freunden sehr gut trainieren – zum Beispiel übrigens zum Thema, welchen Blödsinn der Autor dieser Kolumne wieder einmal verbreitet.

Schreibe einen Kommentar