Drei Fragen zur Europawahl

Wenn man sich gerade so auf den Straßen umschaut, hängen mal wieder überall Wahlplakate. Nach den Bundestagswahlen im Herbst 2017 und den bayerischen Landtagswahlen letztes Jahr stehen dieses Jahr die Europawahlen an – am 26. Mai, also in elf Tagen. Immer stärker greift die Europäische Union in die Lebensbedingungen der Menschen in ihren Mitgliedsländern ein, und dennoch ist die Wahlbeteiligung konstant ganz schön niedrig: bei den letzten Wahlen lag sie immer unter 50%. Und dem aktuellen RTL/ntv-Trendbarometer zufolge hielten in Deutschland im April 2019 sogar nur 12% die Europawahl für ein wichtiges Thema. Weil ich mich zu diesen 12% definitiv dazuzähle und den Eindruck habe, dass das Ergebnis des Trendbarometers auch damit zusammenhängt, wie undurchsichtig und “weit weg” die EU, ihre Institutionen und Regeln einem oft erstmal vorkommen, hier ein Versuch, das Thema für euch anhand von drei Fragen aufzuschlüsseln.

1. Wen genau wählt man eigentlich?

Bei den Europawahlen wird in allen (noch) 28 Mitgliedsstaaten der EU das europäische Parlament gewählt. Die Anzahl der Abgeordneten, mit der ein Land im Parlament vertreten ist, richtet sich proportional nach der Einwohnerzahl der Mitgliedsstaaten. Deutschland erhält in der kommenden Legislaturperiode, genau wie auch schon in der letzten, 96 der insgesamt 751 Sitze.

Anders als bei der Bundestagswahl, hat jede*r Wähler*in nur eine Wahlstimme zu vergeben – und darf sich dabei auch nur zwischen den 40 deutschen Parteien, die zur Europawahl antreten, entscheiden. Parteien aus anderen Ländern kann man, zumindest bislang, nicht wählen. Jede Partei musste bis März eine Liste mit Abgeordneten aufstellen, die sie ins Europaparlament schicken möchte. Während die meisten Parteien eine Bundesliste haben, also eine einheitliche Liste für ganz Deutschland, hat die CDU/CSU für jedes Bundesland eine eigene Liste aufgestellt – die CSU tritt natürlich nur in Bayern an. Jede Liste, ob Bundes- oder Landesliste, wird angeführt von einem oder einer Spitzenkandidat*in. Manche Parteien, wie beispielsweise Die Grünen, haben zwei Spitzenkandidaten gewählt: eine weibliche und einen männlichen. (Die Listen der Parteien kann man hier einsehen.)

Die Sitzverteilung erfolgt dann schließlich nach den Grundsätzen der Verhältniswahl, sprich: Je mehr Stimmen eine Partei erhält, desto mehr Kandidat*innen von der Liste schickt sie ins Europaparlament. Die 5%-Hürde gibt es bei der Europawahl seit 2009 nicht mehr, sodass eine Partei bereits ab ca. 0,7% der bundesweiten Stimmen einen Sitz für die erste Person auf ihrer Liste erhält. Allerdings wird die Sperrklausel-Pflicht bei der EU-Wahl 2024 oder 2029 wohl wieder gelten. 

Soweit, so gut. Jetzt wird es aber noch etwas verwirrender, denn seit den letzten Europawahlen gibt es nicht nur nationale, sondern auch europaweite Spitzenkandidaten. Diese Kandidaten repräsentieren dann nicht nur die einzelnen Bundesparteien, sondern die gesamte Fraktion, der eine Partei angehört. Von diesen Fraktionen gibt es im EU-Parlament aktuell acht, die stärkste unter ihnen ist in der auslaufenden Legislaturperiode die konservative „Fraktion der Europäischen Volksparteien“ (EVP), der auch die CDU/CSU angehört. Ihr Spitzenkandidat ist diesmal ein Bayer, nämlich Manfred Weber von der CSU. Die europaweiten Spitzenkandidat*innen sind insofern wichtig, weil sie traditionell die Position der Fraktionsführenden im Parlament einnehmen. Außerdem wird unter ihnen der nächste Präsident oder die nächste Präsidentin der EU-Kommission ausgewählt. Sollte die EVP also wieder stärkste Kraft werden, wonach es laut Wahlprognosen gerade stark aussieht, dann hätte Manfred Weber gute Chancen auf diesen Posten. Da hat allerdings der europäische Rat auch noch ein Wörtchen mitzureden, wenn er sich querstellt, dann geht nichts. Womit wir bei der nächsten Frage wären.

