Vom Missverständnis zur Morddrohung

Die Anonymität im Internet ermöglicht freie Meinungsäußerung, aber auch Beleidigungen und Drohungen. Warum werden eigentlich selbstverständliche Verhaltensregeln online so oft missachtet?

Flaming
Text: Katharina Knopf, Illustration: Natalia Sanderson

Kommentare sind für dieses Video deaktiviert. Wieder einmal stolpere ich über diesen Satz bei einem meiner Besuche auf Youtube. Die Recherche nach dem Grund führt mich zu einer hässlichen Seite des Internets, wo Beleidigungen an der Tagesordnung sind.

Auf der Videoplattform Youtube gibt es zu fast jedem Video eine Menge Kommentare. Es kann nicht nur jeder Videos hochladen, man kann auch zu allem eine Meinung da lassen und das vollkommen anonym, wie so häufig im Internet. Im Prinzip ist das eine gute Sache und sehr demokratisch, denn jeder bekommt eine Chance, sich zu äußern. Das Problem: Manch einer nutzt diese Chance, um seinem Ärger Luft zu machen. Anonymität schützt hier auch den, der die Grenzen überschreitet, die im Alltag unser Sozialleben regeln. Und so kann man online schon mal regelrechte Hassnachrichten bekommen. Die Rede ist von sogenannten Flames und die Beispiele findet man überall im Internet. Als Flaming wird bezeichnet, wenn sich in Internetforen auf wüste Weise beschimpft wird und zwar vollkommen abseits jeglichen Maßes und oft sehr persönlich.

Schwerpunkt: Internet

Auch wenn wir es mit der NSA und anderen Datensammlern teilen müssen: Das Internet bleibt unser Zuhause. Wir essen und schlafen vorläufig noch analog, aber sonst findet unser Leben zunehmend im Netz statt. Darum widmet die presstige-Redaktion dem Internet einen Schwerpunkt. Alle bisher erschienenen Beiträge sind hier gesammelt.

Jennifer Meister, die an der Uni Augsburg ihren Master im Fach Medien und Kommunikation erworben hat und jetzt als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig ist, hat mir einen wissenschaftlichen Blick auf mein alltäglich beobachtetes Thema gegeben. Sie beschäftigt sich mit Identitätsbildungsprozessen im Internet und damit auch viel mit sozialer Interaktion. Flaming begegnet ihr dabei direkt im Untersuchungsmaterial, zum Beispiel bei der Analyse von Foren-Beiträgen oder Chat-Protokollen. Ganz allgemein definiert sie Flaming als „anti-soziales Verhalten im Internet“ und zwar „meist in Zusammenhang mit textbasierter Kommunikation“, was ja auf den Großteil der Kommunikation im Internet zutrifft. Wichtig ist für sie, dass die Definition „vom subjektiven Empfinden jedes Einzelnen abhängt“. Das heißt, jeder empfindet Nachrichten unterschiedlich. Was für den einen zum Beispiel bereits beleidigend ist, ist für andere nur unhöflich oder wird als Missverständnis abgestempelt.

Je kontroverser, desto bedrohlicher

Was der Youtuberin Anita Sarkeesian widerfahren ist, geht über ein Missverständnis weit hinaus. In ihrem Kanal veröffentlicht sie Videos, in denen sie sich mit Sexismus in popkulturellen Phänomenen beschäftigt. Unter anderem arbeitet sie an einer Videoreihe, in der sie Videospiele auf Sexismus untersucht und dabei nach den starken Frauen Ausschau hält. Für die Recherche der Videos hat die Bloggerin, die unter dem Namen feministfrequency auf Youtube zu finden ist, im Juni 2012 um eine Spende von insgesamt 6.000 Dollar gebeten. Womit sie bei ihrem Spendenaufruf sicher nicht gerechnet hat, ist die Kontroverse die sie damit auslöst: Zum einen sammelt sie von Unterstützern über 158.000 anstatt der gewünschten 6.000 Dollar. Zum anderen bekommt sie unzählige Hassnachrichten, Beschimpfungen, sogar Drohungen. „You are a fucking hypocrite slut“ schreibt zum Beispiel ein Nutzer, „I didn’t even watch it and I already fucking hate you“ ein anderer.

Es ist eine regelrechte Hetze: Nachdem die Videobloggerin bekannt gegeben hat, Videospiele kritisieren zu wollen, haben sich Gamer scharenweise in Foren organisiert, um ganz deutlich zu machen, wie verärgert sie durch dieses Projekt waren. Neben den Flames auf Youtube wurde unter anderem der Wikipedia-Artikel über Sarkeesian verunstaltet, zudem bekam sie persönliche Hassnachrichten per E-Mail und Twitter. Nur wenige Wochen nach der Veröffentlichung des Videos zum Spendenaufruf deaktiviert Sarkeesian die Kommentarfunktion. Mit der direkten freien Meinungsäußerung ist es damit erst einmal vorbei.

Regelloses Internet

Auf Youtube gibt es also Möglichkeiten, sich vor solchen Hassnachrichten zu schützen. Auch von Foren kennen wir bestimmte Regeln oder, wie Kommunikationswissenschaftlerin Meister es nennt, eine „Netiquette, eine Art Verhaltenskodex“. Wer sich nicht daran hält, fliegt. Es ist faszinierend zu beobachten: Häufig spiegeln diese Regeln das wider, was im Alltag eigentlich selbstverständlich ist. Schließlich beleidige ich meine Gesprächspartner auch nicht, wenn ich an der Uni eine Diskussion führe, selbst wenn die Meinungen weit auseinander gehen. Warum also brauchen wir im Internet noch einmal eine Erinnerung daran?

Jennifer Meister nennt zwei Aspekte, die sinnvoll erscheinen. Zum einen weist sie auf den Wegfall von Gestik, Mimik, Körperhaltung und Tonfall hin, die nur in einem face-to-face Gespräch vorhanden sind und dann einen wichtigen Teil der Kommunikation ausmachen. Die Folge für das Internet ist, dass Gesprächspartner bei diesem Wegfall „entmenschlicht“ werden, „was das Auftauchen anti-sozialen Verhaltens begünstigt“. Was aber noch viel wichtiger ist, ist der Faktor Anonymität. Selbst wenn es eine Netiquette in einem Forum gibt, muss man doch kaum wirkliche Konsequenzen fürchten, denn man kann seine reale Identität hinter einem Pseudonym verstecken. Dies führt zu einer Enthemmung im Verhalten und wie Meister sagt: „Wo die Hemmungen fallen, verliert der ein oder andere eben auch seine Manieren.“

Anita Sarkeesian hat sich von der Hasskampagne gegen sie nicht aufhalten lassen. Aus einem kleinen Videoprojekt hat sie eine Karriere gemacht; die Spendengelder haben es ihr ermöglicht, eine ganze Reihe von Videos zu veröffentlichen. Außerdem hält sie immer wieder Vorträge, sowohl zum Thema Flaming als auch zu Sexismus und Popkultur. Noch heute bekommt sie Todesdrohungen und wehrt sich so gut es eben geht: „Looks like @Twitter did the right thing and just suspended an account tweeting death threats at me” schrieb sie beispielsweise im Dezember. Selbst im Internet bleibt eben nicht alles ungesühnt.

2 thoughts on “Vom Missverständnis zur Morddrohung”

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  2. Pingback: Illustrating a magazine | by Natalia Sander

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