ERASMUS+ im Schnelldurchlauf – mein Auslandssemester in Dänemark


Text, Bilder © und Layout: Julia Bartsch

Januar 2018: Zusage

„Liebe Frau Bartsch, ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass Sie einen Austauschplatz an unserer Partnerhochschule DK ARHUS01 – University of Aarhus im Rahmen des Erasmus+-Programms erhalten haben. Herzlichen Glückwunsch!“. Da ist sie, die Mail vom Akademischen Auslandsamt. Ich hatte mich im November eher provisorisch für Erasmus beworben. Jetzt habe ich wirklich den Platz bekommen, den ich wollte. Ich sitze also in Pfersee und versuche mir auszumalen, wie es denn werden würde, in Dänemark. Klingt jetzt erstmal nicht nach Kulturschock und Spannung à la Afrika, Chile, Hongkong oder Mexiko. Aber irgendwie haben doch Etliche Skandinavien auf ihrer „Bucket-List“, so wie ich ja auch. Ich und zwei meiner Unifreundinnen, die beide auch nach Aarhus gelost wurden – was? Alle drei? Also zu dritt auf in den Norden.

Jeder Auslandsaufenthalt verlangt einiges an Organisation. ERASMUS ist keine Ausnahme, ist durchgetaktet und glaubt mir, sehr viel „Papierkram“. Auf der Erasmus-Plattform der Universität Augsburg gibt es ca. 1000 Punkte abzuarbeiten. Nach der Bewerbung folgt die Aufnahmeerklärung, die Pre-Depature-Session, die Anrechnungsbescheinigung, das Learning und das Grant Agreement. Das klingt erstmal nervig, schon klar. Aber es ist alles wichtig, gerade wenn man sich Kurse anrechnen lassen möchte. Ehe ich mich versehe, habe ich dank der Hilfe der beiden Uni-Auslandsämte einen Wohnheimplatz, meine Kurse an der University of Aarhus sowie sämtliche Termine zu Einführungsveranstaltungen, Facebookgruppen für „Internationals“ (ausländische Studierende – also uns) usw. Der Sommer ist nach Augsburg gekommen und natürlich ist der Gedanke wegzuziehen nicht mehr so attraktiv. So groß die Vorfreude auch ist, die Heimat ist vor dem Abschied noch einmal 10 mal schöner als zu jedem anderen Zeitpunkt.

August 2018: Aarhus

Und zack – plötzlich sitzen wir im Auto nach Aarhus. Erst jetzt wird uns allen klar, dass wir jetzt vier Monate im Norden leben würden und mit jedem Kilometer steigt die Spannung. Etliche Fragen surren uns durch den Kopf. Mit einem Mal habe ich dieses flaue Gefühl der Spannung im Bauch. All die Wochen und Monate vorher hatte ich kaum Zeit wirklich aufgeregt zu sein und jetzt ist dieses Gefühl gebündelt auf ca. 15 Stunden.

Schon parken wir in einer Straße nahe des International Centers an einem Hügel – Moment, sollte Dänemark nicht super flach sein? – um unseren Wohnungsschüssel abzuholen und uns anzumelden. Wir werfen einen ersten Blick auf die bunten Häuser der Stadt, die wir morgen erkunden wollen. Aarhus hat etliche kleine Cafés in kleinen Gassen, einen schönen Hafen mit architektonisch modernen Stadtteilen und eine tolle Innenstadt. Die Dänen essen viel Fisch und ein nationales Gericht ist das Smørrebrød, sie nennen es liebevoll das offene Sandwich (also ein belegtes Brot). Du kannst überall mit Karte zahlen, sogar beim einfachen Straßenstand. Es wird nicht übertrieben, wenn man sagt die Skandinavier sind schön. Sie sind schön und blond und vor allem unglaublich modisch. Die Stadt ist umgeben von Wäldern und Stränden. Es gibt mehrere Streetfoodmarkets und alternative Szenen. Alles in allem, Aarhus bietet so ziemlich alles. Auch Fahrräder, hauptsächlich Fahrräder. Häuserwände voller abgestellter Fahrräder, Fahrradwege drei Mal so groß wie die der Fußgänger – ja, kein Scherz. Alles in Dänemark ist auf den Fahrradverkehr ausgelegt, aber wieso muss denn der einzig hügelige Teil Dänemarks in der Stadt sein, in der ich wohne? Im „Berufsverkehr“ quälen sich hinter dir schon mal bei Wind und Wetter an die 50 Fahrradfahrer den Berg herauf, obwohl quälen hier mein Verb der Wahl ist…Die Dänen haben damit kein Problem, da habe ich als es kälter wurde doch lieber den Bus genommen. Der September ist in Dänemark noch recht warm und so kann man bei gutem Wetter alles erkunden. Spätestens ab Oktober herrscht allerdings Regenjackenpflicht. Ich hatte mich allerdings auf viel mehr Regen eingestellt, als es letztendlich war und ganz nach skandinavischen Fashionstandard gibt es Regenjacken in allen Farben und Schnitten. Das macht die paar grauen Regentage doch sehr bunt.

