Abheben oder am Boden bleiben?

Flygskam. Flugscham. Da war es also, das Wort, das mein Gefühl so treffend beschrieb. Zwei Tage vor Beginn meines Auslandssemesters im letzten September hatte ich es schwarz auf weiß in einem Zeitungsartikel vor mir. Noch nie machte ich mir die Wahl des Verkehrsmittels so schwer. Ich dachte, ich könne doch nicht nach Italien fliegen. Nach Italien. Fliegen. Ich haderte lange mit mir, letztendlich entschied ich mich dann aber doch dafür. Einfach weil es schneller ging und ich, ehrlich gesagt, keine Lust hatte, mich einen Tag lang in den Zug zu setzen. Auch eine Fahrt mit dem Nachtzug kam für mich damals nicht infrage.

Also flog ich von Nürnberg nach Neapel und von dort ging es noch ein Stück weiter südlich. Das gute Gefühl, das mich überkam, als ich meinen Flug auf Atmosfair kompensierte, hielt nicht lange an und wurde schnell wieder von meinem schlechten Gewissen abgelöst. Deswegen unterhielt ich mich mit anderen Studenten, denen es genauso ging wie mir, die der Umwelt zu Liebe auf das Fliegen verzichteten und stattdessen Zug oder Bus nahmen, um ihren ökologischen Fußabdruck so klein wie möglich zu halten. Andere schienen damit kein Problem zu haben, sondern sahen nur den unschlagbar günstigen Preis. Billigflüge sind nun einmal viel günstiger als umweltfreundlichere Alternativen. Traurig, aber wahr.

Aber es liegt an uns. Wir können uns für oder gegen eine Alternative entscheiden. Laut dem Umweltbundesamt sind die Treibhausgasemissionen bei Fernlinienbussen am geringsten. Die Bahn folgt allerdings dicht dahinter. Das Auto emittiert deutlich mehr Treibhausgase. Das Flugzeug dagegen schneidet noch schlechter ab. Somit ist der Fernlinienbus derzeit das ökologischste Verkehrsmittel. Die Statistik berücksichtigt aber weder den Reifenabrieb, die größte Quelle für Mikroplastik, noch eventuelle Niedriglöhne.[1]

Als ich über Weihnachten heimfuhr, entschied ich mich also für die Umwelt und stieg dieses Mal, anstatt in den Flieger, in den Flixbus. Wie erwartet, tat mir trotz der ausreichend vielen Pausen und der Bewegung, die ich dadurch bekam, irgendwann das Gesäß weh – glücklicherweise hatte ich aber zwei Sitze für mich allein und konnte die Beine auch einmal ausstrecken. Doch trotzdem bereue ich meine Entscheidung nicht. Im Gegenteil, ich genoss es, Musik zu hören und dabei aus dem Fenster zu schauen. Irgendwann – im Morgengrauen – schlief ich dann auch ein.

Das Beste aber war, die Weite zu spüren. Zu spüren, wie sich langsam alles veränderte. Ein Gefühl für die Strecke zu bekommen. Neapel. Rom. Trient. Bozen. Innsbruck. München. In Bussen habe ich außerdem immer ein bisschen das Gefühl, auf Klassenfahrt zu sein. Irgendwie zusammenzugehören, wenn auch nur für eine Nachtfahrt, und das obwohl ich meine Mitfahrer nicht kannte. Meinen Verwandten, die mich zuhause ungläubig fragten, wie lange man denn da brauche, antwortete ich schulterzuckend: „Knappe 15 Stunden.“

Nach Ende meines Auslandspraktikums werde ich mich also wieder in den Bus setzen. Das ist auch deshalb praktisch, weil ich mir so auch keine Gedanken um zu strenge Gepäckrichtlinien machen muss. Außerdem habe ich Gefallen am langsamen Reisen gefunden. Deswegen werde ich in nächster Zeit öfter einmal den Bus oder die Bahn nehmen. Oder einfach mehr Dinge vor meiner eigenen Haustür unternehmen. Dennoch gibt es Orte auf der Welt, die etwas weiter entfernt sind, die ich aber trotzdem gerne sehen möchte. Deswegen werde ich in Zukunft sehr wahrscheinlich auch noch einmal in ein Flugzeug steigen – natürlich könnte man wie Greta auch das Segelboot nehmen.

Letzten Endes muss es jeder mit sich selbst vereinbaren. Man kann niemandem vorschreiben, wie er sein Leben zu führen hat. Und schon gar nicht sollte man jemanden für irgendetwas verurteilen. Ich persönlich möchte die Erde nicht noch kaputter hinterlassen, als sie sowieso schon ist, den Schaden, den ich anrichte, begrenzen. Es gibt zwar keine nachhaltigen Flugreisen, sondern nur nachhaltige Lebensstile, aber man kann trotzdem ökologisch reisen. Ich versuche beides: so nachhaltig wie möglich zu leben und zu reisen. Um mich weniger zu schämen.

Addendum: Mir ist bewusst, dass ich einfach daheimbleiben könnte, während vielen Menschen mit internationaler Geschichte oft nichts anderes übrig bleibt, als das Flugzeug zu nehmen, wenn sie beispielsweise ihre Familie sehen wollen.


[1] https://www.umweltbundesamt.de/themen/verkehr-laerm/emissionsdaten

Schreibe einen Kommentar