Feminismus und Frauenrechte – Stand 2020 nach Christi Geburt

© Balthasar Zehetmair

“Warum müssen wir überhaupt über Dinge wie Frauenrecht diskutieren, als ob wir darüber entscheiden könnten, ob jemanden [Menschen-]Rechte hat oder nicht”, fragt ein Nutzer der bekannten Social-Media-Plattform Instagram. Hier stellt sich die Frage, was überhaupt Frauenrechte sind. Warum sollten Frauenrechte existieren, aber niemand spricht von Männerrechten? Ein Blick in die Geschichte zeigt auf, wieso es den Begriff “Frauenrechte” gibt. Lange Zeit wurden Frauen wegen ihres Geschlechts benachteiligt: in Frankreich galten nach der Französischen Revolution nur Männer als rechtlich relevant, in Deutschland dürfen Frauen erst seit 1919 auf nationaler Ebene wählen und auch heute werden Frauen weltweit benachteiligt.

Statistiken zeigen, warum die Diskussion um sogenannte Frauenrechte weiterhin geführt werden darf und auch muss. Fast 100 Millionen weibliche Embryos wurden schätzungsweise bis ins Jahr 2020 abgetrieben, weil die Eltern männlichen Nachwuchs wollten. Eine von fünf Frauen wird von ihrem Ehemann körperlich misshandelt oder missbraucht, 3 Millionen Frauen werden jährlich an den Geschlechtsteilen verstümmelt.[1] All diese skrupellosen Taten finden nicht nur wegen Krieg oder Streitigkeiten statt – nein, das Geschlecht und die damit verbundenen Rollenvorstellungen verursachen diese Zahlen zu einem großen Teil mit.

Gleichstellung im Jahr 2020

Für die verfassungsgemäß zugesicherte Gleichstellung von Frau und Mann setzen sich heute die Frauenbeauftragten*innen, Feministen*innen und viele andere Aktivist*innen ein. Dabei ist vor allem der Begriff Feminist*in oft mit negativen Stigmata verbunden. Männerhasserin, “Emanze” (konnotiert als Schimpfwort) und andere Beleidigungen müssen sich die Aktivistinnen und Aktivisten oftmals anhören. Die Frage ist hierbei aber: Was versteht man unter Feminismus? Ein Nachschlag im Wörterbuch klärt auf: Feminismus ist eine “Richtung der Frauenbewegung, die, von den Bedürfnissen der Frau ausgehend, eine grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Normen […] und der patriarischen Kultur anstrebt”[2]. Die Sozialrechts-Studentin Marie Rosenberg (Name und Ort von der Redaktion geändert) engagiert sich beim Frauenbüro Ulm und widerspricht dieser starren Definition: “Feminismus bedeutet die Gleichstellung aller Geschlechter. Feminismus bedeutet die Gesellschaft zu analysieren und zu thematisieren, zu hinterfrage, wo jeweils gewisse Geschlechter benachteiligt werden. Auch heute umgibt uns noch ein Patriarchat, das uns allen schadet. Das betrifft Frauen und Männer gleichermaßen. Diese denken oft, sie müssten immer selbstbewusst und stark sein. Das führt dazu, dass Männer oft unter Druck stehen und beispielsweise häufiger Selbstmord begehen, weil sie (scheinbar) mit niemanden sprechen konnten”.

Die Reaktionen auf die Arbeit der Aktivistin fallen dabei oft unterschiedlich aus. Das bestätigt auch die Leiterin der Gleichstellungsstelle Augsburg Barbara Emrich: „Die Reaktionen sind so vielfältig wie die Menschen und ihre Einstellungen. Sie reichen von Zustimmung über nicht weitgehend genug bis hin zu Ablehnung, unabhängig von Frauen und Männern“. Dies sei vor allem bei den Diskussionen rund um genderneutrale Sprache in der Stadtverwaltung Augsburg zu sehen gewesen.

Frauenrechtliche Verbesserungen erstrecken sich dabei oftmals über einen weiten Zeitraum. So wird damit gerechnet, dass erst im Jahre 2276 Frauen und Männer faktisch gleichberechnet sind,[3] bei Außerachtlassung möglicher Rückschläge der Frauenrechtsbewegungen. Auch Rosenberg ist dieser nur schleichende Prozess bewusst: “Männer sind für Erfolge des Feminsimus essenziell, denn wenn 50 % der Bevölkerung (Anmerk. d. Red.: ungefährer Anteil der Frauen an der deutschen Gesamtbevölkerung) betroffen ist und sich engagieren würde und sich dann noch 10 – 20 % der Nichtbetroffenen für Gleichberechtigung einsetzt, ist es schier unmöglich die Belange des Feminismus weiterhin zu ignorieren”.

