Xing – Big Data oder ernsthafter Berufsvermittler?

Ein Selbstversuch

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Text: Katharina Pfadenhauer, Illustrationen: Natalia Sanderson

Schon klar, die Arbeitswelt wird immer bunter, verzweigter und individueller. Dem sollte man gerecht werden. So betont es zumindest Xing-Vorstandschef Thomas Vollmoeller regelmäßig. Man tut gut daran, die eigenen Präferenzen, Referenzen und sein Können in den Vordergrund zu rücken. Auf sich aufmerksam zu machen, in dieser riesigen Flut von Durchstartern, Berufsanfängern, Konkurrenten und Bewerbern. Ich kenne dieses Prinzip – oder sollte ich, die ich mich mit bestem Wissen und Gewissen zur Generation Praktikum zähle, vielleicht eher sagen: Ich kenne unser Dilemma?!Damit meine ich unseren Frust, immer mehr und gleichzeitig neben dem Studium leisten zu müssen, um die Karriereleiter mühselig, Sprosse um Sprosse, empor zu klimmen. Wir, das ist eine Schwemme junger Leute mit guter Ausbildung, Berufserfahrung durch zum Teil unbezahlte Praktika und Zusatzreferenzen, die nach Jobs suchen und dabei versuchen, sich gegenseitig zu übertrumpfen.

Aber muss es so weit gehen, dass dieses „sich beruflich in Szene setzen“ virtuell stattfindet, für jeden sichtbar? Und wenn ja – klappt das überhaupt? Nach dem Motto irgendwann wird man entdeckt und bekommt den Job aller Jobs angeboten, nachdem sich Personaler prospektartig im Internet durch unsere Profile geklickt haben. Ich habe meine Zweifel und bisher auch nicht besonders viel davon gehalten. Dennoch starte ich den Selbsttest, vielleicht wird er mich überraschen.

Xing als soziales Netzwerk ist immerhin international, also in 16 Sprachen verfügbar, darunter Chinesisch, Japanisch und Polnisch. Es sollte also beruflich nicht an einer weltweiten Vernetzung und Internationalität scheitern. Und ob mehr als 14 Millionen Mitglieder so falsch liegen können? Schließlich richtet sich das 2003 gegründete Xing im Gegensatz zu anderen virtuellen Communitys explizit an Menschen, die berufliche Kontakte pflegen wollen – und bietet damit einen Mehrwert für jeden. Oder nicht?

Profil anlegen: Showlaufen der Karrieristen

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Die ersten Schritte sind schnell gemacht. E-Mail-Adresse und Passwort eingeben, anmelden und los geht’s – mein eigenes Profil anlegen. Anfangs macht es tatsächlich Spaß am eigenen Lebenslauf herumzufeilen, ihn aufzuhübschen. Fein säuberlich liste ich mein bisheriges berufliches und ausbildungstechnisches Leben auf: Praktika, Arbeitserfahrung, Studienabschluss – um am Ende auf einen konsistenten, schönen und bunten Werdegang zu blicken. …weil Xing ihn als gelben Strahl mit verschieden großen Kreisen, die meine Berufserfahrungen monatsgenau symbolisieren, präsentiert. Sieht toll aus, denke ich mir, und so übersichtlich. Das ist ein bisschen wie „Einkaufsladen spielen“ für Erwachsene: Seine eigenen Produkte in die Auslage stellen und warten bis einer von den Großen zulangt.

Aber schon beim zweiten Hinschauen und einigen Stalking-Besuchen später kommt die Ernüchterung: So sehr hebt sich mein Profil wirklich nicht von der „Konkurrenz“ ab, eher 0-8-15. Aber es gibt ja noch Felder wie „eigene Interessen“, „ich biete“ oder „ich suche“, in die man kreative Dinge schreiben kann – naja, morgen vielleicht.

Sammelbecken polierter Profile und konzerndienlicher Daten

Ich klicke zurück auf meine Startseite, um zu sehen, ob sich irgendwas getan hat. Hat mich jemand angeklickt oder hat mir gar irgendein Lokalchef einer Tageszeitung geschrieben? Nein, gähnende Leere. Aber dafür spicht Xing jetzt höchstpersönlich zu mir: „Ihr Profil wurde nicht aufgerufen – mit einem aktuellen und vollständigen Profil machen Sie auf sich aufmerksam.“

Schwerpunkt: Internet

Auch wenn wir es mit der NSA und anderen Datensammlern teilen müssen: Das Internet bleibt unser Zuhause. Wir essen und schlafen vorläufig noch analog, aber sonst findet unser Leben zunehmend im Netz statt. Darum widmet die presstige-Redaktion dem Internet einen Schwerpunkt. Alle bisher erschienenen Beiträge sind hier gesammelt.