Aarhus begrüßt uns mit einem Festival, das jedes Jahr stattfindet und gerade für Internationals eine tolle Möglichkeit ist, sich die Stadt anzusehen und gegenseitig kennenzulernen. Ob Italiener, Spanier, Franzosen, Engländer, Deutsche (viele, viele Deutsche), Tschechen, Ungarn, Polen oder auch jeder Australier, Amerikaner, Chinese oder Kanadier – sie alle verbindet, dass sie kein Schwein kennen. So unterhält sich jeder mit jedem, nationale und internationale Gruppe bilden sich – ich für meinen Teil habe, außer meinen Augsburgerinnen, Deutsche eher gemieden. Hier triffst du wirklich alles, vom grauen Mäuschen über Skater, hin zu Alternativen und Strebern. Fast jeder ist aufgeschlossen und hat Lust Leute kennenzulernen und verrückte Dinge zu erleben. Mit völlig Fremden aus aller Welt tingelst du durch die lebendige Stadt, verläufst dich, erkundest, trinkst und feierst. Anfangs ist jeder International dein Freund, Anschluss zu finden ist wirklich nicht schwer, erst mit der Zeit kristallisiert sich der enge Freundeskreis heraus.

September 2018: Unistart

Läuft man von der Innenstadt den Hügel rauf kommt man fast unweigerlich an der Aarhus University raus. Der Campus ist riesig mit großem Park und Unisee, ein kleiner Gedanke geht zurück nach Augsburg. Die Gebäude sind aus gelben Ziegelsteinen, für die die Uni mittlerweile bekannt ist, und sind teilweise mit Efeu bedeckt. Alles ist sehr modern, es gibt mehrere Cafeterias, die große Royal Library und außerdem ein Studentenhaus, in dem es ein Café und eine Bar gibt. Dänen können feiern und das zeigen sie ausgerechnet im universitären Kontext. Freitags verwandelt sich die Uni in eine Barlandschaft. Jede Fachschaft hat einen Raum, in dem sie Alkohol ausschenkt, Trinkspiele und Musik gespielt werden. Das dänische Getränk der Wahl? Bier. Bei den sogenannten Friday Bars übrigens besonders billig. Am Montag ist von dem Chaos ein paar Tage zuvor nichts mehr zu erkennen. Das eingenommene Geld wird teilweise für die Reinigung der Uni ausgegeben. Ob sowas in Deutschland möglich wäre? Wohl eher nicht…Seminare und Vorlesungen selbst sind auf hohem englischem Niveau. Die Dänen sprechen sehr klares und gutes Englisch, was meinen Sprachgebrauch sehr bereichert hat. Allgemein war es nie ein Problem sich im Alltag zu verständigen, da wirklich jeder sehr gutes Englisch spricht.

Oktober 2018: Reisen

Nach ein paar Tagesausflügen durch Dänemark, treten wir heute die erste größere Reise an, nach Norwegen. Skandinavien hat eine atemberaubende unberührte Natur, die wir 10 Tage erleben dürfen. Wir erkunden auf eigene Faust das Land, es gibt allerdings zahlreiche organisierte Reisen von ESN, die unter anderem auch nach Lappland und in Norwegens Norden führen. Alles hat seine Vor- und Nachteile, aber entgehen lassen sollte man sich dieses Land nicht. Von AirBnB zu AirBnB fahren und wandern wir durch Norwegens Fjorde und Wälder. Im Herbst zeigen sich die Bäume in den buntesten Farben und die Wiesen immer noch in sattestem grün. Immer mal wieder rufe ich mir ins Gedächtnis, wo ich hier gerade bin. Auf einem Berg in Norwegen blicke ich bei Minusgraden in einen Fjord. Hier haben wir am nördlichsten Punkt unserer Reise den ersten Schnee. Weiter nördlich auf der Weltkugel war ich noch nie. Skandinavien hat einen ganz eigenen Charme, den man kaum richtig beschreiben kann. Das dänische Trendwort “HYGGE” versucht sich diesem Lebensgefühl anzunähern. Es ist gemütlich und heimisch und unberührt. Vertrauen wird großgeschrieben. Jeder ist sehr freundlich und hilfsbereit. Die Reisen verlangen allerdings auch ihren Preis. Schon Dänemark ist teuer. Für einen normalen Wocheneinkauf habe ich leider schonmal das doppelte im Vergleich zu Augsburg gezahlt und einen Cappuccino bekommt man leider auch nicht unter 6 Euro…

