Müller will über „Digital Natives“ reden

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Text: Michael Müller – Illustration: Isabell Beck

Hinter dem Internet verbirgt sich das wohl größte Los der jungen Generation. Bei jeder Gelegenheit betonen Politik und Wirtschaft die Chancen der Digitalisierung. Und wer kann diese Entwicklung besser einschätzen als eine Jugend, die praktisch im Internet aufgewachsen ist? Deshalb gelten wir schon heute als Experten für Fortschritt und Zukunft und dürfen immer wieder eifrig mitreden. Doch hat es damit etwa zum ersten Mal eine jüngere Generation geschafft, den Älteren praktisch scon von Haus aus zu erklären, wo es langgeht? Reden wir darüber!

Unsere Fernsehlandschaft ist voller Experten. Wer sich über ein kurzes Statement hinaus Gehör verschaffen möchte, sollte allerdings besser für mehr als nur die eigene Person sprechen. Erfolgreiche Unternehmer, Parteigrößen oder bekannte Journalisten haben deshalb fast schon Stammplätze in den abendlichen Nachrichten- oder Talkformaten. Doch zum Glück gibt es da auch einen weniger anstrengenden und deutlich schnelleren Weg, der sogar wie gemacht für Studenten erscheint. Einfach nur jung genug sein! Wer jünger als dreißig ist und sich in einem gesellschaftlichen Feld engagiert, wird Medien schnell einmal zum Vertreter der jungen Generation ernannt. So dürfen einzelne Youtuber ganz pauschal über die Zukunft des Fernsehens sprechen oder werden zufällig ausgewählte, junge Demonstranten schnell zum Indiz einer Jugendbewegung erklärt. Dieses Phänomen hat auch nicht nur etwas mit knappem Sendeplatz oder den Vorlieben der Bildregie zu tun. Auch im Alltag gilt immer wieder: Sobald irgendein als jung eingestuftes Phänomen auftritt, suchen die Älteren fieberhaft nach einem Experten und das oft im eigenen Umfeld. Doch woher kommt dieses Bedürfnis und vor allem, sollten wir Jungen da überhaupt mitmachen?

Evolution statt Revolution

Das Schimpfen der Alten über die Gewohnheiten der Jungen gehört zu den absoluten Klassikern der Generationenkonflikte. Dabei haben vor allem Studenten über die Jahrzehnte so einiges zu hören bekommen. Mal galten sie als aufrührerisch und arbeitsscheu, dann wieder als zu angepasst und karrieristisch. Zumeist wurden gerade junge Akademiker mit ihrer freien Lebensweise als bestes Beispiel dafür genannt, was mit der jungen Generation so alles nicht stimme. Auch wenn sich die Anlässe über die Zeit geändert haben, stand hinter dieser Kritik stets das gleiche Prinzip: Erstens gehe die Jugend irgendeiner neuen Mode nach und zweitens seien die Jugendlichen untereinander darin alle gleich. Im Grunde hat sich an dieser Sicht bis heute nichts geändert. Trotzdem gibt es einen wesentlichen Unterschied und der liegt in der neuesten Mode selbst, dem Internet. Anders als zum Beispiel bei der Vorliebe der 68er für den Kommunismus, sehen in der modernen Computertechnologie nämlich auch viele Ältere eine Chance und keine Bedrohung. Einer der lautesten Befürworter einer digitalen Revolution ist der amerikanische Unternehmer und Lehrer Marc Prensky. In seinen teilweise umstrittenen Thesen hat er unsere Generation zu Digital Natives erklärt und geht dabei so weit, dass sich unsere Wahrnehmung und unser Denken durch den selbstverständlichen Umgang mit Computern seit frühester Kindheit sogar bis hin zur physischen Ebene verändert haben. Damit verfolgen wir laut Prensky also nicht nur irgendeine Mode, sondern sind von Grund auf anders als unsere Eltern, womit sich auch die Hoffnung, uns noch einmal umzuerziehen erübrigt hätte.