Herzlichen Dank! Ich bekomme das Gefühl, regelrecht zur Selbstdarstellung gezwungen zu werden und schaue noch einmal über mein Profil. Unter einem eigenen Reiter könnte ich sogar noch Bilder und Texte zur Selbstbeschreibung einfügen oder Bewerbungsunterlagen, Auszeichnungen, Qualifikationen und Referenzen wie Studienprojekte als PDF-Datei hochladen. Mache ich aber nicht. Ist mir zu persönlich oder gar nicht existent.

Aber ich kümmere mich um meine Kontaktliste, nachdem mich Xing auch diesbezüglich unmissverständlich auffordert: „Verknüpfe dich mit Leuten.“ Die ersten Kontakte, die mir Xing vorschlägt kenne ich allerdings nicht oder will sie nicht kennen. So ganz klappt‘s mit der absoluten Überwachung und Durchschaubarkeit noch nicht.

Schon am zweiten Tag kommt in mir die Skepsis wieder hoch: Jegliche Ecken und Kanten werden in so einem Profil ja glatt poliert. Man erscheint so, wie man erscheinen möchte. Ist es das wert, diese ganze Selbstdarstellerei? Nur damit Google, diverse Online-Versandhändler und potenzielle Arbeitgeber mein Profil kennen. Mich besser und schneller einschätzen können und – wie es im Volksmund heißt – zum gläsernen Menschen machen, indem sie beispielsweise meine Daten zur Bewertung der Bonität als möglicher Kreditkunde nutzen? Denn Hand aufs Herz: All diese Profile mit ihren Angaben über Werdegang, Lebensgewohnheiten und Hobbies sind in Wahrheit doch hochexplosive Datensammlungen. Ein großer Datenhafen – das Korsett „Big Data“, in das man eingeschnürt wird.

Vernetzung und nützliche Infos mit wenigen Mausklicks

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Dennoch: Ich will nicht nur voreingenommen und trotzig sein, sondern dem Ganzen etwas Positives abgewinnen – deshalb habe ich mich schließlich angemeldet. Und das gelingt mir nach einiger Zeit sogar. Ich bin jetzt seit circa einem Monat bei Xing registriert und stelle fest, dass man eine gute Übersicht über aktuelle Jobs oder Projekte bekommt, die dank Filter und Branchenzugehörigkeit sehr übersichtlich sortiert sind und die man in der Internetwüste so vermutlich nicht oder nicht so schnell gefunden hätte. Doch wer bei Xing, wie bei allen anderen sozialen Netzwerken auch, durchblicken will, braucht Zeit.

Da ich die über Weihnachten hatte, habe ich mir auch verschiedene Gruppen angeschaut.  Selbst wenn ich denen nicht gleich beitreten bin, sondern sie nur durchstöbert habe, konnte ich die Gruppen durch die Funktion „Merken“ jedes Mal gleich wiederfinden. Mir ist aufgefallen, dass dort durchaus kompetente Diskussionsbeiträge zu bestimmten Themen in Umlauf sind und man Neues erfährt. Beispielsweise Infos über Unternehmen inklusive deren Mitarbeiter oder Tipps zur Vermarktung von Büchern, wen es interessiert. Für mich ein weiterer Pluspunkt.

Auch bezüglich Networking erscheint mir Xing mehr zu sein als nur eine Fundgrube für Headhunter. Denn Xing bedeutet unkompliziertes Vernetzen. Man findet Leute, die man einmal in einem Praktikum kennengelernt hat (und die vielleicht mal wieder nützlich sein könnten oder bei denen es zumindest nett ist, mit ihnen virtuell und auf einer nicht ganz so persönlichen Ebene, wie es Facebook ist, in Kontakt zu stehen). Diverse Erfahrungsberichte über absolvierte Praktika später weiß ich, wo ich mich auf keinen Fall bewerben möchte.

Sogar als ich mir die Mühe mache und mir die vermeintlich nervigen Xing-E-Mails anschaue, war der anfängliche Argwohn etwas verflogen: Zwar sind die nichts anderes als Newsletter, jedoch gespickt mit brauchbaren, branchenspezifischen Neuigkeiten und einer Übersicht nationaler und internationaler Pressebeiträge, sodass es doch interessant ist, einmal drüber zu lesen.

Mein Fazit: Interpersonelle Kommunikation sticht virtuelle

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Zwar bin ich nach gut eineinhalb Monaten außer von Bekannten von niemandem sonst angeschrieben worden, allerdings ist das vielleicht der Branche geschuldet. Headhunter grasen sicherlich den Wirtschaftssektor eher ab, als den Pool freischaffender Journalisten bzw. Studenten. Auch wenn Xing mir regelmäßig Jobvorschläge via E-Mail zukommen lässt, war bisher leider nichts Brauchbares für mich dabei.

