Jüdin – na und?

Vom Leben zweier jüdischer Studentinnen und der Verbindung Augsburgs zum Judentum

Zugegeben: Viel wissen wir nicht über das Judentum, geschweige denn über seine Anhänger. Zwar sind bekennende Muslime und Christen in unserem Alltag keine Seltenheit mehr, doch von praktizierenden Juden und Jüdinnen bekommen wir eher wenig mit. Zeit, sich dem jüdischen Leben Augsburgs zu widmen.

Von Sabina Porchia – Fotos: Martje Rust

Wer sich als Neuankömmling in Augsburg auf die historischen Spuren der Fuggerstadt begibt, wird auf einige interessante Begebenheiten stoßen. Zwar sind die römischen Wurzeln der Stadt weitgehend bekannt, weniger geläufig dagegen ist die Tatsache, dass Augsburg eine der größten jüdischen Gemeinden Deutschlands besitzt. Sie wird sogar von Tag zu Tag größer, und das nicht ohne Grund.

Verfolgung, Vertreibung, Ansiedlung

Die Geschichte der Juden in Augsburg teilt sich in drei Gemeinden auf. Die erste jüdische Gemeinde existierte offiziell von 1250 bis zur Vertreibung im Jahr 1439. Fast 400 Jahre folgten, in denen die Juden kein Wohnrecht in Augsburg besaßen. Nach einer Liberalisierung der Gesetzgebung wurde 1861 die zweite Gemeinde gegründet, die bis 1938 bestehen blieb. Anfang der 30er Jahre lebten etwa 1200 Juden in Augsburg; in den darauffolgenden Jahren wurden sie im Zuge der Schaffung eines „völkischen Staates“ Schritt für Schritt vom öffentlichen Leben ausgeschlossen, aus „arischen“ in „jüdische“ Häuser umgesiedelt und schließlich in Konzentrationslager deportiert.

Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand eine dritte israelitische Gemeinde Augsburg-Schwaben im Mai 1946. Anfang des Jahres 1945 waren die ersten 25 Juden, die früher in Augsburg gelebt und den Holocaust überlebt hatten, zurückgekehrt. Ein Jahr später beherbergte die religiöse Gemeinde der Stadt schon über 100 Menschen; viele davon kamen aus Osteuropa. Die liberalen deutschen Juden und die orthodoxen aus Osteuropa hatten jedoch oft verschiedene Ziele: Die deutschen Juden glaubten an die Wiedergeburt der Gemeinde, die osteuropäischen an die kommende Ausreise nach Palästina oder Amerika. Anfangs wurde sogar getrennt gebetet.

Lange Zeit erhielt die Gemeinde nicht viel Zuwachs. 1987 zählte sie lediglich 247 Mitglieder – fast alle Osteuropäer. Wenige glaubten damals an ein Fortbestehen, da die Gemeinde stark überaltert war und viele jüngere Juden nach Berlin oder Israel zogen. Mit den Immigranten aus der ehemaligen Sowjetunion änderte sich die Lage.

Gegen Ende des Ost-West-Konflikts nahm die Zahl der jüdischen Gemeinde-Mitglieder in Deutschland stark zu. Es handelte sich dabei vor allem um jüdische Immigranten aus der ehemaligen Sowjetunion, die während des Kalten Krieges in der UdSSR unterdrückt und diskriminiert wurden. Ihnen wurde der Gottesdienst verboten und sie mussten eine atheistische Erziehung über sich ergehen lassen. Stalin versuchte, damit jeglichen jüdischen Einfluss auf die Sowjetunion zu unterbinden. Nachdem der Eiserne Vorhang gefallen war und mit ihm das Ausreiseverbot aus der UdSSR, wanderten schließlich viele der dort lebenden Juden nach Deutschland aus, wo sie eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erhielten. Zwischen 1991 und 2004 immigrierten so insgesamt beinahe 220.000 jüdische Zuwanderer nach Deutschland.

Augsburgs jüdisches Herz

Augsburg galt dabei als eines der bevorzugten Ziele, da die dortige jüdische Gemeinde und die Synagoge weit über die Grenzen der Republik hinaus bekannt waren. Der Anfang war jedoch nicht immer leicht. Die jüdischen Zuwanderer, die selten die deutsche Sprache beherrschten, mussten auf Grund des Religionsverbots in der UdSSR ihren Glauben erst wieder neu „erlernen“. Dabei galt es, sie sowohl in die religiöse Gemeinschaft der nach 1945 nach Augsburg ausgewanderten, vor allem polnischen Juden, als auch in die christliche Mehrheitsgesellschaft zu integrieren. Heute sind es vor allem diese jüdischen Immigranten, die zur Kultur der Juden in Augsburg beitragen.

Die jüdische Gemeinde Augsburgs zählt heute mehr als 1.800 Mitglieder, Tendenz steigend. Etwa 97 Prozent davon sind Einwanderer aus der ehemaligen UdSSR.

