Nein heißt Nein – der internationale Tag gegen Gewalt an Frauen

©Terre des Femmes
©Terre des Femmes

 „Jede dritte Frau ist einmal in ihrem Leben mit häuslicher oder sexueller Gewalt konfrontiert“, stellt Familienministerin Franziska Giffey anlässlich des Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen fest. 1999 wurde dieser Tag von der UN offiziell ins Leben gerufen. Seitdem wird jährlich am 25. November den Opfern von häuslicher Gewalt gedacht – weltweit und auch in Augsburg.

Laut der polizeilichen Kriminalstatistik 2019 wurden im vorigen Jahr bundesweit 122 Frauen von ihrem Partner ermordet und 324 erlebten einen Mordversuch. Nach dem BKA versucht jeden Tag ein Mann in Deutschland seine Frau umzubringen. Vergangenen Montag organisierte das Augsburger Aktionsbündnis, zu dem unter anderem der Frauenrechtsverein Terre des Femmes gehört, eine Aktion gegen Gewalt an Frauen. Katrin Jacob, Mitglied und Hauptorganisatorin, gibt einen Einblick in die Bedeutung des 25. Novembers.

Presstige: Terre des Femmes wurde ursprünglich 1981 in Hamburg  gegründet. Wofür setzt sich der Verein ein?

Katrin: Ganz allgemein gesagt setzt sich der Verein für die Rechte von Frauen ein. Auf allen Gebieten. Also ob es um sexistische Werbung  geht oder Gewalt gegen Frauen. Die Themen unterteilen sich in Spezialgebiete: zum Beispiel ist die weibliche Genitalbeschneidung (FGM) ein starkes Thema. Und Prostitution. Dann auch vermehrt Mädchenrechte. Aktuell gibt es eine Unterschriftenaktion für ein Kopftuchverbot von Mädchen in Schulen oder Kindergärten. Und dann setzen eigentlich auch die Ortsgruppen Themen. Das, was die Städtegruppen als wichtig ansehen, können sie setzten. Und das sind die Hauptthemen. Also alles, was Frauen angeht.

Presstige: Da leitest du gut zu meiner nächsten Frage über: Was sind auf Augsburger Ebene die wichtigsten Themen?

Katrin: Also in Augsburg haben wir ganz stark das Thema FGM. Hier kooperieren wir unter anderem auch mit der Universität und Medizinern. Terre des Femmes möchte nicht nur über das Thema informieren, sondern hat auch ein Projekt ins Leben gerufen, wo wir Change Agents ausbilden. Das sind meistens selbst betroffene Frauen und teilweise auch Männer, die in ihren Herkunftsländern, meist Afrika, Informationsarbeit leisten. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Gewalt gegen Frauen, also häusliche Gewalt. Prostitution ist ein Thema, das auch in die Gewalt hinein spielt. Außerdem ist eines unserer Ziele, Terre des Femmes allgemeiner bekannt zu machen. Diese Themen setzen wir im Moment und können diese auf ehrenamtlicher Basis durchführen.

Presstige: Mit Bezug auf den heutigen Tag als den Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen: Wie sieht eure Aktion heute aus und auf was möchtet ihr speziell aufmerksam machen?

Katrin: Normalerweise hisst Terre des Femmes am 25. November immer Flaggen mit dem Titel „Frei leben ohne Gewalt“. Wir haben in den vergangenen Jahren immer dieses Fahnen Hissen in der Vordergrund gestellt, aber dieses Mal haben wir uns etwas anderes vorgenommen. Das war unheimlich wichtig – das merkt man erst immer, wenn man dabei ist – um uns selber wieder ein wenig Kraft zu geben. Denn es sind heute eigentlich drei andere Aktionen: Wir haben zum einen diese Spray-Aktion, um bei den Leuten Aufmerksamkeit zu erregen. Hier werden zum Thema „Nein heißt Nein“ Kunstwerke entstehen und wir selber sprayen auch ein bisschen. Und der zweite Teil ist eine Mahnwache. Wir stellen 150 Kerzen auf, die stellvertretend für die getöteten Frauen in Deutschland und weltweit stehen. Dazu haben wir Plakate mit Informationen und Daten dabei. Im Anschluss findet am Abend um 19 Uhr der ökumenische Gottesdienst in der Annakirche statt.

©Terre des Femms
©Terre des Femmes
©Terre des Femmes
©Terre des Femmes

Presstige: Warum gibt es in einer scheinbar emanzipierten Gesellschaft in Deutschland so viel Gewalt an Frauen? Wie kommt es dazu?

