„Ich will euch frei machen“

Fjodor Dostojewskis Kritik an der Freiheit

Text: Max Klein – Illustration: Isabell Beck

Freiheit. Ein Begriff macht weltweit Karriere. Doch was bedeutet es frei zu sein? Manchmal scheint es ratsam, den allgegenwärtigen Freiheitsphrasen nicht allzu schnell Vertrauen zu schenken. Fjodor Dostojewski hat bereits im 19. Jahrhundert in  die Brüder Karamasow Antworten auf eine der ältesten und komplexesten Fragen der Menschheit gegeben – die auch heute noch aktueller denn je sind.

Veröffentlicht 1880 – wie kann mir das Buch bei meinen Fragen helfen?

Beim Lesen eines dicken Wälzers mit großem theoretischen Gehalt ist es wohl ganz legitim sich hin und wieder die Frage zu stellen, welche Relevanz die ganzen gedruckten Worte für mein heutiges Leben einnehmen. Wer sich durch die etwa 1200, je nach Ausgabe auch mal mehr, Seiten Dostojewskis letzten Werks schlägt, wird bei aufmerksamen Lesen belohnt. Das 5. Kapitel des Buches, der Großinquisitor, wirft nützliche Antworten und gewichtige Fragen auf und erfreut sich bis in die heutige Zeit einer regen Rezeption. Im Zentrum steht ein Gespräch zwischen Jesus Christus und einem Großinquisitor irgendwann im 16. Jahrhundert. Das heikle Anliegen des Großinquisitors ist es, Jesus Christus von der Notwendigkeit der Inquisition zu überzeugen, tiefergehend steckt die Kritik, dass der Mensch mit der Freiheit überfordert sei, insbesondere wenn es um Fragen nach allgemeinen Wahrheiten geht. Gerade nach den Anschlägen in Nizza, Paris und Berlin sollten einem schlagartig die Themen der Religion, Freiheit und Wahrheit bewusst werden, und die heutige Relevanz des großen Werkes einleuchten.

Freiheit und gut?

Religiös motivierte Verbrechen sind kein neues Phänomen, doch erfahren sie gerade heute eine andere Brisanz. Gesellschaften, die sich selbst als frei und hochgebildet einschätzen und präsentieren, sehen sich gefährdet. „Frankreich ist im Krieg“ stieß François Hollande nach den Anschlägen auf die Satire-Zeitschrift „Charlie Hebdo“ in die trauernde Menge. „Um der allgemeinen Anbetung rotteten sie einander mit dem Schwert aus“ so schrieb es Dostojewski. Die vielleicht etwas pathetisch anmutenden Worte beherbergen einen denkenswerten Kern: Eine allgemeingültige oder allumfassende Wahrheit kann nicht in Konkurrenz stehen, da Allgemeinheit nicht abzugrenzen ist. Glaube ich aus tiefer Überzeugung an eine solche Wahrheit, muss ich eine „andere“ oder „abweichende“ allgemeine Wahrheitsvorstellung, die es in solchen Fällen nach logischen Maßstäben nicht geben kann, ablehnen. Daraus folgt zwangsweise ein Konflikt. Die Freiheit gilt nur in Momenten, in denen ich mich entscheiden kann und Entscheidung bedarf Abgrenzung. Diese Art der Konflikte um Definitionsmächte finden sich in heutigen Religions- und Wertekonflikten wieder.

Freiheit kritisieren ist nicht gleich anti-demokratisch

„(…) es (gibt) keine quälendere menschliche Sorge, als jemanden zu finden, dem er so schnell wie möglich die Gabe der Freiheit, mit der dieses unglückselige Wesen auf die Welt kommt, übergeben kann.“ Nicht nur Dostojewski sah die Freiheit als zu bändigende Kreatur an. Schon der Bürgerkriegsphilsoph Thomas Hobbes skizziert seinen Leviathan als Ungeheuer, das die Freiheit des einzelnen bändigen sollte, damit Menschen friedvoll und gemeinsam (ko-)existieren können und nicht der zwangsläufige Überlebenskampf aus Angst vor der Freiheit das Leben bestimmt. Frei ist nun mal auch der, der sich der Freiheit annimmt, mich meines Gutes und Lebens zu berauben. „Das Verlangen nach universeller Vereinigung ist die letzte Qual des Menschen. Von jeher hat die Menschheit als Ganzes um jeden Preis nach der erdumfassenden Totalität gerungen.“  Gerade dieser Aufgabe fühlt sich der heutige oder auch moderne Staat verpflichtet. Menschen treten einen Teil ihrer Freiheit an den Staat ab, um ein soziales Leben in Gemeinschaft zu führen, die Reglementierung meiner Freiheit wird zur notwendigen Bedingung eines friedlichen und sozialen Lebens.

Was können wir mitnehmen?

Eine Kritik der Freiheit stößt schnell auf Ablehnung, da gerade demokratisch verfasste Staaten den Begriff zum Topwert erheben. Es geht weniger um die Kritik des demokratischen Wertekanons, sondern mehr um die Forderung, die Freiheitsdebatte weit differenzierter zu führen, als sie manche zu hörende und zu lesende Äußerungen vermuten lassen. Freiheit an sich ist nicht zwangsläufig positiv zu konnotieren und gerade das ständige reflektieren solcher komplexen Begriffe, die in so manchen WG-Küchen zielsicher und vorschnell ihre Bühne finden, ist ein Qualitätsmerkmal sachlich geführter Diskussionen, um sich nicht in einem dogmatischen Netz der Freiheitsbefürwortung zu verfangen. „Und so wie die Freiheit zu den erhabensten Gefühlen zählt, so auch die entsprechende Täuschung zu den erhabensten“ (Franz Kafka).

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