“Meins?” Die Eigentumskonferenz im Provino

Text, Interview & Bilder: Miriam Scheibe

Buntes Treiben herrschte am vergangenen Wochenende im Augsburger Provino Club. Von Freitag bis Samstag fand dort „Die Eigentumskonferenz“, das „2. Festival der Solidarität“ statt. Während im inneren des Clubs Konferenzen, Workshops und Ausstellungen stattfinden, kann man im Außenbereich über die Initiativenstraße“ flanieren, wo verschiedene Organisationen und Projekte ihre Ideen an Ständen vorstellen, oder im gut besuchten „Wirgarten“ bei Kaffee und Linseneintopf beisammensitzen und diskutieren. Hier treffe ich mich am Samstagnachmittag mit Steini und Anne, Mitglieder des Netzwerkes Solidarische Stadt Augsburg, welches die Eigentumskonferenz organisiert hat, um über Idee und Vision dieses Events irgendwo zwischen Konferenz und Festival zu sprechen.

Hi! Zu Beginn ist vielleicht erst mal interessant, wieso das hier das „2. Festival der Solidarität“ ist. Gab es so eine Konferenz denn schon mal?

Anne: Es heißt deswegen so, weil es im letzten Jahr die „Erste Augsburger Sicherheitskonferenz“ gab – ein  Festival der Solidarität.

Und wie kam es dann zu der Idee, das dieses Jahr ausgerechnet zu einer Eigentumskonferenz zu machen?

Steini: Letztes Jahr war für uns der Sicherheitsbegriff etwas Zentrales und nach dem Nachbereitungstreffen der Sicherheitskonferenz haben wir überlegt, was noch ein wichtiges Thema ist, und kamen dann relativ schnell auf den Eigentumsbegriff. Ich glaube es war so im Januar, wo die Diskussion war, welches Oberthema wir nehmen und danach hat die öffentliche Debatte um Eigentum nochmal viel Fahrt gewonnen. Viele Diskussionen laufen auf das Thema Eigentum hinaus – also „wem gehört’s?“ Ob es im Wohnungsmarkt war, wo sich zum Beispiel Kevin Kühnert nochmal zum Eigentum geäußert hat und eine Riesenwelle angeschoben hat. Oder die Frage, ob es ein „Recht auf Stadt“ gibt. Für wen ist die Stadt da? Schließt man bestimmte Gruppen aus von der Nutzung von bestimmten Orten? Da gab es etwa im letzten Jahr viele Streitereien um den Elias-Holl-Platz, wo Jugendliche vorgeblich zu laut waren und man sie vertreiben wollte. Aber dann sind sie eben woanders… Man muss den Jugendlichen doch irgendwie einen Raum geben. Oder wir hatten auch dieses Jahr wieder Diskussionen um Abtreibungen und Schwangerschaftsabbrüche, das ist auch eine Frage des Eigentums: Ist mein Körper mein Eigentum, darf ich darüber bestimmen als Frau? … Und noch viele andere Sachen. An so vielen Ecken hatten wir allein dieses Jahr Diskussionen, die auf den Eigentumsbegriff zugerollt sind, also eigentlich können wir uns ja fragen, ob wir mit dem Thema voll den Nerv der Zeit getroffen haben. Und das war ja wirklich auch zufällig, also dass es dieses Jahr so viel dazu gibt, hätten wir auch nicht ahnen können.

Umso mehr freut es uns auch, dass hier so viele verschiedene Gruppen dabei sind. Wir haben die Leute vom Frauenstreik dabei, die eine Ausstellung und einen Vortragsworkshop machen. Wir haben den Flüchtlingsrat dabei. Wir haben viele Initiativen dabei aus dem Bereich Wohnen: „Unser Haus e.V.“, „Paradieschen“, „Tiny House“.

Die Aktiven der Initiative “Tiny House” bauen an den Konferenztagen ein winziges Haus für eine wohnungslose Person, um die Problematik der Wohnungslosigkeit sichtbar(er) zu machen. Und Jung und Alt hilft mit.

Wie kam es denn dazu, dass so viele Gruppen beteiligt sind? Oder allgemeiner: wie wurde die Idee zur Konferenz in die Praxis umgesetzt?

Anne: Wir haben uns als Solidarische Stadt, also als Aktive dort in dem Bündnis, in einem Brainstorming-Prozess für den Eigentumsbegriff entschieden, weil wir dachten, dass das Thema viele was angeht und für viele ein wichtiges Phänomen ist, und haben dann einen Beteiligungsaufruf gemacht.