Kolumne: Müller will reden

Meinung ist tot? Nicht mit uns, denn unser ehemaliger Chefredakteur Michael Müller ist überzeugt, dass es Dinge gibt, die man nicht wissen kann, aber über die es sich zu reden lohnt. In Zeiten harter Fakten glaubt er an das lose Mundwerk, denn wohin sonst mit all den gesammelten Informationen? Mal geht es um Wichtiges, mal um den Rest, aber immer gilt: Keine Angst, Müller will nur reden. Die Kolumne erscheint immer donnerstags und wird von Isabell Beck illustriert. Alle Folgen von “Müller will reden” zum Nachlesen.

Ganz unabhängig davon, ob sich unsere Gehirne nun verändern oder nicht, haben sich Wirtschaft und Politik längst mit einem digitalen Wandel abgefunden. Dass die Wirtschaft mit gezielter Werbung versucht, die wachsende Kaufkraft junger Kunden zu nutzen ist nichts Neues. Doch der digitale Lebensstil wird als so große Veränderung wahrgenommen, dass inzwischen ganze Geschäftsmodelle darauf aufbauen. Vor allem in Social Media und einer steigende Vernetzung lägen dabei die großen Chancen. Egal, ob persönlicher Kundenkontakt, internes Wissensmanagement oder elektronische Demokratie – allenthalben werden Experten für das Social Web gesucht und genau hier kommen wir Digital Natives wieder ins Spiel. Wer sollte sich besser auskennen als wir, die wir angeblich ja schon fast im Netz leben. Für den Einzelnen bedeutet das Mitspracherechte, von denen die frühere Jugend nur träumen konnte. Geht es um die Social Media Strategie oder den Internetauftritt, kann so auch die Meinung des studentischen Mitarbeiters plötzlich großes Gewicht bekommen. Sowohl als Kunden als auch als Mitarbeiter sind wir damit vielleicht wichtiger denn je.

Der nettere Zwilling des Klischees

Wie so häufig gibt es jedoch auch hier eine schattigere Seite. Denn wie gehen wir mit all dieser Verantwortung um, wenn wir eben keine typischen Digital Natives sind. Wer sich in den sozialen Netzwerken deutlich zurückhält oder einer fortschreitenden Digitalisierung skeptisch gegenübersteht, ist dann schnell abgemeldet. Die verlockende Option, sich im Namen der eigenen Generation zu Wort zu melden, dreht sich so schnell zum Gegenteil. Mangels Zielgruppenkenntnis wird uns die Jugend dann einfach aberklärt. Oftmals werden auch Informatik- oder Marketingkenntnisse erwartet, die bei weitem nicht jeder momentane Student hat. Hier wird deutlich, dass sich zwar die Bewertung der jungen Generation durch die Alten verändert hat, nicht aber die Prinzipien dahinter. Auch im Fall der Digital Natives ist es letztlich die alte Generation, die Kriterien dafür festlegt, was ihre Nachfolger ausmache. Selbst der Druck auf die Jugend bleibt, nur dass er eben nicht mehr auf deren Änderung, sondern Konformität abzielt. Gerade der wirtschaftliche und politische Hype um die Potenziale der neuen Berufswelt kann zu einem ernormen Anpassungsdruck werden. Wer will seine Chancen in dieser Welt schon dadurch verschenken, als Rückständig zu gelten?

Natürlich ist die Idee der Digital Natives nicht vollkommen aus der Luft gegriffen. Tatsächlich verfügen wir durch unseren Alltag über technische Potenziale, die unseren Eltern fehlen, und natürlich dürfen wir diese auch im Sinne der Zukunft der Gesellschaft einsetzen. Allerdings sollten wir es uns mit diesem Status nicht zu bequem machen, sonst wird aus solchen Eigenschaften ein Klischee. Über enttäuschte Erwartungen kann sich auch ein positives Vorurteil schnell gegen uns wenden und ist dabei am Ende vielleicht sogar schwerer loszuwerden als sein negatives Gegenstück. Was uns hilft, ist auch gegenüber diesem Erwartungsdruck zu behaupten, wer wir sind. Letzten Endes bleiben wir nämlich doch eine ganz normale junge Generation, die ihre Identität nicht in die Hände der Älteren legen sollte.

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