2. Parlament, Rat, Kommission – wer macht was in Europa?

Das Parlament ist die einzige direktdemokratisch gewählte Institution der EU, das heißt eure Stimme bei der EU-Wahl kann dessen Zusammensetzung direkt beeinflussen. Es ist an der Gesetzgebung und am Haushalt beteiligt und hat außerdem eine wichtige Kontrollfunktion. Genauer gesagt kontrolliert das Europäische Parlament die Arbeit der EU-Kommission: Zum einen kommt der Kommissionspräsident aus dem Parlament – der Spitzenkandidat der stimmstärksten Fraktion wird vorgeschlagen und muss vom Europäischen Rat bestätigt werden –, zum anderen muss es die vom Europäischen Rat vorgeschlagenen Kommissionsmitglieder für die jeweilige Legislaturperiode, also die EU-Kommissare, absegnen. Es kann zwar keine einzelnen Mitglieder ablehnen, allerdings die gesamte Vorschlagsliste. Das kam bislang jedoch noch nie vor. Wenn die EU-Kommission dann steht und ihrer Arbeit nachgeht, muss sie dem Parlament regelmäßig Bericht erstatten. Falls Arbeit und Vorhaben der Kommission dem EU-Parlament suspekt sind, kann es sein Misstrauen aussprechen und die gesamte Kommission so zum Rücktritt zwingen. Das ist tatsächlich schon einmal vorgekommen, nämlich im März 1999.

Das EU-Parlament in Brüssel. Einen zweiten Sitz hat es in Straßburg. Bild: pixabay

Was den Haushalt und die Gesetzgebung angeht, ist das EU-Parlament gleichberechtigter Partner mit dem Rat der Europäischen Union. Erstmal ist es wichtig, letzteren nicht mit dem Europäischen Rat  zu verwechseln:

 Im Europäischen Rat sitzen die 28 Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer (also für Deutschland zurzeit Merkel) und es gibt zusätzlich einen Präsidenten, der kein nationales Amt ausüben darf  und nicht stimmberechtigt ist, er ist eher Moderator und Koordinator (seit 2009 Donald Tusk). Der Europäische Rat bestimmt, wie es so schön floskelhaft heißt, „allgemeine politische Zielvorstellungen der EU“ und ist wie oben beschrieben an der Zusammensetzung der Kommission beteiligt. An der Gesetzgebung wirkt er, anders als der Rat der Europäischen Union (auch Ministerrat genannt) und das Europäische Parlament jedoch nicht direkt mit.

Den Rat der Europäischen Union (Ministerrat) gibt es eigentlich zehnmal. Das heißt es gibt derzeit zehn unterschiedliche Themengebiete, auf denen sich ein Rat an je 28 zuständigen Ministern, aus jedem Land einer, gebildet hat. Wenn es um Fragen zur Landwirtschaft geht, kommen beispielsweise die Agrarminister der Mitgliedsstaaten zusammen.

Jedes neue Gesetz sowie der Haushaltsplan der EU muss vom zuständigen Ministerrat sowie vom EU-Parlament abgesegnet werden. Die Abstimmungen dazu im EU-Parlament sind in der Regel transparent, das heißt, man kann sehen, wer wie abgestimmt hat. Weil die Abstimmungsergebnisse auf der Seite des Parlaments aber in einem relativ schwer verständlichen Juristen-Deutsch aufgelistet sind, hat die NGO abgeordnetenwatch auf ihrer Internetseite die Ergebnisse einiger wichtiger Abstimmungen sehr übersichtlich dargestellt. Außerdem kann man dort Fragen an EU-Parlamentarier stellen, die diese selbst beantworten können.

Neue Gesetze vorschlagen dürfen Parlament und Ministerrat allerdings nicht, sie können lediglich die Kommission dazu auffordern, einen Vorschlag auszuarbeiten. Denn das alleinige Initiativrecht hat die EU-Kommission. Sie setzt sich zusammen aus 28 Kommissaren, inklusive dem Kommissionspräsidenten (aktuell noch Jean-Claude Juncker). Jedes Land entsendet einen Kommissar bzw. eine Kommissarin, der oder die dann für ein bestimmtes Themengebiet zuständig ist. Für Deutschland sitzt momentan Günther Oettinger als Kommissar für Haushalt und Personal in der EU-Kommission. Sollte Manfred Weber tatsächlich Kommissionspräsident werden, dann dürfte Deutschland in der kommenden Legislaturperiode keine*n weitere*n Kommissar*in mehr vorschlagen.