„In der Uni weiß niemand, wer ich bin.“

Eine von ihnen ist Svetlana, „International Management“-Studentin an der Hochschule Augsburg im sechsten Semester. Svetlana ist Weißrussin und lebt seit 2005 in Deutschland. Ihr Glaube ist ihr wichtig und spielte schon immer eine große Rolle in ihrem Leben. Die Studentin ist in einer jüdischen Umgebung aufgewachsen, besuchte als Kind die jüdische Sonntagsschule und zelebrierte den Glauben mit ihrer Familie. „Die Religion gibt mir Halt – in der jüdischen Gemeinschaft kann ich so sein, wie ich wirklich bin.“ So geht sie mit zwei Freundinnen jeden Freitag und an den Feiertagen in die Sy­nagoge zum Gottesdienst. Am liebsten ist sie abends dort, um nach einer anstrengenden Studienwoche etwas Ruhe zu finden.
Im Studium dagegen spielt der Glaube für die bekennende Jüdin keine große Rolle. Offen zelebrieren will sie ihn nur außerhalb der Hochschule, in ihrem jüdischen Freundeskreis. „Fast alle meiner Freunde sind auch Juden. Inmitten meiner Freunde fühle ich mich wohler. In der Uni weiß niemand, wer ich bin. Nur meine echten Freunde wissen, dass ich Jüdin bin.“ Kontakt zu ihren nicht-jüdischen Kommilitonen hat Svetlana kaum. Mehr Kontakt zu Deutschen und Nicht-Juden fände sie zwar super, glaubt aber, sie würde dann trotzdem zwei oder mehr Freundeskreise haben: „Es gäbe sonst sicherlich Probleme mit der Verständigung.“
Dass ihr die Integration nicht immer leicht fällt, liegt sicherlich auch an ihrer schwierigen Schulzeit. Heute stößt ihr Glaube auf weit mehr Akzeptanz. Auch wenn sie sich lieber unter anderen Juden aufhält, schämt Svetlana sich nicht mehr für ihre Religion: „Heute bin ich stolz darauf, Jüdin zu sein. Ich hoffe, dass mein zukünftiger Mann auch ein Jude ist.“

„Auf solche Probleme wollte ich mich nicht einlassen.“

Anders als Svetlana, hat sich Rachel dazu entschlossen, ihren Glauben und ihr Studium zu verbinden. Die Jüdin aus München besucht ein amerikanisch-jüdisches College in Berlin, an dem sie einen deutschen und einen amerikanischen Abschluss macht. Neben dem internationalen Flair der Uni und der Tatsache, dass die Kurse auf Englisch gehalten werden, ist einer der Hauptgründe, warum Rachel auf keine öffentliche Universität wollte, dass der Samstag dort immer freigehalten wird. „Praktizierende Juden haben an normalen Unis oft das Problem, dass Kurse oder Klausuren auch an Samstagen stattfinden“, erklärt sie. Da der Samstag für religiöse Juden jedoch ein Ruhetag (Shabbat) ist, dürfen sie an diesem Tag keine Prüfungen ablegen. Nicht immer sei es dann möglich, meint Rachel, Prüfungen zu verlegen, und Studenten werden angehalten, an den Nachhol-Klausuren teilzunehmen. Sollte es diese nicht geben, fügt sie hinzu, sei es oft der Willkür der Professoren überlassen, ob es andere Möglichkeiten gibt, die Prüfung abzulegen. „Auf solche Probleme wollte ich mich nicht einlassen.“

Über ihren Glauben spricht Rachel mit großer Leidenschaft. Sie stammt aus einer sehr traditionellen Familie und ist „mit der Liebe zur Religion erzogen worden“. Wie ihre ganze Familie ist auch Rachel praktizierende Jüdin und glaubt an die Lehren und Traditionen des Judentums: „Ich finde es faszinierend, wenn ich die Geschichte der jüdischen Religion betrachte und bin stolz darauf, Teil dieser Geschichte zu sein“.

Gemeinsam vom Kindergarten bis zur Uni

Obwohl Rachel ein jüdisches College besucht, ist die Uni offen für alle und auch viele Nicht-Juden studieren dort. Dies ist auch der Grund, warum sie gerade in der Universität sehr viel Kontakt zu nicht-jüdischen Leuten hat – mehr als dies außerhalb des Studiums der Fall ist.
Privat hat auch sie einen großen jüdischen Freundeskreis. Laut Rachel liegt das am gemeinsamen Werdegang der jüdischen Gemeinschaft. „Man ging früher zusammen in den jüdischen Kindergarten, später in die Grundschule und dann ist man schon befreundet und geht in Gruppen aufs gleiche Gymnasium. Man bleibt als Clique irgendwie zusammen.“ Selbst die Ferien verbrachte sie mit ihren Freunden gemeinsam auf Ferienfreizeiten jüdischer und zionistischer Jugendorganisationen. Auch in Berlin fand Rachel in der Synagoge oder bei Studentenessen in der dortigen Gemeinde am schnellsten Zugang zu anderen und konnte sofort Kontakte knüpfen. Anderen Religionen steht sie neutral gegenüber. „Ich respektiere sie und bin der Meinung, dass sie alle aus derselben Wurzel stammen.“ Aufgrund gemeinsamer Interessen und Aktivitäten hat Rachel privat automatisch mehr mit jüdischen Bekannten zu tun. Dennoch gilt für sie: „Die Religion spielt generell keine Rolle, es ist der Mensch, der zählt.“

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