Steini: In dem Beteiligungsaufruf waren nach einem ersten Brainstorming schon etwa 20 Themenideen zum Eigentumsbegriff dabei. Den Aufrufstext haben wir dann an Akteur*innen der Sicherheitskonferenz vom letzten Jahr geschickt, auf unsere Webseite gestellt, per Facebook geteilt und um Rückmeldung gebeten im Sinne von „Wo tritt für dich Eigentum zutage, ist das ein positiver Eigentumsbegriff oder stellt Eigentum für dich vielleicht auch ein Problem dar? Habt ihr irgendwie Praxen, wo ihr sagt, da könnte man mit Eigentum anders umgehen?“

Anne: Und das eigentliche Programm der Konferenz ist quasi der Rücklauf auf diesem Aufruf. Also die, die sich hier aktiv beteiligen, die haben sich gesagt „ja, das was wir machen in unserem Verein, Netzwerk oder auch als Privatpersonen hat mit Eigentumsfragen zu tun“. Und die stellen dann hier ihre Definition des Begriffes vor. Deswegen geht es hier dann zum Beispiel um „Eigentum und Flucht“, „Eigentum und Frauenrechte“, „Eigentum und Wohnen“. Die Themenideen im Aufruf waren eben nur als Anstoß gedacht, wir haben nicht einen Eigentumsbegriff vorgegeben, sondern wollten genau diese Definitionsfreiheit lassen. Also dass sich aus verschiedensten Bereichen der Gesellschaft Initiativen bewerben können und aus ihrer eigenen Expertise heraus sprechen können.

Steini: Da gibt es eben auch Expertise in den jeweiligen Gruppen, die bestimmte Problematiken in ihrer alltäglichen Erfahrung erleben und das den Besuchern und Besucherinnen hier dann auch nahebringen können.

Habt ihr es denn wirklich geschafft, alles, was so an Rücklauf kam, ins Programm einzubinden?

Anne: Um das zu erleichtern, haben wir dieses Jahr zum ersten Mal angeboten, mit einem Rahmenprogramm zu arbeiten, das heißt, wenn es Initiativen gibt, die einfach just an diesem Wochenende nicht können aber ´ne mega Idee haben und fest davon überzeugt sind, dass sie das umsetzen wollen, dann war unser Angebot, das davor oder danach machen zu können. Drei, vier Wochen Vor- und drei, vier Wochen Nachlauf war so der erste Rahmen, den wir gesetzt haben. Es gab dann auch wirklich zwei, drei Sachen, die im Vorfeld stattgefunden haben und wir machen noch eine Nachbereitungsveranstaltung. Aber die Umsetzung der einzelnen Programmpunkte war nicht Aufgabe der Solidarischen Stadt, also abgesehen von der infrastrukturellen Umsetzung. Die inhaltliche, finanzielle und organisatorische Umsetzung, das ist Aufgabe der einzelnen Beitragenden. Wir als Solidarisches Netzwerk haben sozusagen eine Bühne oder ein Forum geschaffen, aber es war uns wichtig, den Beitragenden auch Freiheiten zu lassen.

Steini: Die allermeisten Vorschläge, die kamen, konnten wir irgendwie unter einen Hut bringen. Aber es gab eine minimale Anzahl an Vorschlägen, die wir ablehnen mussten, weil die unserem Solidaritätsgedanken zuwider sprachen. Denn unsere Grundsäule ist, dass wir ein solidarisches Miteinander wollen, der Teilnehmer*innen hier, der Aktivist*innen die das Ganze möglich machen, der Gruppen, die sich beteiligen.

Weil das Thema Solidarität uns so wichtig ist, haben wir auch ein Awareness-Konzept erarbeitet. Wir haben sowohl eine Awareness-Kampagne, die sich hier dann in Postern ausdrückt und es gibt auch ein Awareness-Team, was hier rumläuft und darauf achtet, dass ein respektvolles Miteinander möglich ist.

Wie kamt ihr denn eigentlich darauf, die Eigentumskonferenz im Provino zu veranstalten?

Steini: Wir waren letztes Jahr auch schon hier, also der Kontakt hat schon bestanden. Und das Provino ist eben auch ein Mitglied des Netzwerkes Solidarische Stadt. Es gibt 70 Solidarische Orte in Augsburg, die erkennt man an so gelben Aufklebern und das Provino ist einer davon. Und das Provino ist eben tatsächlich selbst auch ein bedrohter Ort. Anne, erzähl Du vielleicht davon.

