Briefe schreiben: ein Retrotrend?

© Sabrina Schäfer

Montag, am späten Nachmittag. Man kehrt von einem langen Arbeits- oder Bibliothekstag nach Hause zurück. Bevor man die Wohnung betritt, ein Blick in den Briefkasten: Ein Flyer mit einer Auswahl an 300 bayrisch-asiatisch-italienischen Spezialitäten, ein Angebot für ein Probeabo des neueröffneten Fitnessstudios und schon wieder die GEZ, …

Alles zusammengenommen nichts, worüber man vor Freude Luftsprünge machen würde. Doch dann fällt der Blick auf etwas Ungewohntes. Ein Briefumschlag mit handgeschriebener Adresse. Der Absender: eine gute Freundin aus Kindergartentagen.

Statt den Brief sofort ungeduldig aufzureißen, nimmt man sich Zeit. So etwas liest man nicht einfach kurz zwischen Tür und Angel. Ein Brief ist schließlich etwas Besonderes, beinahe eine Rarität heutzutage.

Doch warum ist das so? Weshalb sind Briefe nicht mehr „im Trend“?

Die Antwort scheint logisch. Durch Whatsapp, Facebook, Instagram und Co. kann man schnell und vor allem kostenfrei miteinander kommunizieren. Unmittelbar erfolgen die Reaktionen des Chatpartners, per Emojis, GIFs und Sticker teilt man seinen momentanen Gefühlszustand mit. Dank der sozialen Netzwerke ist man immer auf dem aktuellsten Stand und kann sich sofort mitteilen. Verspätet man sich bei der seit Tagen geplanten Grillparty reicht eine kurze Nachricht in der Gruppe „Sommer, Sonne, BBQ <3“.

Auch generell schreibt man immer weniger mit der Hand. In den Vorlesungen und Seminaren findet man zunehmend mehr Laptops und Tablets, in den Bibliotheken gehört das Tippgeräusch schon zur allgemeinen Lernatmosphäre.

Und ja, die Zeiten, in denen man Essays und Hausarbeiten von Hand schrieb oder mit der Schreibmaschine abtippte, sind zum Glück lange vorbei. Durch das Schreiben am Laptop spart man sich viel Zeit, was in einer Welt, in welcher alles immer schneller gehen muss, von Vorteil ist.

Briefe wirken in so einer Welt fehl am Platz. Nur bestimmte Dinge erscheinen in Briefform noch als normal. Werbung und Rechnungen gehören dabei zu der unbeliebteren Kategorie. Briefe zu den Wahlen sind allgemein akzeptiert, drücken sie schließlich etwas Offizielles und Seriöses aus. Einladungen zu Hochzeiten oder anderen feierlichen Anlässen werden in der Regel noch per Post versandt (je nach Menge der geladenen Personen aber selten von Hand geschrieben).

Jedes Jahr nimmt die Anzahl der versendeten Briefe ab. Die Deutsche Post DHL lieferte im Jahr 2017 noch rund 18,6 Milliarden Briefe aus, im Jahr 2018 waren es nur rund 17,8 Milliarden (Quelle: Geschäftsbericht 2018). Sind Briefe bald also nur noch ein urzeitliches Relikt aus grauer Vorzeit?

Dabei könnten Briefe perfekt Teil des Retrotrends werden, der schon seit geraumer Zeit in verschiedenen Bereichen Einzug gehalten hat. „Retro“ ist Lateinisch und bedeutet soviel wie „rückwärts“, „vorher“ oder auch „zurück“. Beim Retrotrend besinnt man sich auf Vergangenes und lässt es wieder neu aufleben.

Ein wichtiger Faktor beim Briefeschreiben ist die Entschleunigung. Man nimmt sich bewusst Zeit, wählt zuerst ein schönes Briefpapier, vielleicht kramt man auch wieder den Füller aus Schulzeiten hervor und dann: der erste Federstrich. Am Anfang ist alles noch ungewohnt, man merkt, dass die eigene Handschrift durch das viele Schreiben am Computer etwas gelitten hat. Die Buchstaben und Wörter scheinen sich unbeholfen zu formen. Aber nach einer Weile wird das Schreiben flüssiger. Man ist drin.

Hat man das Werk beendet, wird der Briefbogen vorsichtig gefaltet und in den Umschlag gelegt. Zugeklebt, Briefmarke drauf und dann in den Briefkasten der Post.

Jetzt beginnt die Wartezeit. Man weiß nicht genau, wann der Brief sein Ziel erreichen wird. Und man weiß nicht, wann die Antwort erfolgt.

Umso schöner ist es dann, eines Tages beim Blick in den Briefkasten, zwischen Werbung und Rechnungen, einen Brief von einer guten Freundin zu finden.

Ein Brief ist etwas Greifbares, etwas, das bleibt. Man kann sich einen Brief auch noch nach Jahren erneut durchlesen. Und – wenn wir ehrlich sind – wer würde das bei einem Chatverlauf tun?

Ein Brief ist etwas Besonderes, vor allem heutzutage. Natürlich ist es einfacher, mit der Familie und Freunden über die sozialen Netzwerke in Kontakt zu bleiben. Doch gerade weil so viel über diese kommuniziert wird, könnte ein Brief eine schöne Überraschung sein. Etwas ungewohnt vielleicht, aber schön. Retro eben.

Schreibe einen Kommentar