Sonnenaufgang in Senya Beraku

Es ist Februar. Draußen ist es nass und kalt, die Sonne geht immer noch viel zu früh unter und als wäre das alles nicht schon genug, stecke ich mitten in der Klausurenphase, was dazu geführt hat, dass ich mich von meinem sozialen Leben verabschiedet habe und mich gedanklich quasi schon mal auf meine Exmatrikulation vorbereite… Jap, die Verzweiflung ist da.

© Charlotte Theis

Kommt euch diese Situation gerade bekannt vor? Sehnt ihr euch auch nach einer Oase der Ruhe und Wärme? Dann nehme ich euch jetzt mit nach Senya Beraku in Ghana, Westafrika. Vor gut einem Jahr habe ich dort im Zuge einer Backpackerreise zwei Nächte auf einer, zu einem Hostel umgebauten, Burg verbracht. Senya Beraku ist ein kleines Fischerdorf an der Küste Ghanas. Komplett abgelegen von allem, an der Grenze zum Regenwald und mit zuverlässigen Temperaturen im 30 Grad Bereich. Also : Gönnt euch eine Pause vom Alltagsstress, denn ich kann euch versichern, dass ein gedanklicher Ausflug zu einem Sonnenaufgang in Senya Beraku die perfekte Auszeit von durchgemachten Nächten, Karteikartenstapeln und übermäßigen Kaffekonsum darstellt!

Wenn ich Gedichte schreiben könnte, dann würde ich es jetzt tun.

Um einzufangen, was ich sehe, rieche, höre, fühle. 

Ein Sonnenaufgang in Senya Beraku.

Man sieht die Sonne nicht, dazu ist es zu bewölkt.

Am Horizont, an der Stelle, wo sich eine klare Linie zieht, welche das Meeresblau von dem des Himmels abtrennt, sind es besonders viele Wolken. Sie sind dunkelblau und dicht. Doch je weiter man von dieser Linie nach oben schaut, desto weniger werden es. Sie werden flockiger und die Farben des Sonnenaufgangs klaffen zwischen den Lücken hervor. Erst rosa, dann rot, lila und schließlich ein gleichmäßig strahlendes blau.

Mit dem Sonnenaufgang erwacht Senya Beraku zum Leben. An dem kleinen Strand tummeln sich die Menschen. Unzählige kleine Holzboote stoßen vom Ufer ab und machen sich auf den mühsamen Weg, in Richtung offenes Meer. Ich beobachte die Fischer. Sie ziehen mit vereinten Kräften an einem Tau, welches einige hundert Meter vor ihrem Boot ins Wasser eintaucht. Es scheint, als würden sie sich mit diesem Tau ins Wasser ziehen, denn jeder Zug den sie zusammen vollbringen, führt sie näher Richtung Horizont und entfernt sie weiter von der schützenden Bucht. Die Wellen klatschen erbarmungslos gegen den Bug des kleinen Bootes, ich sehe wie es schwankt und wie das Wasser über die Kanten und auf die Fischer schwappt. Eine besonders hohe Welle prallt gegen das Holz des Bootes. Die schwarze Silhouette eines Fischerjungens fliegt in einem Bogen über Bord. Ich halte den Atem an und starre auf das Wasser.

Er taucht wieder auf und krault in großen Zügen auf das Boot zu. Zwei Sekunden später wird er von seinen Kollegen hochgezogen und steht wieder an Bord.

Ich atme aus.

Ich höre sie rufen. Es klingt nach Kampfschreien. Als würden sie sich gegenseitig motivieren, nach der nächsten großen Welle nicht aufzugeben, weiter an dem Tau zu ziehen, bis man es auf den Ozean geschafft hat. Auf einmal höre ich einen Motor aufheulen. Ein etwas größeres Schiff bahnt sich seinen Weg durch die schäumende Gischt an den Fischersleuten vorbei. Fünfzehn Männer kann ich am Bord erkennen. Manche hantieren an irgendwelchen Seilen und Netzen herum. Wieder andere scheinen auf den Horizont zu blicken. Auf die Farbenpracht, die sich über ihnen entfacht. Sie schauen sich den Sonnenaufgang an.

So wie ich.

Immer mehr Fischersboote stechen in See. Sie sind alle bunt angemalt. Ich staune, dass die Farben dem Salzwasser trotzen. An Schnüren, welche über die Boote gespannt sind, hängen bunte Fahnen oder zerrissene T-Shirts und Hosen. Auf einem Boot steht ein Schriftzug: „Water works.“ Auf einem anderen kann ich „God is first.“ lesen. Mittlerweile befinden sich fast zwanzig Boote auf ihrem Weg ins offene Gewässer. Die Sonne versteckt sich noch immer hinter den Wolken aber die Farben des Himmels haben sich merklich geändert. Über meinem Kopf kreisen Vögel und aus der Ferne höre ich die Gesänge und das Klatschen eines Gottesdiensts. Die Wellen prallen weiterhin erbarmungslos an die Ufer. Die Felsen der Küste scheinen davon allerdings unbeeindruckt und auch die Palmen strecken erhaben ihr sattes, grünes Haupt in die Höhe. Je weiter ich meinen Blick am Ufer entlang schweifen lasse, desto weniger kann ich erkennen. Ein Nebel scheint sich an das Land zu heften. Er lässt alles ein wenig mystisch und naturbelassen erscheinen. Die Boote haben die Bucht nun verlassen und werden vor meinen Augen immer kleiner. Die Rufe kann ich trotzdem noch hören. Ich frage mich, wie lange die Männer auf See sind. Klar ist, das Fischen ist die große Überlebensader Senya Berkus. Die Menschen können nicht ohne das Meer und seine Bewohner. Anders herum sieht es wahrscheinlich anders aus.

Die wenigen, die sich nicht am Strand befinden und mitanpacken, stehen einige Meter rechts von mir auf einem Hügel und beobachten ebenfalls das Natur- und Menschenschauspiel, welches sich vor uns ergibt. Ich schaue herüber und bemerke, dass einige der Schaulustigen mich anstarren. Schnell werfe ich meinen Blick wieder auf den Ozean vor mir. Wie lange sie mich wohl schon beobachten? Ich fühle mich unwohl, wie ich hier oben auf den Mauern der Burg sitze und sie dort unten auf den Steinen des Hügels, zwischen dem Plastikmüll und Dreck. In mir breitet sich das Bedürfnis aus, zu ihnen herunter zu gehen.

Da zeigt sich auf einmal die Sonne. Sie hat den dichten Teil der Wolkenschicht überholt und strahlt nun über den Wolken hervor. Sofort spiegelt sich das Licht im Wasser und die Boote tänzeln scheinbar auf den Sonnenscheinen hin und her. Die Steine der Burg werden in ein goldenes Licht getaucht und ich spüre eine sanfte Wärme auf meiner Haut.

Ein und Ausatmen.

Lächeln.

So sieht also ein Sonnenaufgang in Senya Beraku aus.

© Charlotte Theis