Neben der Initiierung von Gesetzen soll die Kommission zusätzlich dafür sorgen, dass sich alle Mitgliedsstaaten, und auch Unternehmen, an die Regeln halten. Ist das nicht der Fall, dann kann sie Bußgelder verhängen. Kritisch ist dabei natürlich, wenn die EU-Kommissare enge Lobbykontakte zu den Unternehmen haben, die sie eigentlich sanktionieren sollten, und so Interessenskonflikte entstehen.  Zwar gibt es seit 2011 ein Abkommen, nach welchem jegliche Lobbykontakte auf EU-Ebene in einem Transparenzregister veröffentlicht werden müssen. Die NGO lobbycontrol weist in ihrem neu veröffentlichten EU-Lobbyreport jedoch auf eine große Unausgewogenheit hin. Die EU-Kommission trifft sich deutlich öfter mit Unternehmen als mit Vertreter*innen der Zivilgesellschaft. Beispiel: Die Expertengruppe, die die EU-Kommission dabei unterstützen sollte, realistischere Abgastests für Fahrzeuge zu entwickeln, bestand zu 70 Prozent aus Vertreter*innen der Automobilindustrie. Um die EU-Kommission volksnäher und demokratischer zu gestalten, müsste noch einiges passieren!

Die EU-Kommission in Brüssel. Bild: pixabay

3. Was sind wichtige Themen bei der diesjährigen EU-Wahl?

Im Angesicht des Rechtsrucks der letzten Jahre, scheint es besonders wichtig, dieses Jahr wählen zu gehen. Aktuellen Umfragen zufolge könnte etwa die rechtsradikale Fraktion ENF (Europa der Nationen und der Freiheit), zu der beispielsweise Marine Le Pen gehört, ihre Sitze in der kommenden Legislaturperiode nahezu verdoppeln. Auch die AfD holte bei der Europawahl 2014 nur 7,1% der Stimmen – dieses Jahr wird ihr Ergebnis wohl zweistellig. Das ist deshalb ein besonders wichtiges Thema bei der EU-Wahl, weil viele rechte Parteien für eine Auflösung der EU bzw. für einen Austritt Deutschlands eintreten. Einige AfD-Mitglieder plädieren zum Beispiel für einen „Dexit“. Drastisch formuliert geht es dieses Jahr also nicht nur um die Besetzung des EU-Parlaments, sondern für den Erhalt der EU an sich.  

Dass Parteien aus dem rechten Spektrum seit 2014 so zugelegt haben, liegt wohl vor allem an einigen Schlüsselereignissen, die sich seitdem zugetragen haben. Wie der „Flüchtlingswelle“ 2015. Auch das wird bei dieser Wahl und in der kommenden Legislaturperiode ein wichtiges Thema für die EU: Wie geht man mit Migration um? Konkreter: Sollte die EU private Seenotrettungsinitiativen im Mittelmeer, wie zum Beispiel seawatch, unterstützen? Soll am Flüchtlingsabkommen mit der Türkei festgehalten werden? Und wie sollen Asylsuchende auf die Mitgliedsstaaten verteilt werden?

Wie die verschiedenen Parteien zu diesen Fragen stehen, kann man im Wahl-O-Mat nachlesen, wo man die Antworten dann jeweils mit seinen eigenen abgleichen kann. Außer den Fragen zur Migration finden sich dort viele Fragen zum Umweltschutz, ein weiteres wichtiges Thema bei der diesjährigen Europawahl. Dabei geht es dann etwa darum, welche CO2-Ziele sich die EU setzt, ob vorrangig Bio-Landwirtschaft gefördert werden sollte und wie sich die EU zu Gentechnik positioniert. 

Und bei der Positionierung der EU zu diesen und allen anderen Themen spielt das Europäische Parlament, das am 26. Mai gewählt wird, eine entscheidende Rolle. Denn auch wenn das Parlament kein Initiativrecht hat, kann doch kein EU-Gesetz ohne dessen mehrheitliche Zustimmung erlassen werden. Deswegen ist es, trotz offensichtlichem Demokratiedefizit der EU, wichtig, aus wem sich das EU-Parlament zusammensetzt – und wir haben das Privileg, das in elf Tagen mitzuentscheiden.