Fußball – In Deutschland immer noch reine Männersache?

Im Regal reiht sich Magazin an Magazin, auf dem Tisch stapeln sich die verschiedensten Zeitungen, bunte Cover und reißerische Schlagzeilen, wohin mein Blick schweift. Ich bin im Zeitungsladen Weltpresse am Augsburger Hauptbahnhof und versuche mir einen Überblick über das Sortiment zu verschaffen – jedoch ohne Erfolg. Also frage ich den Besitzer, wo denn die Sportabteilung sei. „Hinten links in der Ecke“, meint dieser. Zielstrebig folge ich seinen Anweisungen und befinde mich nun Auge in Auge mit Bayern-Spieler Thomas Müller, Liverpool-Coach Jürgen Klopp und anderen Größen des deutschen und internationalen Fußballs. Eine Spielerin oder Trainerin ist auf keinem der Titelblätter zu sehen. Auf der Suche nach einer ganz bestimmten Zeitschrift gehe ich das Angebot durch. Aber Fehlanzeige. Sport Bild, Just kick it, 11 Freunde, alles zur Genüge vorhanden. Das Magazin, das ich suche, leider nicht. Ich verabschiede mich vom Verkäufer und begebe mich zurück zum Königplatz. Auf dem Weg komme ich bei einem Zeitungskiosk vorbei und frage nach meinem Suchobjekt. Von der Verkäuferin ernte ich leider nur einen verdutzen Blick und bekomme als Antwort: „Nein, davon habe ich noch nie etwas gehört“. Schade, aber ein Versuch war es wert. Der Zeitschriftenabteilung im Karstadt gebe ich auch noch eine Chance, werde aber wieder enttäuscht. Langsam wird mir kalt und Lust weiterzusuchen habe ich auch keine mehr. Also auf nach Hause. Mein Heimweg führt mich durch die Altstadt und die City Galerie. Gedanklich fülle ich unterwegs schon das Online-Bestellformular für das Heft aus. In der City Galerie angekommen starte ich dann doch noch einen letzten Anlauf und betrete den Laden WOLSDORFF TOBACCO. In der Sportabteilung dann die große Überraschung: Inmitten von kicker, Fußballwoche & Co. steht es: ELFEN. Zufrieden gehe ich damit zur Kasse und dann mit meinem neuerworbenen Lesestoff nach Hause.

Beim Magazin ELFEN handelt es sich nicht, wie der Name vielleicht suggeriert, um ein Kindermagazin für Mädchen oder ähnliches. Es ist ein Magazin ausschließlich über Frauenfußball, die Frauen-Bundesliga, um genau zu sein. Zugegeben, der Titel ist eventuell etwas unglücklich gewählt. Das Wortspiel mit der Zahl Elf ist klar, aber dass der Begriff ELFEN an die Intelligenz, Stärke und den Mut der kleinen Fabelwesen anknüpft, kommt wahrscheinlich nicht bei jedem Leser an. Aber genug zum Namen, den kann man jetzt ohnehin nicht mehr ändern. Informationen über Fußball im Herrenbereich bekommt man an jedem Kiosk, für ELFEN musste ich vier Läden abklappern, um fündig zu werden. Das wirft bei mir einmal mehr die Frage nach dem Stellenwert des Frauenfußballs in Deutschland auf. Laut dem DFB erfreut sich dieser ja „großer Bekanntheit und Beliebtheit“ und hat sich in den letzten Jahren „viel Anerkennung und Sympathie erarbeitet“. Aber entspricht das tatsächlich der Realität?

© Isabelle Mader

Eine Woche später. Ich habe die 146 Seiten des Magazins ELFEN gelesen. Neben Spieler-Porträts und allgemeinen Infos über die Liga wird auch der Stellenwert des Frauenfußballs mehrmals diskutiert und mit dem Männerbereich verglichen. Gerade während der Fußball-WM der Damen im Sommer letzten Jahres war das Thema in den Medien präsent wie lange nicht mehr. Vor allem der Werbespot der DFB-Elf in Zusammenarbeit mit der Commerzbank hat für reichlich Aufsehen gesorgt. „Wir brauchen keine Eier, wir haben Pferdeschwänze“, mit diesem Satz bekamen die Spielerinnen unter Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg das, was sie sonst zu wenig bekommen: Aufmerksamkeit.