November 2018: Weihnachten in Dänemark

Schon recht zeitig wird hier die Weihnachtszeit eingeläutet. In Aarhus wird die lange Einkaufsstraße jedes Jahr mit einem Lichterhimmel überspannt. Beim Ritual zum Anschalten dieser Lichter fährt ein großer Weihnachtsumzug mit Kapellen und dem Weihnachtsmann und seinem Schlitten, der mit dem Schiff aus Grönland kommt und danach nach Kopenhagen weiterzieht, stundenlang durch die Stadt. Die Dänen haben spezielles Weihnachtsstarkbier, dass immer am ersten Freitag im November um 20.59 Uhr zum ersten Mal im Jahr ausgeschenkt wird, was im ganzen Land eine große Feier mit sich zieht, den”J-Day” – Julebryg-Tag. Es gibt auch ein paar Weihnachtsmärkte, die mit deutschen leider nicht zu vergleichen sind – wir sind so verwöhnt damit. Zum Glück gibt es auch hier Glühwein. Die Dänen nennen ihn Glögg und in der Tasse oder im Glas sind meist noch Rosinen und Mandeln, was gewöhnungsbedürftig, aber lecker, ist…zumindest die Mandeln. Das skandinavische St. Lucia Fest erleben wir in Stockholm/Schweden mit anderen Auslandsstudenten. Chöre ziehen mit Kerzen auf dem Kopf durch die Straßen und singen, zu Ehren der heiligen Lucia. Stockholm ist wunderschön und wir bereisen es mit einer Gruppe aus Franzosen, Briten und Australiern. Es hat sich ein enger Freundeskreis gebildet, der sich ungern trennen will.

Dezember 2018: Abschied                                                                        

Ein letztes Mal komme ich zurück ins Ravensbjerg Kollegiet, meinem Wohnheim. Ein großer Parkplatz mit vier großen roten Ziegelhäusern begrüßt mich. Jedes Haus hat sechs Wohneinheiten, bestehend aus einer gut ausgestatteten Gemeinschaftsküche und 16 Zimmern mit kleinen Bädern. Ein letztes Mal komme ich in das Zimmer, dass ich vier monatelang eingerichtet und mit Erinnerungen, mit harter Arbeit, mit frühem Aufstehen und mit langen Katertagen gefüllt habe. Im Wohnheim hat sich auch eine Freundesgruppe aus Internationals und Einheimischen gebildet. Wir haben zusammen gekocht und nächtelang in der Küche gefeiert, Sport im Fitnessstudio des Wohnheims gemacht, die Sauna und die Bar ausgekostet. Es ist eine kleine Familie entstanden, die bald zerrissen wird…Gerade realisiere ich es. Das hier ist das letzte Mal. Ich komme gerade das letzte Mal in dieses Zimmer, in diesem Zustand. Ich glaube jeder hat irgendwann diesen Moment. Es ist nicht wirklich, nichts davon fühlt sich wirklich an.  Halb 3 Uhr in der Nacht. Ich sitze auf meinem Bett und blicke auf mein halb geputztes Zimmer und die halb gepackten Taschen. Morgen werde ich gehen. Ein Leben voller war und hätte zurücklassen. Die letzte Dusche, die letzte Wäsche, das letzte Kochen, die letzte Umarmung. Menschen, die ich vielleicht nie wiedersehen werde. Menschen, denen ich mich so nah fühle. Von Miriam Adeney ist der bescheuerte Satz, den jeder schon tausend Mal gehört hat und mit dem jeder zweite sein Instagram-Profil schmückt. “You will never be completely at home again, because part of your heart always will be elsewhere. That is the price you pay for the richness of loving and knowing people in more than one place.”

Januar 2019: Zurück

Ich bin seit über einem Monat wieder zuhause. Zuhause…komisch das zu sagen. Noch vor ein paar Wochen meinte ich mit „Gehen wir heim?“ noch mein kleines Zimmer im Ravensbjerg Kollegiet. Jetzt ist mein „Zuhause“ wieder mein Jugendzimmer bei meinen Eltern, das so gar nicht mehr nach mir aussieht. Meine Augsburger Freunde sind im Prüfungs- und Hausarbeiten-Stress und ganz nach Lebenslaufdenken fülle ich die freien vier Monate mit einem Praktikum. Viel Zeit zum Nachdenken hatte ich zwischen Ankunft und Arbeitsbeginn nicht, aber das ist vielleicht auch gut so. Der Abschied war ohnehin zu schwer als ihn mental noch einmal wiedererleben zu wollen. Zwar ist es erst ein paar Wochen her, aber mein Auslandssemester fühlt sich jetzt schon wie ein Traum an, aus dem ich leider wieder aufwachen musste und der mir jeden Tag ein bisschen mehr engleitet. Dann sehe ich wie die ersten Deutschen sich an den skandinavischen Stil trauen, der wohl erst nächstes Jahr im Trend sein wird.  Ich führe immer noch kaum Bargeld bei mir und versuche überall mit Karte zu zahlen. „Welcher Bäcker hat heutzutage noch keine Kartelesegerät? Achso, ich bin ja wieder in Deutschland.“ Ich erwische mich dabei, wie ich am Fahrradweg jedes Mal anhalte und mich umsehe, als würde ich gleich überfahren werden. In solchen Momenten merke ich, dass es mir nicht entgleitet, es ist ein Teil von mir, den ich nicht vergessen werde. Außerdem gibt es auch nachträglich im Erasmus-Portal der Uni Augsburg genug zu tun. Ich bin wieder voll in meinem deutschen Alltag angekommen, so wie alle Auslandsstudenten überall auf der Welt. Das nächste Treffen und der nächste Besuch sind aber schon geplant. Aarhus, wir sehen uns ganz bald wieder…

Schreibe einen Kommentar