Xing ist ein netter Zeitvertreib, bei dem man das Gefühl bekommt, etwas Produktives für seine Karriere zu tun und einem möglichen Job etwas näher zu kommen. Es bietet gute Anreize, kann gewiss manche Entscheidung erleichtern und eine Fährte zum nächsten Job darstellen.

Für ein effizientes karrieretechnisches Vorankommen erscheint es mir allerdings nur mäßig sinnvoll, da berufliche Kontakte nach wie vor persönlich geknüpft werden. Letztlich sind, neben den Referenzen, immer noch Körpersprache und individueller Habitus, also das Kennenlernen als solches, beim Kontaktknüpfen und Bewerben entscheidend. Und die Stellen, die begehrt sind, werden auch in Zukunft begehrt und rar bleiben! Daran wird mit relativer Sicherheit auch das Web 2.0 nichts ändern.

2 thoughts on “Xing – Big Data oder ernsthafter Berufsvermittler?”

  1. Hallo Frau Pfadenhauer,

    ein sehr guter Artikel, mit welchem Sie mir direkt aus der Seele sprechen.

    Ich bin seit 2008 bei xing und habe zeitweise viel gepostet, gemacht und getan.
    WENN ich nun nicht qualifiziert genug für potenzielle Interessenten wäre ODER schon zu alt (dass Alter und Erfahrung ZUSAMMEN gehören, scheint auch nicht im Bewusstsein der Entscheider zu sein, doch das ist ein anderes Thema), dann würde ich das akzeptieren, jedoch sehe ich anhand der Xing-Newsletter, dass oft 0 (Null) NEUE Besucher auf mein Profil waren.
    Ich bin quasi gar nicht da!

    Und jetzt?
    Ich kann im Profil eingeben was ich will, keiner kommt gucken.
    Teilweise habe ich wieder einiges rausgenommen, weil es mir, wie Sie auch schon geschrieben haben, einfach auch zu persönlich war.

    Die IT-Branche leidet angeblich unter Facharbeitermangel…. wohl auch mehr ein Gerücht, als die Realität… genauso wie eben auch, dass “man” XING für irgendwas braucht…. leider. Das IT-Menschen auch in der virtuellen Welt gesucht werden, schien mir irgendwie logisch und nahe liegend…. scheint jedoch eine Fiktion zu sein.

    Ich bin eher stark ernüchtert… ETWAS mehr hatte ich mir von xing schon erwartet, ist es angeblich so sehr auf Business-Kontakte optimiert. Enttäuscht bin ich jedoch nicht, denn der Täuschung, Dinge zu finden welche ich nicht auch woanders finde, bin ich von Anfang an nicht erlegen. So weiß ich auch aus eigener Erfahrung (vor und hinter den Kulissen der ganzen Plattformen), dass es einfach viel zu viele Plattformen im Netz gibt.

    Ich glaube einfach, dass viele Entscheider schon erschöpft sind, wenn sie nur ihre “Kataloge” durchgeblättert haben… to much…. zu viel…
    Es bleibt, wie in vielen anderen Bereichen auch, ein System für Headhunter und mit denen habe ich es nicht so…. denn dafür kann ich mich auch direkt in DEREN Datenbanken transparent aufnehmen lassen und xing, google+, facebook (Fanpages) und Co. verlieren dadurch ihren Bestimmungszweck.

    Naja, es ist wahrscheinlich nur ein Abbild unserer Gesellschaft und der damit verbundenen Wirklichkeit, dass vieles nicht soooo genau genommen wird, vieles sehr oberflächig und schnelllebig geworden ist und es scheinbar genug “Ware” gibt. Nicht nur in unseren Kaufhäusern, sondern auch auf den Arbeitsmarkt.
    Anders kann ich mir nicht erklären, warum so viele Menschen im Netz (nicht nur bei xing) nur äußerst schwer einen Job / Auftrag /etc. in diesen virtuellen Welten mit ihren ach so tollen Funktionen finden.

    Es ist wie es ist… und es liegt an uns selbst, wie viel und was wir von all diesen tollen Lobpreisungen der Plattform-Chefs (Werbung) und anderen selbst ernannten Experten glauben möchten.
    Bei mir geht es längst nicht mehr um Einschätzungen, Glauben oder ähnlichem, sondern um eigene ERFAHRUNGEN, welche belegen, dass die bunten Werbeversprechen der Macher nicht ansatzweise eingehalten werden.

    “Ich gehe nach XY, ich bin doch nicht blöd….” 😉

    Ihnen wünsche ich viel Glück in den virtuellen und realen Ebenen unserer Welt und freue mich vielleicht bald mal wieder einen neuen Artikel von Ihnen zu lesen.

    Herzliche Grüße,
    von Ralf Becker

  2. Pingback: Illustrating a magazine | by Natalia Sander

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