Werbespot der Frauen-Nationalmannschaft in Kooperation mit der Commerzbank

Im November hat sich Nationalspielerin Alexandra Popp in einem Interview mit Eurosport ebenfalls zum Stellenwert des Frauenfußballs in Deutschland geäußert: „Es ist völlig legitim, dass es Menschen gibt, die Frauenfußball nicht mögen. Dennoch finde ich eine respektvolle Auseinandersetzung mit dem Thema und uns gegenüber wichtig.“ Es wird also viel geschrieben, viel geredet und jeder, der scheinbar Ahnung vom Frauenfußball hat, gibt gelegentlich ein Statement. Ich will aber wissen, wie es in der Realität aussieht. Um das herauszufinden, habe ich jemanden gesucht, der mir meine Fragen darüber beantworten kann. Das Treffen ist schnell organisiert und für den Ort der Begegnung hat meine Interviewpartnerin eine besondere Idee.

„Nächster Halt: Sportanlage Süd – Park and Ride“. Hier muss ich raus. Nach zehn Minuten Fußmarsch bin ich am Ziel: Das Ernst-Lehner-Stadion, Spielstätte des TSV 1847 Schwaben Augsburg. Der Sportplatz ist menschenleer – vermutlich wegen der Winterpause. Ich begebe mich zur überdachten Tribüne, denn dort bin ich heute mit Marie Zeidler verabredet, einer Spielerin der ersten Damenmannschaft von Schwaben Augsburg. Sie sitzt bereits auf den blauen Rängen und wartet auf mich. Marie ist 21 Jahre alt und spielt aktuell in der Bayernliga Fußball. Sie hatte bei ihrem ehemaligen Verein TSV Crailsheim auch Einsätze in der 2. Bundesliga. Heute nimmt sich die begeisterte Fußballerin Zeit, um mit mir über Frauenfußball und den Umgang damit zu reden.

Fußballerin Marie Zeidler
© Bastian Reeves
Marie Zeidler in Aktion beim Spiel gegen den FC Ezelsdorf
© Bastian Reeves

Betrachtet man Nutzerkommentare auf Instagram oder Tweets auf Twitter, so muss man mit Bedauern feststellen, dass von respektvollem Umgang, wie Alexandra Popp ihn fordert, leider nicht die Rede sein kann. Frauen, die Fußball spielen, werden hier häufig als unattraktive „Mannsweiber“ abgehandelt. Das vermeintlich schlechte Aussehen kann der Männerwelt aber egal sein, denn Fußballerinnen seien, wenn man der Internetwelt Glauben schenkt, eh alle lesbisch. Die Vorurteile beziehen sich jedoch nicht nur auf die äußere Erscheinung oder die sexuelle Orientierung der Spielerinnen, sondern vor allem auch auf deren sportliche Leistung. Es wird zwischen Frauenfußball und Fußball unterschieden, als handle es sich dabei um zwei komplett verschiedene Sportarten. Während die Männer dynamisch und zweikampfstark sind, wird im Damenbereich Amateurfußball in Zeitlupe gespielt. Alles läuft zaghaft und technisch limitiert ab – Hauptsache die Frisur sitzt.

Das Ernst-Lehner-Stadion – Spielstätte des TSV 1847 Schwaben Augsburg
© Isabelle Mader

Während wir eine Runde auf der Tartanbahn drehen, die um das Fußballfeld verläuft, erzählt mir Marie, dass sie mit den bestehenden Klischees bestens vertraut ist. Sie muss sich oft anhören, dass Frauenfußball kein richtiger Sport sei und dass Frauen, die Fußball spielen, doch halbe Männer seien. Ihrer Meinung nach solle man diesen negativen Kommentaren aber nicht wirklich Aufmerksamkeit schenken. Es gibt schließlich auch viele Leute, die sich ernsthaft dafür interessieren und dann auch wissen wollen, in welcher Liga und gegen welche Mannschaften man spielt. Ihr persönlicher Lieblingsmoment ist es, als Frau erst unterschätzt zu werden, dann zu zeigen, was man kann und danach die überraschten Gesichter zu sehen und vielleicht noch ein Kompliment zu bekommen. „Das ist ein unschlagbares Gefühl“, meint sie lachend.