Auch die Gleichstellungstelle Augsburg versucht diesen Prozess mit Projekten anzustoßen: Chancengleichheit bei Personal, Stadtentwicklung, Bürger*innenbeteiligung, Bildung und Jugendhilfe ist das erklärte Ziel. Zudem werden verschiedenste gleichstellungspolitische Themen beispielsweise in Form vom Internationalen Tag „Nein zu Gewalt an Frauen“, Equal Pay Day oder dem international Männertag angesprochen. Dabei arbeitet die Stelle auch immer wieder mit den Hochschulen in Augsburg zusammen. Emrich bezeichnet die Kooperation dabei als ertragreich und wünscht sich eine Ausweitung der Zusammenarbeit.

Feminismus und Frauenrechte heute

Aber wo steht der Feminismus und damit auch die Frauenrechte heute? „Ich erlebe es so, dass Feminismus wieder mehr Resonanz, insbesondere auch von jungen Frauen, hat. Frisch und selbstbewusst rufen sie am Internationalen Frauentag zum Frauenstreik mit Demo und Aktionen auf. Sie stellen ihre Forderungen nach besserer Bezahlung von frauendominierten Berufen, besserer Vereinbarkeit von Beruf und Familie, gerechte Aufteilung von bezahlter Arbeit und unbezahlter Sorgearbeit, gegen Sexismus, Gewalt und Rassismus. Sie tun das zusammen mit Männern, die auch genug von einem traditionellen, einengenden Männerbild haben“, so Barbara Emrich.

#heforshe zeigt auf, warum sich auch Männer für feministische Ziele einsetzen

Dieser aufstrebenden Bewegung emanzipierter Frauen und Männer stellt sich jedoch eine Entwicklung entgegen, die sich im Alltag und der Politik bemerkbar macht: Weltweit nehmen populistische und fundamentalistische Ideologien zu. Ein Feindbild der Vertreter dieser Ansichten stellen Engagierte in Frauenbewegungen und Feminismus dar. „Es gibt durchaus Strömungen, die wieder zu traditionellen Rollenaufteilungen zurückwollen und die bisherigen Errungenschaften der Gleichberechtigung bekämpfen. Menschen, die nicht der heterogeschlechtlichen Norm entsprechen, werden abgewertet. Die (sexuelle) Selbstbestimmung von Frauen wird in Frage gestellt. Wichtige Errungenschaften der Geschlechtergerechtigkeit werden als „Gendergaga“ verunglimpft und lächerlich gemacht. Feministinnen, Politikerinnen und Vertreterinnen von Gender-Studies werden insbesondere in den sozialen Medien massiv attackiert und bedroht“, weiß Emrich zu berichten. Auch Marie Rosenberg sieht ihre Arbeit diesen Bedingungen vor allem hinsichtlich sexistischer Äußerungen ausgesetzt, dies fange schon im Kindesalter an: „Jungen und Mädchen werden oftmals in verschiedenen Bereichen gefördert und unterstützt, was dann auch zur Ausprägung oder eben nicht zur Ausprägung von Charaktereigenschaften führt. Während der Pubertät war es oftmals so, dass, wenn ich einen Standpunkt oder meine Meinung vertreten habe, schnell der Satz kam: ‚Du hast bestimmt deine Tage‘. Ein Satz der mundtot macht. Meine Meinung war damit hinfällig“.

Weibliche, stereotypische Genderverhaltensweisen dargestellt durch “always”

Sie führt weiter aus: „Privat unterstützen mich viele Frauen und beneiden meinen Mut. Ich finde es schade, dass man in ihren Augen mutig sein muss, um für seine fundamentalen Rechte zu kämpfen und Missstände aufzuklären, denn würden wir uns alle zusammen in die Öffentlichkeit stellen, wären wir viel stärker als alleine.“

Eine Gleichbehandlung der Geschlechter kann also nur in Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Organisationen, dem Staat und vor allem den Bürgerinnen und Bürgern ernsthaft und faktisch umgesetzt werden.

Dass Gerechtigkeit, auch in Bezug auf die Gleichbehandlung der Geschlechter ein fundamentales Element der Demokratie ist, haben auch die Mütter und Väter des Grundgesetzes erkannt. Nicht zufälligerweise steht an prominenter, dritter Stelle nach der Menschenwürde und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht geschrieben: “Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat […] wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin”. Der Staat, wie es heißt, besteht dabei freilich nicht nur aus Politikerinnen und Politikern. Der Staat umfasst die ganze Gesellschaft, damit auch Frauen und Männer. Folglich liegt es bei jedem einzelnen von uns, Ungleichheiten im Alltag zu erkennen, zu thematisieren und sie zu beseitigen. Diese Aufgabe obliegt uns allen, Männern und Frauen gleichermaßen.


[1]https://www.amnesty.ch/de/themen/frauenrechte/zahlen-fakten-und-hintergruende/was-sind-frauenrechte

[2]https://www.duden.de/rechtschreibung/Feminismus

[3]https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/global-gender-gap-report-wef-gleichberechtigung-1.4725336