Wenn die Freiheit vor dem eigenen Leben steht

Über die Beweggründe der Extremsportler

Text: Tamina Andrasch – Foto: © Allgäu GmbH

Augen zu und durch. Wohl eher Augen auf und durch. Denn Extremsportler möchten bei ihren Ausflügen in die Tiefen der Meere, die Weiten der Lüfte und die Höhen der Berge jeden noch so kleinen und dennoch einzigartigen Augenblick genießen. Egal ob beim Basejumpen, Extremklettern oder Ultra-Marathons will jede Sekunde des mit Adrenalin vollgesaugten Freiheitsgefühls vollends auskostet sein.

Doch was treibt Menschen dazu sich von Bergen zu stürzen, in die Dunkelheit abzutauchen und dabei nicht nur ihr eigenes Leben zu riskieren? Das Adrenalin, das Freiheitsgefühl, der  einfache Spaß am Ausbrechen aus der Komfort-Zone sind neben der puren Entdeckungslust nur einige der Gründe.

Ist das noch Extremsport?

Das Flugzeug ist klein, sehr klein, leuchtend gelb und ein bisschen klapprig. Dennoch passen neben dem Piloten locker acht Personen hinein. Vier wagemutige Abenteurer und vier professionelle Fallschirmspringer. Es ist früh am Morgen und nach einer ausführlichen Einleitung, dem Anziehen der wärmenden Einheitsanzügen in knalligem Rot, hebt das kleine Flugzeug ab – hoch bis auf knapp 5.000 Meter. Zeit zum wirklich Realisieren bleibt da kaum, denn sobald die richtige Höhe erreicht ist, heißt es „Let’s go“ und in gefühlt wahnsinniger Geschwindigkeit geht es gen Boden, bevor nach knapp zehn Sekunden freien Falles – zum Glück – der Fallschirm aufgeht und erst jetzt die Aussicht auf Lake Taupo in Neuseeland genossen werden kann. Doch ist das noch extrem genug?

Extremer geht – wohl – immer

Wenn solch ein Flug über atemberaubende Landschaften ohne greifbaren Boden unter den Füßen ist zwar bei Weitem kein alltägliches Erlebnis, aber auch keine Ausnahme-Sportart mehr. In vielen touristischen Gebieten auf der ganzen Welt bieten bereits eine Vielzahl von Unternehmen den wagemutigen Sprung ins gefühlte Nichts an – Atem anhalten, auf ein gutes Ende hoffen und dann ist es auch schon vorbei. Auch in Deutschland gibt es Anbieter von den Alpen bis zur Nordsee. Mittlerweile gibt es sogar Extremsport-Agenturen und Event-Gutscheine, die den Adrenalin-Kick auch für den Otto-Normalverbraucher zugänglich und erschwinglich machen.

Doch den vielen wirklich „Verrückten“, wie sie oft genannt werden, ist das bei Weitem einfach zu langweilig, ihnen reicht diese Art des Adrenalin-Schubes nicht, oder nicht mehr… Sie gehen weiter und höher, wollen schneller und extremer sein, von allem Neuen die Ersten sein, Neues ausprobieren und mit den unglaublichsten Geschichten im Gepäck wieder nach Hause zurückkehren. Dazu zählen dann beispielsweise auch unbekanntere Sportarten wie Caving, Volcano Boarding, Apnoetauchen, Wingsuit und Jetwing Fliegen oder Eisklettern – das hat mit extremen Mainstream dann wirklich nichts mehr zu tun.

Extremsport aus eigenem Antrieb

Ganz auf sich fixiert, das mögliche Ende – vermutlich – immer klar vor Augen, zwängen sich die ganz Harten dann durch enge, mit Wasser gefüllte, unterirdische Tunnel, stürzen sich ohne Fallschirm, nur mit einem Fledermaus-ähnlichem Anzug von Bergen und Vulkanen oder ziehen sich an fragilen Eiskonstruktionen Zentimeter um Zentimeter an vereisten Wasserfällen nach oben. Wie im Dokumentarfilm „The Search for Freedom“ aus dem Jahr 2015 in sehr sehenswerten Bildern dargestellt, geht es vielen dieser „außergewöhnlichen Sportler“ neben dem persönlichen Freiheitsgefühl zudem um das Entdecken einer neuen Freiheit, dem Erweitern des eigenen Horizontes. Denn auch das gehört heute dazu, um sich wirklich frei zu fühlen. Der ehemalige US-Astronaut Buzz Aldrin hält dieses Streben sogar für ein Grundbedürfnis Aller: „Exploration is wired into our brains. If we can see the horizon, we want to know what’s beyond.” Und genau das ist wohl der Hauptgrund vieler, weiter gehen zu wollen als andere. Auch um einen ersten Blick hinter den eigenen Horizont zu werfen – ob dieser nun auf dem Dach oder dem Grund der Welt liegt, unterliegt dann wohl der freiheitlichen Entscheidung jedes Einzelnen.

Freiheit, Flow und völliges Aufblühen

Der Bergsteiger und Mountainbiker Harald Philipp erklärt dieses Freiheits-Gefühl als Flow-Erleben, bei dem die eigentliche Angst schlussendlich völlig ausgeblendet wird: „Wenn man die Angst auf Distanz hält, dann gewinnt man Freiheit“ (im Interview mit der European Outdoor Film Tour 2016/2017) und genau das ist wohl der ausschlaggebende Punkt, das eigene Leben bis zum Äußersten zu gefährden, aber dabei doch immer das Gefühl von absoluter Freiheit zu spüren und zu leben. Und trotzdem bleibt die Entscheidung, wie weit man dieses Gefühl ausreizen will jedem selbst überlassen. Denn die Frage „Ist es mir das wirklich wert?“ kann jeder Adrenalin-Junkie für sich selbst beantworten, und das sollte er auch, denn sich einer solchen potentiellen Gefahr aufgrund von Anderen auszusetzen, wiederspricht dann nämlich dem eigentlichen Frei-Sein, dem Ausbrechen, dem Ausprobieren, dem an eigene Grenzen geraten und dem Anders-Sein und hätte dann mit dem eigentlichen extremen Sportsgeist nicht mehr wirklich viel zu tun.

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