Neben den Vorurteilen über Frauenfußball, ist vor allem auch der sexistische Umgang mit den Spielerinnen ein Problem. Viele sind wohl noch der Meinung, dass Frauen zum Kinderkriegen da sind und in die Waschküche, nicht auf den Rasen, gehören. An dieser Stelle ein kurzer Rückblick: Wir schreiben das Jahr 1989, die deutschen Frauen werden zum ersten Mal Europameister. Als Prämie gibt es vom DFB für jede Spielerin ein 40-teiliges Kaffeeservice, herzlichen Glückwunsch! Jedes weibliche Fußballteam vom Amateur- bis zum Profibereich könnte wahrscheinlich Bücher mit Kommentaren wie: „Ihr spielt ja immer mit drei Bällen“, füllen. Erinnerung an die Schlagzeile der Bild-Zeitung nach dem WM-Sieg der Damen gegen China letzten Sommer: „Hässlicher Auftakt-Sieg dank unserer Hübschesten“. Die Reduktion der Spielerinnen auf ihr Äußeres ist Gang und Gebe. Der Titel hätte ja auch lauten können: „Giulia Gwinn schießt deutsches Team zum Sieg“, aber Sexismus verkauft sich wohl besser. Vielleicht muss der Frauenfußball aber auch einfach zufrieden sein, dass überhaupt über ihn berichtet wird. Die mediale Aufmerksamkeit hält sich nämlich in Grenzen: Fernsehen, Radio und Print befassen sich mit dem Herrenbereich deutlich intensiver und umfangreicher als mit den Damen. Meine eigene Suche nach dem neuen Magazin ELFEN spiegelt diesen Unterschied wohl sehr gut wider. Dass Frauenfußball in den Medien kaum präsent ist, hat mehrere Gründe. Zum einen sind die Spiele wenig gefragt und bringen schlechte Einschaltquoten. Zum anderen ist eine Spielanalyse beispielsweise im Sportstudio wohl wenig sinnvoll, wenn keiner die Namen der Spielerinnen kennt.

© Bild

Abgesehen davon stört Marie aber auch die Art und Weise, wie berichtet wird. Eben die Reduktion auf Äußerlichkeiten und, dass kaum auf Fachliches eingegangen, die Leistung hinterfragt oder kritisiert wird. Ganz nach dem Motto: Für eine Frau spielt die doch gut. „Das ist für mich fehlender Respekt. Auch Frauenfußball ist ein komplexer Sport und darf kritisch kommentiert werden“, sagt sie. „Der Sport hat sich weiterentwickelt und tut es immer noch, die Berichterstattung und das Gespräch drum herum müssen nachziehen“.

Zwischen all den negativen Aspekten gibt es aber auch Fortschritte zu verzeichnen: Seit dieser Saison gibt es jeden Freitag ein Spitzenspiel der Frauen-Bundesliga live im Free TV, zwei Partien werden live gestreamt und die ARD Sportschau bringt erstmals die Zusammenfassung eines Spitzenspiels in der Sportschau am Samstagabend. Im Interview mit ELFEN begründete Axel Balkausky, Koordinator der Sportberichterstattung der ARD, diese Entscheidung mit dem allgemein zunehmenden Interesse am Frauenfußball sowie der sehr positiven sportlichen Entwicklung. Auf die Frage, was der Frauenfußball tun muss, um noch attraktiver für das Fernsehen zu werden, antwortete er, dass in erster Linie mehr Zuschauer bei den Spielen wichtig wären, da dies die Atmosphäre bei den Spielen deutlich verändere. Mit einem Durchschnitt von gerade mal 833 Besuchern pro Partie ist da in der Frauen-Bundesliga tatsächlich deutlich Luft nach oben.

