Elementare Musikpädagogik fördert die Persönlichkeitsbildung
Wie besessen schlägt eine Studentin mit ihrem Klöppel auf das wehrlose Xylophon ein. Ihr Kommilitone daneben streichelt andächtig seine Rassel. Die dritte im Bunde klopft in unregelmäßigen Abständen auf die vor ihr stehenden Bongos. Und alle gemeinsam starren wie hypnotisiert auf ein Bild. Es ist wirr, verworren. Braune, blaue dicke Striche darauf; ab und zu unterbrochen durch einen Tupfer von orange, einen Klecks gelb. Von Kindern gemalt, fällt mir zuerst ein. Könnte aber auch Expressionismus sein.
Von Dominik A. Hahn
Nach drei Minuten ist Schluss. Stille kehrt ein. Die Studenten des Studiengangs der „Elementaren Musikpädagogik“ (EMP) an der Musikhochschule Augsburg sind mit ihrer musikalischen Interpretation „der Kritzelei“ fertig.
100 Prozent Musik und 50 Prozent Pädagogik
„Bei uns fahren die Studenten zweigleisig“, erklärt Andrea Friedhofen, leitende EMP-Dozentin. „Sie werden einerseits in ihrem Instrument, andererseits im Hauptfach „Elementare Musikpädagogik“ ausgebildet.“ Heißt: jeder Absolvent ist gleichzeitig Diplom-Musiklehrer für EMP und für das jeweilige Instrument. „Das eröffnet einem natürlich mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt als ein reines Instrumentalstudium“, so Friedhofen. Das allein sei aber nicht der Grund für den regen Zuspruch seitens der Bewerber. „EMP ist etwas für Leute mit Lust auf Vielfalt. Für Leute, die nicht nur Geige spielen wollen, sondern interessiert daran sind, sich musikalisch und auch selbst weiterzuentwickeln und zu entdecken“, beschreibt die 43-jährige begeistert ihr Fach. Dabei gilt es anfangs erst einmal, seine eigene Musikalität zu erforschen. Da müsse man eben auch mal in gewissen Dingen, die man nicht „perfekt“ beherrsche, über den eigenen Schatten springen und die Peinlichkeit Peinlichkeit sein lassen. Erst dann könne die Musik „erlebt“ werden. „Tanzen dachte ich zum Beispiel, kann ich gar nicht“, grinst EMP-Student Richard Resch. „Aber erst als ich es dann ausprobiert hatte, merkte ich: Hoppla. Da geht doch was!“ Möglich macht dies eine Ausbildung in den Bereichen Stimme, Bewegung, Tanz und pädagogischer Didaktik.
Jeden da abholen, wo er steht
Feste Lehrpläne gibt es jedoch nicht. Jeder werde in seiner musikalischen Entwicklung da abgeholt, wo er ist. Denn das persönliche Erleben sowie die Reflexion von Musik – von Improvisation und individuellen Ausdrucksmöglichkeiten bis hin zur „ernsten klassischen Musik“ sind Grundbausteine des Studiums. Nur dadurch sei ein echtes Musikverständnis möglich, meint Friedhofen. Und das brauchen die EMP-Studenten auch. Vor allem dann, wenn sie in Kinder-, Erwachsenen- oder Seniorengruppen praktisch an ihr späteres Aufgabengebiet herangeführt werden. Und das ab dem ersten Semester! „Ich weiß noch, wie ich vor meiner ersten Unterrichtsstunde stundenlang über einem passenden Konzept brütete“, erzählt Resch schmunzelnd. „Gerade in der musikalischen Arbeit mit Kindern trägt man doch große Verantwortung“, fügt er ernst hinzu. Schließlich präge gerade die musikalische Früherziehung beziehungsweise der erste Kontakt mit Musik die Kinder ein Leben lang. Lucie Dachs, Diplomandin der EMP, kann dem nur zustimmen. „Deshalb nimmt die Methodik einen wichtigen Stellenwert innerhalb des EMP-Studiums ein“, meint die 24-jährige. Außerdem werde nach jeder Unterrichtseinheit die Stunde gemeinsam evaluiert. So profitierten alle voneinander und könnten ihren Unterrichtsstil immer wieder ein Stückchen weiter verbessern.
Weg vom Leistungsprinzip
Ziel dabei sei die Musikalisierung der Teilnehmer. „Jeder soll einen Musikunterricht bekommen, innerhalb dessen das eigene Erleben und das selbsttätige Lernen von Musik im Vordergrund steht“, erläutert Friedhofen. Dabei werde mit grundlegenden – also elementaren – Mitteln gearbeitet. „Wir machen mit einfachsten Mitteln Musik. Zum Beispiel Percussion mit Streichholzschachteln.“ „Oder einfach mit dem menschlichen Körper“, ergänzt Dachs. „Allein durch das Klopfen auf den Rücken eines anderen erzeugt man einen Rhythmus und erlebt Musik sprichwörtlich hautnah.“ Erst so werde Musik erfahrbar und erweitere auch die sozialen Kompetenzen. Dabei ist auch Phantasie von Nöten: „Eine Aufgabe kann sein, dass die Teilnehmer zu einem Bild musizieren sollen – und zwar das, was ihnen dazu spontan einfällt, welchen Ton oder Klang sie in jedem Farbtupfer sehen.“ So solle jeder durch das „praktische Tun“ an Musik herangeführt werden. „Mit Kuschelpädagogik hat das alles aber nichts zu tun“, wehren sich Dachs und Resch gegen bestehende Vorurteile. „Wer glaubt, wir würden den ganzen Tag Händchen haltend über Blumenwiesen hüpfen und Drogen nehmen, liegt falsch. EMP ist wie alle anderen Studiengänge ein Fach, das auf wissenschaftliches Arbeiten setzt.“ Vielleicht der einzige Unterschied: „Bei uns ist jeder Mensch gleichwertig; es zählen die Fähigkeiten, nicht die Defizite. Deshalb ist es auch erlaubt, Fehler zu machen“, verraten Dachs und Resch das Geheimnis ihres Studiengangs. Denn eines sei klar: „Jeder Mensch ist musikalisch!“
„Elementare Musikpädagogik“ – die Fakten:
• Seit 1993 an der Hochschule für Musik
• Pro Studienjahr werden ca. 8 Studenten aufgenommen; bei ca. 15-30 Bewerbern
• Es gibt keinen NC; dafür aber eine Eignungsprüfung (Instrument/Stimme, Tanz, Gruppenverhalten, Harmonielehre und Gehörbildung)
• Das Studium dauert 8 Semester und endet mit der Verleihung des Diplomgrades
• Frauen an der Macht: 7 von 8 Studenten sind weiblich
• Die Studentinnen sind in der Regel zwischen 17 und 35 Jahre alt
• Traumhaft: Bisher konnten 100% der Absolventen in die Berufswelt integriert werden
• Arbeitsbereiche: Kindergruppen in Musikschulen, Studierende in Fachschulen, Workshops mit Chören oder Erwachsenengruppen
• Kontakt: andreafriedhofen@aol.com, sv-augsburg@web.de (Studentenvertretung)