Beziehung auf Distanz
Ein kalter Windhauch spielt mit ihrem Haar. Fröstelnd zieht sie die Schultern hoch und schließt schnell den obersten Knopf ihrer Jacke. Eilig hasten einige Menschen an ihr vorbei. Eine Lautsprecherdurchsage plärrt über den Bahnsteig: „Achtung! Auf Gleis 2 fährt ein, der ICE 3258 von München nach Berlin.“ Traurig sieht sie ihn an. Er gibt ihr einen letzten Kuss, lässt ihre Hand los und steigt in den Zug.
Von Lieve Langemann / Fumi Machida / Nicole Reimer
Ihr Blick folgt ihm bis sich andere Menschen dazwischen schieben. Sie wendet sich ab und betritt die Bahnhofshalle. Dort lässt sie für einen Moment ihren Blick schweifen und entdeckt viele sich verabschiedende Pärchen.
Massenphänomen Fernbeziehung?
„Mein Freund wohnt in Hamburg, während ich in Augsburg studiere“, erzählt Lehramtstudentin Isabella (24). So eine Aussage hört man heute nicht selten. In Zeiten der Globalisierung zählen vor allem Mobilität und Flexibilität. Schon lange kann man sich nicht mehr aussuchen, wo man arbeitet, lebt oder studiert. Deshalb müssen persönliche Beziehungen häufi g darunter leiden. Egal ob man sich bereits seit Jahren kennt oder ob man sich über eine große Entfernung gefunden hat: Immer ist es schwierig, die persönliche Nähe aufrecht zu erhalten oder erst entstehen zu lassen. Um die Distanz zu überbrücken, gibt es viele Möglichkeiten. „Wir haben viel telefoniert und uns einfach alles erzählt. Teilweise sind wir sogar am Telefon eingeschlafen“, verrät Tanja (28), die in Augsburg Umweltethik studiert. Am schönsten und intensivsten sind natürlich die Stunden, die man gemeinsam verbringen kann. Diese sind in einer Fernbeziehung aber auch rar. „Wir haben uns etwa alle zwei bis drei Wochen gesehen. Die Semesterferien habe ich meist komplett bei ihm in Lübeck verbracht und dort die Zeit für ein Praktikum genutzt“, berichtet Tanja, die zu diesem Zeitpunkt in der Nähe von München wohnte.
Allheilmittel Kommunikation
Trotzdem ist das Risiko des Scheiterns in einer Fernbeziehung groß. Was zählt, ist vor allem Vertrauen und eine gewisse Bereitschaft zu kämpfen. „Je seltener man sich sieht, desto schwieriger wird es, die zwei Welten in denen man lebt, miteinander zu verbinden“, weiß BWL-Student Thomas (24) zu berichten. Seine Beziehung scheiterte während seines Auslandssemesters in Bologna. „Auch wenn man oft kommuniziert, erfährt man eben nur passiv, was der Andere erlebt.“
Für Susanne (24), die in Augsburg Medien und Kommunikation studiert, scheiterte ihre Beziehung mitunter an mangelnder Kommunikation. „Er war nicht wirklich der Telefoniertyp. Es gibt halt Frauen, die müssen jeden Tag etwas von ihrem Freund hören; und wenn es nur ne kleine SMS ist. Und ich bin eine von diesen Frauen“, grinst Susanne. „Es ist einfach wichtig, dass man miteinander redet, denn so kann man viele Missverständnisse, Ängste, Sorgen und Probleme aus der Welt schaff en.“ Wichtig ist es vor allem, ein Ziel vor Augen zu haben und sich Gedanken zu machen, wie eine gemeinsame Zukunft aussehen könnte. Schließlich sollte die Fernbeziehung ja auch einmal ein Ende haben.
Ende gut, alles gut?
Aber kommt es einem Happy End gleich, wenn endlich dasgemeinsame Leben vor der Türe steht? Das Leben ist jedoch kein Film. Viele Probleme fangen dann erst richtig an. Meist ist es sehr schwierig, zwei verschiedene Lebensgewohnheiten miteinander zu verbinden. Denn man opfert beim Zusammenziehen einen Teil seiner Freiheit, die man in der Fernbeziehung genießen konnte. „Probleme gab es in erster Linie im Haushalt“, erzählt Tanja, die anfängliche Schwierigkeiten überwinden konnte und mittlerweile mit ihrem Freund verheiratet ist. Für sie sind lange Trennungsphasen nun passé. Für andere heißt es weiterhin, sehnsüchtig auf das nächste Treff en zu warten. Auch sie steht wieder an Gleis 2 und wartet auf den ICE aus Berlin. Eine laue Brise weht über den Bahnsteig, als der Zug eintriff t. Zwischen den aussteigenden Reisenden erspäht sie ihn und läuft strahlend auf ihn zu. Er nimmt ihre Hand und sie verlassen den Bahnhof.