Mit wachsender medialer Aufmerksamkeit würde vielleicht auch die Chance auf ausgeglichenere Bezahlung steigen. Bekanntlich ist der Profifußball ein Extrembeispiel für die Gender-Pay-Gap. Wären Deutschlands Männer 2016 Europameister geworden, hätte der DFB eine Siegprämie von 300.000 Euro für jeden Spieler ausgezahlt. Die Damen hätten für den Europameistertitel 2017 pro Spielerin nur 37.500 Euro bekommen, ein Achtel der Prämie für die Männer. Einer Studie des Onlineportals Sporting Intelligence zufolge, verdiente ein Spieler in der Bundesliga-Saison 2017/2018 im Schnitt 1,4 Millionen Euro im Jahr. Für die Frauen-Bundesliga eine utopische Summe. Die meisten Spielerinnen studieren zusätzlich, machen eine Ausbildung oder arbeiten nebenher. Hier ist uns das europäische Ausland ein paar Schritte voraus: In England, Spanien und Frankreich sind hauptsächlich Profis am Ball. Das erklärt auch, warum diese Ligen für deutsche Fußballerinnen so attraktiv sind. Marie erzählt mir, dass ihr sportliches Vorbild Dzsenifer Marozsán beispielweise beim französischen Erstligisten Olympique Lyon unter Vertrag steht.

Dass für den Frauenfußball im Verein oft weniger finanzielle Mittel zur Verfügung stehen als für die Herren, bestätigt mir Zeidler ebenfalls: „Bei mir in der Mannschaft herrscht der Konsens, dass noch einiges getan werden muss, bis man von Gleichberechtigung in diesem Bereich sprechen kann.“ Die Männerteams finden einfacher Sponsoren, haben dadurch Gelder für Trikots, Trainingsanzüge und Trainingsequipment. Während die Studentin beim TSV Crailsheim war, haben die Herren für ihre Leistungen in der Landesliga Geld bekommen, die Damen in der 2. Bundesliga gingen hingegen leer aus. „Auch die Damenmannschaften investieren viel Kraft und Zeit, trotzdem gibt es Menschen, die das belächeln. Da kann man sich schon mal aufregen“, so die 20-jährige Spielerin. Bevor sich unsere Wege trennen, zeigt mir Marie, trotz winterlichem Schuhwerk, noch ein paar Tricks, die sie mit dem Fußball so draufhat. Ich bin beeindruckt und froh, dass sie ihre Sicht der Dinge mit mir geteilt hat. In der Rückrunde möchte ich mir auf jeden Fall mal eine Partie der Damen von Schwaben Augsburg ansehen. Das Auftaktspiel am 14. März 2020 gegen den SV Frensdorf habe ich mir bereits in meinem Kalender vorgemerkt.

Das Fazit, das ich nun nach meiner Recherche und dem Treffen mit Marie ziehen kann, lautet wie folgt: Unter Berücksichtigung der Tatsachen, dass Frauenfußball bis zum 30. Oktober 1970 offiziell verboten war, Spielerinnen früher keine Stollenschuhe tragen durften und mit kleineren sowie leichteren Bällen spielen mussten, hat sich in Deutschland schon einiges getan. Jedoch sind Vorurteile, Sexismus und die Gender-Pay-Gap immer noch die bittere Realität, gegen die man im Profi- wie auch im Amateurbereich weiter ankämpfen muss. Essenziell für die zukünftige Entwicklung ist neben einer höheren gesellschaftlichen Akzeptanz, vor allem mehr mediale Aufmerksamkeit, die nicht auf Stereotype abzielt, sondern inhaltlich orientiert ist. Auch die gleichmäßigere Verteilung von Ressourcen, gleiche Bezahlung und Wertschätzung müssen weiterhin anvisiert werden. Vielleicht ist dann das Magazin ELFEN irgendwann auch eine etablierte Größe in der Welt der Sportzeitschriften.

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