Der Studentenpfarrer, presstige-Herausgeber und Honorarprofessor für Wirtschafts- und Unternehmensethik an der HS Augsburg, Prof. Dr. Thomas Schwartz, bezieht im Interview Stellung.
Heute: Wie führe ich ein glückliches Studentenleben?
presstige: Lieber Herr Schwartz, sind Studenten nach Ihrer Erfahrung als Studentenpfarrer heutzutage glücklich?
Pfarrer Schwartz: Diese Frage ist genauso pauschal wie schwer zu beantworten. Was versteht man unter Glück?
presstige: Also gut: Was ist Glück?
Pfarrer Schwartz: Glück ist nach Thomas von Aquin die Fülle des Seinkönnens. Also all das zu verwirklichen, was in mir an Potenzial steckt. Unter diesem Aspekt werden Studenten zwar vielleicht rein studientechnisch glücklich, aber so wie im Augenblick der universitäre Betrieb immer mehr durchorganisiert wird, droht das zu kurz zu kommen, was man früher unter einem glücklichen Studentenleben verstanden hat.
Von Michael Sentef; Foto: Jan Bürgermeister
presstige: Was haben Sie persönlich unter einem glücklichen Studentenleben verstanden?
Pfarrer Schwartz: Erstens im Blick aufs Studium: Zeit zu haben, Dinge intensiver zu lesen, die ich nicht direkt für eine Seminararbeit oder Klausur verwenden musste. Zweitens: Zeit zu haben für Engagement neben dem Studium, zum Beispiel in der Fachschaft, Studentenverbindung oder Hochschulgemeinde. Das Zeitproblem hindert Studenten am meisten am Glücklichwerden. Ich glaube, das gilt zum Teil auch für Dozenten.
presstige: Was hat sich denn verändert mit der Zeit?
Pfarrer Schwartz: Der Wissenschaftsbetrieb ist spätestens mit dem Bologna-Prozess sehr viel durchorganisierter und strukturierter geworden. Ich neige dazu, statt von Struktur von Strangulatur zu sprechen. Von Freiheit der Lehre und Forschung kann heute kaum noch die Rede sein. Das gilt auch für die Freiheit des Studiums.
presstige: Inwiefern ist so gesehen die Uni noch ein Ort der Bildung?
Pfarrer Schwartz: Das ist mal wieder eine gute Frage. Ob das Humboldtsche Bildungsideal heute noch für unsere Universität oder die Hochschulen ganz allgemein gelten kann, wage ich zu bezweifeln. Bildung ist ein ganzheitliches Geschehen. Ziel der Bildung ist nicht nur Wissenserwerb, sondern die Fähigkeit, fachliche und soziale Kompetenz zu verbinden und so ein gutes Leben zu führen. Inwieweit unsere Universitäten in ihrer neuen Struktur dazu noch befähigen, überlasse ich Ihrem eigenen Urteil.
presstige: Sie kritisieren also, dass sich die Universitäten stärker an den Anforderungen der Wirtschaft orientieren?
Pfarrer Schwartz: Hier sollte man differenzieren. Wenn ich mir das Bildungssystem in anderen Ländern anschaue, dann darf man sicherlich auch den Ausbildungsauftrag nicht unterschlagen. Es sind ja nicht alle Studenten an einer universitären Bildung im Sinne Humboldts interessiert. Was die Wirtschaft angeht – die Firmen sollten Stellung beziehen, was sie genau wollen: Gebildete Menschen, die zum Lernen befähigt sind – oder einfach nur auf einen sehr stark eingegrenzten Aufgabenbereich hin ausgebildete Leute. Für Letzteres braucht man keine klassische Universität, für Ersteres sehr wohl – und daher ist es auch falsch, alle Universitäten zu „bolognisieren“. In dieser Hinsicht ist das amerikanische System mit Colleges und Universities durchdachter und klarer strukturiert.
Übrigens, mein Espresso wird langsam kalt.
presstige: Noch eine letzte Frage: Wie werden die bildungshungrigen Studenten glücklich an einer Uni, an der man bolognese spricht?
Pfarrer Schwartz: Sie sollen die freie Zeit nutzen, um sich zu bilden. Wenn man Zeitmangel wahrnimmt, hat man als Student mehr davon zu lesen oder sich in einer Gruppe wie den Fachschaften aufzuhalten, anstatt nur zu feiern. Schüttet euch nicht immer nur die Hucke voll! Feiern ist schön, aber richtig glücklich macht es nicht. Bildende Aktivitäten machen auch Spaß.