Ich bin eine Karteileiche. Seit zwanzig Jahren friste ich mein Katholikendasein auf dem Papier, eine Kirche sehe ich nur an Weihnachten von innen und an Gott glaube ich auch nicht. Warum also nicht mal Nägel mit Köpfen machen? Nach Geschichten von brennenden Dornbüschen und sich teilenden Meeren ist es jetzt mal an der Zeit, den Märchen Lebewohl zu sagen. Ich werde Vollzeit-Atheist.
Von Anna Wagner
Anfang 2011. Zeit, meine Lohnsteuerabrechnung einzureichen und als steuerbefreite Studentin das Finanzamt zu ärgern. Brav liste ich all meine Verdienste und Abzüge auf und freue mich schon auf eine üppige Rückzahlung. Dann fällt mein Blick allerdings auf etwas höchst Unerwünschtes. Ungläubig starre ich auf das Blatt Papier in meiner Hand. Satte neun Euro Kirchensteuer auf meiner Abrechnung! Einen Kinobesuch zum Fenster rausgeschmissen. Und wofür? Für etwas, an das ich nicht glaube und das an jemanden glaubt, an den ich noch viel weniger glaube. Ich beschließe: Nie wieder Kirchensteuer aus meinem Geldbeutel! Ich subventioniere doch keine missionierenden Ultrakonservativen, die mir sagen wollen, wie ich mein Leben zu leben habe! Ganz abgesehen von all den Kreuzzügen, Mauscheleien und Sex-Skandalen. Mein Geld fließt nicht mehr in katholischen Messwein und Weihrauch! Ich werde Atheist, schwöre ich mir. Kein halber Atheist, der sich so nennt und dann doch heimlich an Weihnachten in die Kirche schleicht, nein – wenn schon, denn schon! Vollzeit-Atheist werde ich, mit allem drum und dran! Aber Moment mal– Heißt das dann auch, dass ich auf die familiären Feste verzichten muss? Mist, wer sitzt nicht gerne mit der Familie unterm Weihnachtsbaum? Ganz zu schweigen von den Schokoeiern an Ostern. Aber ich muss stark bleiben: Keine Religion, keine Kirche mehr in meinem Leben! Das habe ich mir vorgenommen! Auch wenn ich dafür so manches Opfer bringen muss.
Der Ablasshandel
Erster Schritt: Kirchenaustritt. Hier muss ich gezwungenermaßen gleich meine guten Vorsätze über den Haufen werfen. Während mir noch mein Schwur „die kriegen keinen Cent mehr von mir“ in den Ohren klingt, lege ich im Standesamt hart erarbeitete 31 Euro auf den Tisch und erkaufe mir so meinen Weg in die Freiheit (oder in die Hölle?). Abzocke? Von wegen! Ehepaare kriegen immerhin großzügig Nachlass und sind schon mit günstigen 41 Euro für zwei Personen dabei. Vielleicht hätte ich nach Gruppenrabatt fragen sollen. Ich kenne da ein paar Leute… Aber egal! Hauptsache, die erste Etappe liegt hinter mir.
Die Wiedergeburt
Nachdem ich mich der lästigen Altlasten entledigt habe, sollte ich mir jetzt vielleicht überlegen, was ich eigentlich bin. So ganz ohne „r.-k.“ und damit ohne Label fühle ich mich ein wenig einsam. Ein Ersatz-Branding muss her, schließlich möchte ich nicht völlig orientierungslos in der Gesellschaft herumeiern. Daher zweiter Schritt: Positionierung. Also schnell bei facebook unter „religiöse Ansichten“ „Atheist“ eingetragen und der Gruppe „Religionen sind alles Sekten und erzeugen Krieg“ beigetreten. Puh, das wäre geschafft! Aber was bin ich eigentlich genau, so als Atheist? Gottlos auf jeden Fall, aber was sonst? Wikipedia verrät mir, es gebe „Nichttheisten“ und „Antitheisten“. Während Erstere sich damit begnügen, nicht von der Existenz Gottes überzeugt zu sein, verneinen Letztere seine Existenz aktiv. Mh, erscheint mir kompliziert. Muss ich jetzt auch noch wählen, zu welcher Sorte Atheist ich gehöre? Entscheidungsfreudig war ich ja noch nie. Also doch Agnostiker? Aaaah! Ich dreh‘ durch. Eigentlich will ich doch nur ganz in Ruhe nicht an Gott glauben! Ich beschließe, dass „Atheist“ erst einmal genügt. Mit den Feinheiten werde ich mich erst beschäftigen, wenn mich jemand danach fragt. Und das tut bestimmt keiner.
Die verlorene Tochter
Dritter Schritt (und besonders schwierig): Mama informieren. Mama kommt aus einem erzkatholischen Dorf und glaubt an Gott. Ihr zuliebe dackele ich brav Weihnachten für Weihnachten in die Kirche und lasse die Messe eingequetscht zwischen schniefenden Bibeltreuen über mich ergehen. Jedes Jahr dasselbe: Ein Kinderkrippenspiel, bei dem Josef seinen Text aus Marias Korb abliest, harte Bänke, auf denen man stundenlang knien muss (Jesus hat schließlich auch gelitten!) und zum Abschied noch eine Hostie (natürlich nicht für Geschiedene respektive Todsünder), die am Gaumen klebt. Alles für Mama, die sich immer so freut, wenn die ganze Familie zusammen loszieht. Ist ja auch ganz schön, wenn man einmal gemeinsam etwas unternimmt, da stimme ich zu. Aber dennoch: Schluss damit. Ich bin schließlich erwachsen und treffe meine Entscheidungen selbst! Mama wird das schon verkraften! Begeistert ist sie allerdings nicht. Als (mehr oder weniger) fromme Christin ist eine abtrünnige Tochter natürlich ein absolutes No-Go. Ich erkläre ihr ausführlich meine Motive. Da sie aber weiß, dass sie ohnehin nichts mehr daran ändern kann, hört sie irgendwann gar nicht mehr zu. Drei Kreuze!
Saulus und Paulus
Vierter und letzter Schritt: Lob und Tadel einheimsen. Nach meiner mühevollen Metamorphose und dem Kampf mit Endgegner Mama bin ich nun bereit für die Resonanz der restlichen Erdbevölkerung. Sicher wie Noah auf seiner Arche wähne ich mich auf meiner Insel des Unglaubens und harre der Stürme, die da kommen mögen. Die große Flut bleibt allerdings aus. Lediglich ein Brief des örtlichen Pfarrers plätschert herein, der mich höflich um ein Gespräch bittet und mich offenbar davon überzeugen will, in den Schoß des Hirten zurückzukehren. Meine Freunde murmeln etwas von Kondomen und Kinderschändern und erklären ihre Solidarität. Ein bisschen mehr hatte ich mir ja schon erhofft. Ein anerkennendes Schulterklopfen vielleicht oder so etwas wie Bewunderung nach all den überstandenden Strapazen.
Naja, macht nichts, ich habe nach meiner Überzeugung gehandelt und halte mich an das Credo „Religion ist Privatsache“. Für viele Menschen spielt Religion sicherlich eine sehr wichtige Rolle ihrem Leben. Religion kann Halt und Anker sein, über Schicksalsschläge hinweg helfen, Familien näher zusammen bringen und Menschen in vielen Situationen helfen. Für mich persönlich dagegen, als Privatsache, ist es jedoch ein gutes Gefühl mich offiziell dazu bekannt zu haben, an „nichts“ zu glauben. Ein Vollzeit-Atheist eben wie er im Buche steht. Amen.