Die letzten Diplomstudiengänge laufen aus, die Umstellung auf das Bachelor/Master-System ist so gut wie vollzogen. Die Studenten haben die Unannehmlichkeiten des neuen Systems akzeptiert – vielleicht aber nur, weil niemand mehr weiß, wie das Studieren „früher“ wirklich war. presstige hat jeweils drei Studenten und Alumni gebeten, einen Vergleich zu ziehen.
Von Moritz Laurer und Stanley Yin
Sebastian Frank (31), Sozialpädagogik (Diplom), Abschlussjahr 2010
„Im Diplomstudium hatten wir im Vergleich zu heute für weniger Inhalte mehr Zeit – Zeit, die wir zum Reflektieren des Stoffes nutzen konnten, anstatt ihn nur auswendig zu lernen. Außerdem trifft gerade die häufig propagierte Wettbewerbsfähigkeit meiner Meinung nach nicht zu: Viele Bachelorstudenten müssen auf den Master erhöhen, um am Arbeitsmarkt zu bestehen. Hinzu kommt die Belastung durch Studiengebühren, so dass viele verschuldet ins Arbeitsleben starten. Dennoch: Zu meiner Zeit war ein Uniwechsel, vor allem ins Ausland, viel schwieriger, während heute die Bildungsstandards europaweit einheitlich sind. Schade ist nur, dass dabei die Vielfalt der Studienabschlüsse aufgehoben wurde, die für mich zu den kulturellen Errungenschaften der einzelnen Länder gehörte.“
Thomas Driessen (25), Informatik B.Sc., 12. Semester
„An der Verschulung des Studiums habe ich nichts auszusetzen. Unorganisierte Studenten wie ich hätten vor der Reform wohl mehr Schwierigkeiten gehabt und bestimmt die halbe Uni besteht aus Chaoten! Auch wenn vor Einführung der Studiengebühren das Studium stressfreier war, denke ich, dass der entspannte Dialog zwischen Student und Dozent ohne sie nicht möglich geworden wäre. Unser Lehrstuhl zeigt, dass sich die direkt aus Studienbeiträgen finanzierten Professoren ihrer Pflicht gegenüber den Studenten viel bewusster sind. Insgesamt hat sich die Qualität studentischen Lebens nicht groß verändert. Lobenswert ist es, dass man nicht mehr neun, sondern nur sechs Semester bis zum ersten Abschluss benötigt. Aber feiern, das konnte man damals wie heute!“
Antje Poggensee (24), Erziehungswissenschaften B.A., 7. Semester
„Für meine zwei Nebenjobs muss ich eine längere Studiendauer in Kauf nehmen. Auch das Ehrenamt leidet unter den Reformen: Hatte die Behindertenwerkstatt, in der ich mich engagiere, früher regen Zulauf an Helfern, nimmt deren Zahl stetig ab, da viele Studenten bezahlten Jobs den Vorzug geben; ebenso fällt es schwerer, Kurse freiwillig zu belegen oder Vereinssport zu treiben. Entspanntes Lernen und freizeitliches Studentenleben wurde gegen starre Strukturen und rein universitäres Miteinander getauscht – schade.“
Sasa Bosancic (34), Soziologie (HF), Abschlussjahr 2006
„Durch lockere Stundenpläne und weniger Leistungsdruck hatte man damals mehr Zeit für Aktivitäten neben dem Studium. Ärmere Jugendliche konnten sich das Studium durch Nebenjobs finanzieren und persönlichkeitsbildendes Engagement, etwa in der Fachschaft, war möglich. Die Freiheit hat zwar einige überfordert, aber die steigenden Burnout-Zahlen heute zeigen, dass der Mittelweg zwischen gesundem Druck und Selbstbestimmung nicht gefunden wurde. Freiheit ist das, was die Uni ausgemacht hat und ausmachen sollte.“
Heike Fink (47), Französische Literaturwissenschaft (HF), Abschlussjahr 1991
„Damals hat man sich viel eher getraut, zu studieren, was einen wirklich interessiert und hat weniger zielgerichtet auf einen sicheren Beruf hingearbeitet. Auch musste man nicht so sehr auf seine Noten achten, um einen guten Masterplatz zu bekommen. Zwar war das Studium häufig etwas larifari und man wurde schlechter auf die Berufswelt vorbereitet, aber wir haben sehr von der persönlichkeitsbildenden Freiheit profitiert, die wir uns durch den geringeren Lernaufwand gönnen konnten.“
Susanne Pavlik (18), BWL B. Sc., 1. Semester
„Damals ließen es die Umstände eher zu, nicht so wirtschaftlich und karriereorientiert zu denken wie heute. Es ist positiv, dass man jetzt verstärkt versucht, durch Wirtschaftsorientierung in der Globalisierung mitzuhalten. Das wird schon im Studium vermittelt. Andererseits war damals die Ellenbogenmentalität noch nicht so verbreitet. Man konnte sich gegenseitig mehr gönnen. Ich fände es zwar gut, wenn alles etwas softer wäre, aber wenn alle anziehen, muss man eben mitziehen. Die Reform hat ein realitätsnahes und schnelleres Studium ermöglicht.“
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