Katrin: Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten, ich denke, dass Schlüsselwort ist „scheinbar“. Emanzipiert bedeutet ja “die traditionelle Rolle nicht mehr akzeptierend, selbstständig, unabhängig“ sein. Um das zu erreichen, muss nicht nur die Regierung gesetzliche Rahmenbedingungen für Frauen schaffen (z.B. ist erst seit 1997 die Vergewaltigung in der Ehe strafbar). Das zeigt, wie lange es dauert, in einer von Männern dominierten Rechtssprechung Änderungen im Denken der Menschen zu bewirken. Und diese Änderung erreichen wir, meiner Meinung nach, vor allem durch die öffentliche Wahrnehmung von Frauen. Wenn man sieht, dass Frauen mehr können und sich auch nehmen, als das, was man ihnen bisher zugestanden hat, dann ändert sich auch die Meinung der Gesellschaft. Aber das dauert leider sehr lange. Warum es dann aber Männer gibt, die ihre Partnerinnen als ihr Eigentum betrachten und Gewalt gegen sie ausüben, ist für mich unerklärbar. Aber ich weiß, so lange sie dafür nicht von der Gesellschaft und den Gesetzgebern zur Verantwortung gezogen werden, wird den betroffenen Frauen, ein schneller Ausweg versperrt. Ein Anfang ist schon mal der Vorschlag von Gesundheitsminister Spahn, dass Frauen, die vergewaltigt wurden, die Untersuchung für die Beweismittelsicherung nicht mehr selbst bezahlen müssen, sondern dass die Kosten von den Krankenkassen übernommen werden. Oder, dass die Ehe nicht mehr als „heilig“ und damit unantastbar durch den Staat angesehen wird. Diese Einstellung und die damit verbundene Rechtslage, hat es der Polizei sehr schwer gemacht, in den Fällen von häuslicher Gewalt, einzugreifen. Gleichzeitig muss man den betroffenen Frauen aber nicht nur zeigen, wie sie sich aus einer Notlage befreien können, sondern auch, wie sie in Zukunft für sich und ihre Kinder sorgen können. Und so lange sich in der Gesellschaft, bei Männern und vor allem auch bei Frauen, die Denkweise, dass immer das Opfer die Schuld trägt, nicht weiter aufgeweicht wird, wird sich an der Gewalt in unserem Land leider nicht viel ändern. „Ewig Gestrige“ wird es immer geben – aber sie werden mit den Jahren weniger, wenn Frauen ihren emanzipierten Weg weiter gehen.   

Presstige: Wenn man Studentin oder Student ist hier in Augsburg: Wie könnte man sich bei euch engagieren?

Katrin: Das ist völlig euch überlassen. Man kann bei Projekten unterstützen, ihr könnt aber auch selber Themen setzen. Ich bin zum Beispiel vor zwei Jahren mit dem Thema Lohngerechtigkeit eingestiegen. Das war wichtig und ist ein Thema, das die anderen nicht besetzt hatten. Ich bin dann aber auch bei häuslicher Gewalt aktiv geworden. Wir brauchen beispielsweise immer Unterstützung, wenn wir auf Fachtagen Informationsstände haben. Aber wenn euch Themen am Herzen liegen, die ihr machen wollt, dann können wir das versuchen. Wir sind vor allem für unnormale, unorthodoxe Ideen, wie man Veranstaltungen gestalten kann, dankbar. Das einfachste ist immer an unsere E-Mail-Adresse augsburg@frauenrechte.de zu schreiben und vorbeizukommen. Beispielsweise ist auch Nachhaltigkeit etwas, wo wir als Frauen ein Thema sehen. Wenn man sieht, dass im Jahr 5 Milliarden Euro ausgegeben werden müssen, um die Folgen von häuslicher Gewalt zu bezahlen, dann hat das auch etwas mit Nachhaltigkeit zu tun. Also die Themen gehen auch ineinander über.

Presstige: Zum Abschluss noch eine sehr allgemeine Frage: Wie würdest du für dich selber Feminismus definieren?

Katrin: Jetzt ein kurzer Satz. Feminismus ist für mich, dass jede Frau tun und lassen kann, was sie will.

Mit der Aktion am 25. November hat das Aktionsbündnis Augsburg ein Zeichen gegen Gewalt an Frauen gesetzt. Die Frauen werden nicht Opfer aufgrund einer eskalierten Liebesbeziehung. Sie werden Opfer, weil sie Frauen sind. Die Zahlen sind schockierend – gerade in einer Gesellschaft, von der ausgegangen wird, dass sie emanzipiert sei, dass alle Geschlechter gleichgestellt sind. Als Studentin oder Student lebt man meist in einem Umfeld, in dem Gleichberechtigung eine wichtige Rolle spielt und man nicht mit dem Thema häuslicher Gewalt konfrontiert wird. Doch vielleicht sollten auch wir uns daran erinnern, dass – auch wenn schon viel erreicht wurde – Gewalt gegen Frauen auch heute noch stattfindet. Und das erschreckend oft.

Schreibe einen Kommentar