Studium, Arbeit, Rente – eine kleine Systemkrise

Matterhorn;
© Paulina Eberhardt

Ich befinde mich auf 3100m Höhe. Um mich herum nichts als Berge, Gletscher, Wolken und Touristen. Ich bin gerade 4 Stunden auf den Gornergrat gelaufen und sehe das Matterhorn direkt gegenüber von mir. Es sieht zwischen all den Viertausendern plötzlich gar nicht mehr so mächtig aus…schon fast unscheinbar. Ich bin verschwitzt, mir wird langsam kalt und ich spüre jede Muskelfaser, aber ich bin GLÜCKLICH! Ich fühle mich frei. Als würde mir die ganze Welt offenstehen, als könnte ich alles erreichen.

So habe ich mich vor ein paar Wochen im Urlaub in der Schweiz gefühlt. Erst wollte ich den Urlaub aufgrund der Prüfungsphase absagen, was ich zum Glück nicht getan habe. Das kleine Bergsteigerdörfchen Zermatt liegt am Fuße des Matterhorns. Von dort aus kann man auf einem Wanderwegnetz von etwa 400 Kilometern über Almen, Wiesen, Fels und Eis laufen. Dieser Ort hat einfach etwas Magisches. Ich war schon oft wandern, aber diesmal fühle ich mich wie auf einem anderen Planeten. In einer friedlichen Welt voller Lebensfreude, Kreativität und Ruhe. Zum ersten Mal seit langem denke ich wieder aktiv über mein Leben nach: Was mache ich gerade? Wo will ich hin? Wo auf dieser wunderschönen Erde möchte ich mal Leben? Mit was mein Geld verdienen?

Wenn ich durch die Straßen von Augsburg gehe, schaue ich hauptsächlich in gestresste und angepisste Gesichter. Bin ich freundlich und sage „Hallo“, werde ich noch komisch angeschaut. Nach dem Motto: „Was ist mit der? Wieso ist die gut drauf?“ Immer öfter denke ich: Will ich das wirklich später? Will ich wirklich irgendwann 8 Stunden am Tag, 40 Stunden die Woche, 40 Jahre meines Lebens arbeiten? Damit ich dann in meinen letzten Lebensjahren endlich das machen kann, was ich machen will? Und dann kann ich es womöglich nicht mehr. Das geht mir gegen den Strich. Meine Mitbewohnerin nennt meine aktuelle Gefühlslage „eine Systemkrise“, was ich ziemlich zutreffend finde. Ich habe keinen Bock mehr auf dieses deutsche durchgeplante Leben: Abi, Studium, Arbeit, Rente. Punkt. Möglichst wenig genießen, möglichst viel arbeiten. Das ist doch nicht gesund. Natürlich macht das manche Menschen vielleicht glücklich, weil sie in ihrem Beruf aufgehen und es sie erfüllt. Dann ist das ja auch vollkommen ok. Aber ich kann mir immer weniger vorstellen, mein Leben lang an einem Ort zu wohnen und in einem einzigen Beruf zu arbeiten, um mir meine Rente zu verdienen. Es gibt so viele schöne Orte auf diesem Planeten, wo ich mal leben will. So unendlich viele verschiedene Lebensentwürfe, die ich mir für mich vorstellen kann.

Letztens habe ich „Das Café am Rande der Welt gelesen. Ein tolles Buch übrigens. Es handelt von einem unglücklichen Geschäftsmann, der zufällig auf ein Café stößt und dort in Gesprächen nach dem Sinn des Lebens, SEINES Lebens, sucht. Die Protagonisten sprechen über den sogenannten ZDE, den Zweck der Existenz. Es geht darum herauszufinden wofür ICH lebe. Warum ICH auf der Erde bin. Und was MICH im Leben erfüllt. Danach liegt es an einem selbst, diesen Zweck auszuleben und jeden Tag die Dinge zu tun, die einen glücklich machen. Nicht das, was die Gesellschaft einem auferlegt. Das hört sich alles so einfach an. Ist es definitiv nicht. Aber es macht Mut und Lust auf ein selbstbestimmtes Leben.

Natürlich wäre es nicht allzu klug, jetzt sofort das Studium zu schmeißen, die Surfbretter einzupacken, in den VW-Bus zu steigen und loszufahren (wobei das ziemlich cool klingt). Aber es reicht schon jeden Tag ein bisschen von dem zu tun, was einen begeistert und sich ab und zu Gedanken zu machen. Wo, mit wem und womit will ich im Moment mein Leben verbringen? Ein bisschen träumen schadet nie. Also los geht’s. Seid frei, zeigt Liebe (vielleicht steckt Ihr so manchen Griesgram auf der Straße damit an) und habt Freude am Leben.

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