Welcome to the jungle – Überleben im Verwaltungstrakt

Text: Kai Weeber, Foto: (c) Pexels

Es ist 8 Uhr morgens. Für manche vielleicht ein normaler Arbeitsbeginn – für Studenten einfach nur wahnsinnig früh. Ich gehe die Treppen hinauf zur Universitätsverwaltung. Es ist ein erstes Vorstoßen in das Dschungelgebiet, welches ich heute erkunden werde. Es geht darum, den besten Platz und Termin für den Glühweinverkauf der Fachschaften im Advent zu ergattern. Das ist es wert, sich in aller Frühe auf den Weg zu machen.
„Guten Tag, ich brauche von Ihnen eine Unterschrift für diesen Raumantrag.“
„Die kann ich Ihnen nicht geben, dafür müssen Sie zum AStA.“
„Aber der AStA hat gestern eine Rundmail geschrieben, dass wir zuerst hierherkommen müssen.“
„Das steht auf diesem Rundschreiben aber anders.“

Wenn sich zwei streiten, dann freut sich nicht der Dritte – es freut sich gar keiner. Besonders nicht kleine Mitglieder aus unbekannten Fachschaften, die von Raumanträgen überhaupt keine Ahnung haben. Die Landkarte, welche mir den Weg durch den Busch weisen soll, ist nichts mehr als ein nutzloses Stück Papier.
Jetzt heißt es warten vor dem AStA-Büro. Zwei andere Mitglieder aus einer anderen Fachschaft sind auch schon anwesend. Ein Dritter telefoniert angeregt mit dem Vorstand des AStA.
„Das offizielle Rundschreiben war Müll. Das Chaos ist perfekt.“

Ein Mitglied des AStA erscheint und schließt die Tür zum Büro auf. Man wird eine Liste anfertigen, auf der alle Termin- und Raumwünsche eingetragen werden. Zum Glück gibt es noch keine Kollisionen, die Notlösung könnte funktionieren. Aus einstigen Konkurrenten formiert sich eine Gruppe mutiger Tropenkämpfer. Gemeinsam macht sich der Expeditionstrupp (vier Personen) in den Dschungel der Universitätsverwaltung auf.
„Wir wissen nicht, wie es laufen soll. Bitte verlassen Sie das Büro und warten Sie auf dem Flur.“

Erwartungsvoll schlägt das Expeditionsteam ein Lager auf. Zwar droht keine Gefahr, von einem wilden Tier entdeckt und gefressen zu werden, doch entscheiden die Geschehnisse jenseits der Türe darüber, welchen Pfad wir einschlagen werden – und wie lang dieser sein wird. Die Gruppe bangt. Mittlerweile hat sich unsere Expedition um zwei Studenten erweitert.
„Fachschaft MuK?“
Ich betrete das Büro.
„Sie müssen nun noch den Antrag vom AStA stempeln lassen und eine Adresse angeben, an die die Nutzungsvereinbarung geschickt wird. Und schreiben Sie bitte noch dazu, was ‚MuK‘ überhaupt bedeuten soll.“

Zurück in vertrauten Gefilden lasse ich den Antrag abstempeln. Fehlt noch die Adresse. Doch welche Adresse eigentlich? Vier Kontaktversuche zu meinen Vorgesetzten, welche mich auf diese Expedition geschickt haben, enden erfolglos.
„Wir gehen schonmal hoch. Bis später dann!“

Meine Kompagnons ziehen ohne mich weiter. Am liebsten würde ich hinterherrennen und rufen: „Wartet auf mich! Lasst mich nicht alleine zurück!“ Doch die momentane Mission geht vor. Nach 10 Minuten erlöst mich eine Ehemalige des Fachschaftsvorstandes. Adresse drauf und zurück in den Busch.
„Jetzt brauchen Sie aber noch eine Unterschrift von der Technik.“
„Aber wieso? Die Technik muss doch nur über Starkstromanschlüsse Bescheid wissen.“
„Von Starkstrom steht hier nichts auf diesem Formular.“

(c) Pixabay

Immer tiefer wage ich mich in das Labyrinth vor. Ein Stockwerk tiefer höre ich aus dem Verborgenen eine lautere Stimme:
„Was wollen Sie noch von mir?! Ich habe überall angerufen, ich kann Ihnen nichts sagen!“
Ich spähe um die Ecke und entdecke den Rest des Expeditionstrupps. Nunmehr wieder zu sechst, hoffen wir auf den Weg zur Lichtung.
„Gehen Sie bitte zur Leittechnik und fragen Sie dort nach!“

Die Leittechnik liegt einsam und verlassen. Der Pfad, der uns versprochen wurde, wird nun von finsteren Ranken versperrt. Mittlerweile hat sich ein eindeutiger Expeditionsleiter herausgebildet. Mit entschlossener Miene spricht er:
„Wir gehen zu der Person, die für das gesamte Chaos verantwortlich ist.“

Wir steuern unweigerlich auf die Mitte des Urwaldes zu. Mittlerweile umfasst unsere Expedition 8 unverdrossene Forscher, welche nur noch ein Ziel vor Augen haben: den Antrag für einen Glühweinverkauf loszuwerden. Wir verlangen Einlass zum Häuptling, doch die Sekretärin verwehrt uns unsere Hoffnungen.
„Sie können jetzt nicht mit ihm reden, er ist in einer Besprechung.“
„Dann sagen Sie uns doch bitte, was wir tun sollen.“
„Dafür sind wir hier nicht zuständig. Gehen Sie zur Leittechnik.“
„Dort ist niemand.“
„Das ist nicht unsere Aufgabe, dann können wir nicht helfen.“

„Gut, dann gehen wir jetzt zum Kanzler.“

Wir sind im Herzen des Dschungels angelangt. Tiefer geht es nicht – werden wir ihn überhaupt jemals wieder verlassen? Und falls ja, lebendig?
„Guten Tag, könnten wir mit dem Kanzler sprechen? Es geht um einen Glühweinverkauf.“
Verdutzt starrt die Sekretärin unseren achtköpfigen Trupp an.
„Warten Sie, ich kläre die Sache. Könnten Sie bitte kurz draußen warten?“

Eine Viertelstunde später verlassen wir den Dschungel, am Ende unserer Kräfte, aber um je einen Raumantrag erleichtert. Inzwischen ist es kurz nach zehn. Zurück in der Zivilisation, lasse ich mich auf einer Bank nieder und überlege, ob eine Raumanmeldung für einen Glühweinverkauf nicht auch in zehn Minuten hätte erledigt sein können. Doch eine Sache ist sicher: Diese Expedition in den Urwald der Universitätsverwaltung werde ich so schnell nicht vergessen.

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