Anne: Die Eigentumsfrage stellt sich hier nochmal auf ganz explizite Weise. Das Provino ist ein Raumnutzungs-, ein Zwischennutzungs-Projekt, was de facto eine Endlichkeit hat. Und wenn das hier dann vorbei ist, ist das prekär. Wenn dieser Ort hier fehlt, dann fehlt für all diese Sachen, wie etwa diese Konferenz, eben auch der Ort. Die Räumlichkeiten des Provino geben total viel her, wir konnten hier an einem Wochenende drei, vier Bühnen etablieren parallel zueinander, um den ganzen Rücklauf, den wir bekommen haben, auch zu bewältigen.

Als Raum für Vorträge diente beispielweise die Kegelbahn.

Die Konferenz ist ja hier seit gestern schon in vollem Gange. Was versprecht ihr euch denn eigentlich von der Eigentumskonferenz, was ist der Anspruch der Konferenz, was ist euer Ziel?

Anne: Es geht uns nicht darum, konkrete gesellschaftliche Probleme zu lösen – der Lösungsanspruch ist immer ein enorm hoher Anspruch. Worum es hauptsächlich geht, ist vielleicht auch mal viele Problematiken unter diesem Eigentumsbegriff oder unter der Perspektive von Eigentum und Eigentumsverhältnissen zusammenzubringen. Wem gehört was? Wo ist Eigentum vielleicht auch gut, wenn wir jetzt zum Beispiel über geistiges Eigentum sprechen, und wo führt es vielleicht auch zu Machtmissbrauch?

Steini: Ich mein das Mietshaussyndikat zum Beispiel, zu denen ja auch „Unser Haus e.V.“ gehört, die haben sich Eigentum als positiv angeeignet. Für die ist Eigentum ein Schutz vor den Kräften des Marktes. Eigentum ist eben auch nicht per se schlecht, der Begriff ist ambivalent.

Anne: Und oft weiß man eben gar nicht, dass da indirekt oder unbewusst Eigentumsfragen verhandelt werden. Und das ist, finde ich, besonders gut sichtbar bei der Selbstbestimmungsdebatte, also der eigenen Verfügung über den eigenen Körper. Da wird es finde ich sehr, sehr schnell sehr, sehr klar sichtbar, dass da auch manchmal verfügt wird über andere in einer Art und Weise, die grenzüberschreitend ist. Und wenn man das mal so formuliert, dann generiert das zum einen eine Wahrnehmung, aber eben auch eine Reflexion mit sich selbst, die dann auch wieder etwas anderes anstoßen kann.

Die Stände der Hausprojekte “Paradieschen” und “Unser Haus e.V.” auf der Initiativenstraße.

Was ist jetzt, wo etwa die Hälfte der Konferenz vorbei ist, euer Zwischenfazit?

Anne: Also zu der Initiativenstraße haben wir letztes Jahr nur positives Feedback bekommen. Das kann man für dieses Jahr zwar noch nicht sagen, aber es gibt auf jeden Fall super Synergien, das Ganze hier hat einen großen Netzwerkeffekt – die Ideenspinnereien haben schon angefangen.

Steini: Ja, genau. Es entstehen hier persönliche Bande zwischen Leuten und Gruppen, die sonst nur medial vernetzt sind. Und nur so kann man dann auch etwas auf die Beine stellen. Wir hatten auf jeden Fall einen guten Zulauf bis jetzt, es gab viel Interesse und viele tiefgehende Gespräche. Aber ob wir’s wieder machen… Mal gucken! Es wird wahrscheinlich ein bisschen brauchen, bis wir wieder Bock auf was Neues haben.

Anne: Das hier ist eben auch alles ein Prozess – was am Ende rauskommt, wissen wir auch nicht. Aber es ist mir noch wichtig, zu sagen, dass das Solidarische Netzwerk nicht nur diese Konferenz ist, es gibt viel, was über’s Jahr verteilt stattfindet. Und eine Lektion, die wir aus dem letzten Jahr gelernt haben, ist, dass wir nach der Konferenz eine Nachbereitungssitzung machen, um zu besprechen, wie zufrieden die Beteiligten mit der Orga etc. waren. Die findet nächste Woche statt. Und dann sehen wir weiter.

Ich bedanke mich bei Anne und Steini  für das nette Gespräch und verabschiede mich, um noch einen Vortrag zu besuchen. Nach einem heftigen Regenguss vorhin blitzt nun die Sonne auf den Wirgarten, wo noch immer an einer Menge Tische diskutiert wird. Die Stimmung ist gelassen und freundlich, man hat das Gefühl, sich überall dazusetzen und am Gespräch beteiligen zu können. Schön, so ein harmonisches Miteinander!