Gibt es überhaupt ein Christkind?

Der Mann kam nach Hause, setzte sich in seinen Sessel und las die Zeitung. Der Fernseher flimmerte, der Junge war in seinem Sitzsack versunken und konzentrierte sich auf das Spiel in seinem Handybildschirm. Draußen war es dunkel, der Regen prasselte gegen die Scheiben, ein kalter Wind zog durch die Straße, welche alle fünf Minuten ein Amazon-Lieferwagen hinuntersauste. Das gelbe, weiche Licht der Stehlampe wärmte den Raum und im Kamin flackerte das Feuer. 

Der Mann legte die Zeitung weg, betrachtete den Jungen eine Weile und fragte dann: „Hast du dem Christkind schon einen Brief mit deinen Wünschen geschrieben?“  

Noch über das Handy gebeugt gab der Junge ein leises „Nein“ von sich. 

„Warum denn nicht?“ 

„Nerv nicht, ich muss mich konzentrieren sonst verliere ich!“ 

„Aber willst du denn nicht, dass dir das Christkind etwas bringt?“ 

Stille. Der Mann klappte wieder seine Zeitung auf. Der Junge spielte weiter. 

„Mist, verloren! Gibt es überhaupt ein Christkind?“ 

„Aber wenn es kein Christkind geben würde, wer würde dann deine Geschenke bringen?“ 

„Die kaufen die Eltern!“

„Und warum tun die Eltern das?“ 

Nun hob der Junge den Kopf und sah seinen Vater verständnislos an. „Was?“ 

„Warum kaufen die Eltern den Kindern zu Weihnachten Spielsachen?“ 

Keine Antwort. Der Vater stand auf, setzte sich neben den kleinen Jungen auf den Boden und nahm sein flimmerndes Kästchen. „Das ist vom vorigen Jahr. Das Christkind hat es dir gebracht. Und jetzt soll es also kein Christkind geben? Weißt du, wer das Christkind eigentlich ist?“ 

„Nein!“

„Weißt du, wie es heißt?“ 

„Na, Christkind heißt es!“ 

„Nein. Du kennst doch die Geschichte, wie es geboren worden ist. Mit der Krippe und den Hirten und den drei Königen aus dem Morgenland?“

„Ja!“

„Und was ist später mit dem Kind geschehen?“ „Keine Ahnung!?“ 

„Hast du nie etwas von dem Mann auf dem Kreuz gehört? Jesus von Nazareth?“ „Ja, schon!“ 

„Der Jesus. Das ist das Christkind. Und er ist auch der Liebe Gott. Das Christkind ist also der Liebe Gott. Hast du das noch nicht gewusst?“ „Nein!“

„Aber der liebe Gott ist kein alter Mann mit langem Bart, sondern ein Kind. Aber er ist kein Mensch, er ist ein Geist, und Geister kann man ja nicht sehen, oder?“ 

„Geister kann man nicht sehen.“ 

„Das Christkind ist also ein unsichtbarer Geist. Und das Christkind kann auch nichts einkaufen und nichts tragen, weil es ja keine Arme hat und nicht sprechen kann. Deswegen glaubst du, weil du das Christkind nicht sehen kannst, gibt es kein Christkind. Aber glaub mir: Es gibt das Christkind!“ 

Der kleine Junge drehte sich vom Vater weg und beobachtete des Feuer. Ein Amazon-Kurier raste durch die Straße. 

„Das Christkind ist der Liebe Gott und hat alle Kinder sehr lieb. Es spricht auch zu den Menschen, nur hört man es nicht laut, sondern in sich drinnen. Und einmal im Jahr, zu seinem Geburtstag, da spricht es mit den Eltern und bittet sie, dass sie ihren Kindern etwas schenken sollen, weil es das ja nicht tun kann. Und die Eltern hören das Christkind und kaufen Geschenke. Sie schmücken den Baum und legen die Geschenke darunter und dann läuten sie mit einer Glocke.“

„Aber wenn man es nicht sehen kann?“ 

„Man spürt es. Man spürt es immer, wenn man zu einem Menschen gut ist und ihn gern hat. Wenn jemand böse ist, dann weint das Christkind. Wenn du gut zu jemandem bist, dann freut es sich und das spürst du. Und wenn du lieb warst, dann erfüllt dir das Christkind auch alle deine Wünsche. Also schreib deinen Brief an das Christkind.“

Der Vater stand auf um dem Jungen ein Blatt Papier und einen Stift zu holen. 

„Mit Papier und Stift?“

„Ich werde das dann mit dem Christkind besprechen und wenn du brav warst, dann liegen viele Geschenke unter dem Christbaum.“ 

Der Vater klappte wieder seine Zeitung auf. Der Junge malte die Buchstaben langsam auf das Papier. Es war Abend, draußen regnete es, die Amazon-Kuriere rasten vorbei. Das Weihnachtsfest und ein neues Jahr standen vor der Tür wie jedes Jahr und wie noch viele weitere Jahre. Und immer wird es Kinder geben die fragten ob es das Christkind überhaupt gebe. Die Antwort darauf wird immer schwierig sein, weil für die Menschen eben nur die Geschenke sichtbar sind, nicht die Liebe. 

Es läutet, bepackt mit Paketen stand der Amazon-Kurier vor der Tür.

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