Wer liefert so spät bei Nacht und Wind?

Ein Kurierfahrer sucht den schnellsten Weg heraus. Er oder Sie scheint erst vor Kurzem Angefangen zu haben. Profikurierfahrer kennen die Stadt und ihre Straßen besser als ihre eigene Hosentasche. ©pixabay

17.14 an einem kalten, verregneten Tag im Januar.

„An dieser Stelle werden wir dann nächste Woche fort…“ Kaum ist das letzte Wort des Dozenten gesprochen geht es schon im Eilschritt Richtung Tram. Die Tram ist voll, war erwartbar. Bisschen Quetschen, dann sollte es schon gehen. Die Zeit rennt, 18 Uhr ist Schichtbeginn. Kurz nach Hause, vielleicht noch etwas essen, kurzer Plausch mit der Mitbewohnerin, warm einpacken und gleich wieder weiter mit dem Rennrad. Ein eisiger Wind weht, als ich die Konrad-Adenauer-Allee zum Kö hinunter rase. Kurzer Blick auf die Uhr bei der Ankunft in der Fahrerzentrale. 17.58. Aufatmen.

Hinter dem Bildschirm sitzend und dort bereits die Lieferaufträge verteilend erwartet mich schon mein Chef mit einer leicht gereizten Begrüßung. Schnell suche ich mir mein Equipment zusammen, schnalle mir den kastenförmigen Rucksack – vollgekleistert mit Logos und Werbung – auf den Rücken und mache mich nach zwei Minuten wieder auf in die Kälte. In die App, auf welche mir die Aufträge geschickt werden, logge ich mich noch ein und schon kann´s losgehen. Für die nächsten vier Stunden radle ich nun – wie etwa drei bis viermal die Woche – quer durch Augsburg und stille Hunger und Durst der Kunden*innen.

Kaum ein paar Meter gefahren, vibriert das Handy. Schon ist der erste Auftrag da. Mit drei Burgern von Grizzlys im Gepäck geht es nach Pfersee in eine Neubausiedlung. Hausnummer suchen, klingeln. Das Essen dampft noch bei der Übergabe. Der Kunde ist zufrieden, ich um zwei Euro reicher. Nächster Auftrag. Schnell zum Aposto am Rathausplatz. Kurzer Austausch mit einer Kollegin. Relativ viel los heute, erfahre ich. Schon sind die Pizzen fertig und weiter geht´s in die Jakobervorstadt. Ein altes Haus, der Name des Kunden nicht auf dem Klingelschild zu finden. Ein kurzer Anruf ergibt, dass er die falsche Adresse angegeben habe. Kurzes Augenrollen, doch auch die Bestellung kommt noch warm an.

So geht es die nächsten drei Stunden weiter. Langsam frieren die Hände ein. Es wird unangenehm. Um 21 Uhr zieht noch ein Schneeregen durch die Straßen. Die Kleidung ist durchnässt und ein paar Autofahrer meinen mir noch die Vorfahrt nehmen zu müssen. Dies quittiere ich mit ein paar freundlichen Worten und gestikuliere dabei noch etwas mit den Fingern. Der letzte Auftrag um 21.50 stellt sich nun nochmal als Geduldsprobe heraus. Mittlerweile etwas entnervt geht es schnell nach Lechhausen raus, bevor auch diese Schicht ein Ende findet. Nach 11 Aufträgen mit 15 Euro Trinkgeld in der Tasche trotte ich an diesem Abend um 22.30 nach Hause. Insgesamt eine unspektakuläre Schicht. Jetzt erstmal die Kleidung trocknen und Kochen. Morgen Abend geht’s wieder raus.

Vor mittlerweile 20 Jahren wurde die Bestellplattform Takeaway.com – aus der Not heraus kann man sagen – in Amsterdam gegründet. In den letzten Jahren boomte die Branche und auch weitere Dienstleister wie Foodora, Lieferheld oder Deliveroo eroberten mit ihren bunten Fahrradflotten die deutschen Städte. Ende 2018/Anfang 2019 schaffte es Takeaway dann die Konkurrenz größtenteils aufzukaufen und sich als Marktführer zu etablieren. Hier in Augsburg liefern aber nicht nur die orangefarbene Flotte des Marktführers, sondern auch die mintgrünen Gallier angeführt von Raimund Seibold, welcher mit Freunden 2015 den lokalen Lieferservice Boxbote gründete und sein Start-Up als „kleines gallisches Dorf“ im Kampf gegen die Big-Player stilisiert.

Konventionell liefert nur noch der Marktführer. Bei Boxbote werden schon seit Langem nicht mehr nur Essen und Getränke geliefert. Von 11 Uhr bis in die späten Abendstunden können die Kunden*innen eine ganze Palette an Produkten bestellen. Neben dem zünftigen Weißwurstfrühstück von der lokalen Metzgerei können auch sämtliche Drogerieartikel, ausgewählte Bücher oder neuerdings auch Kleidung und Werkzeug geordert werden. Der entscheidende Vorteil zu Amazon &Co. ist dabei die schnelle Lieferung innerhalb einer halben Stunde, weshalb die Boxboten auch mit Blumen oder Geschenkkörben aus der Patsche helfen und mit einem Kasten Riegele-Bier die Hausparty retten können. Das kleine Unternehmen, für welches etwa 30 Fahrer*innen unterwegs sind, besticht immer wieder mit neuen innovativen Angeboten und durch die Zusammenarbeit mit lokalen Partnern. So bietet man seit Kurzem auch Shop&Drop an. Dabei kann man sich seine Einkäufe in der Stadt kostenfrei liefern lassen und ist damit auch die mühsame Schlepperei los.

Auch in diesem Gewerbe existieren arbeitsrechtliche Debatten, in welchen vor allem der Lohn und die Arbeitsbedingungen angeprangert werden. Die Unternehmen locken mit einem Stundenlohn von etwa 12 Euro. Meistens wird etwas über Mindestlohn bezahlt, weshalb eine kleine Rechnung ergeben würde, dass ich an diesem Abend im Januar fast 13 Euro pro Stunde verdient habe. Natürlich gibt es auch Abende mit mehr oder weniger Trinkgeld, aber trotzdem stellt sich die Frage: Lohnt sich das? Einige meiner Kollegen beschreiben den Job als bezahltes Fitnessstudio und als relativ entspannt im Vergleich zu anderen Minijobs. Die Bewegung schafft einen guten Ausgleich zum ständigen Sitzen und die Arbeitszeiten lassen sich sehr flexibel einteilen. Natürlich gibt es auch hier Stoßzeiten, welche mit Stress verbunden sind, und das Wetter… aber sonst kann man sich nicht beschweren. Außerdem lernt man die Stadt von allen ihren unterschiedlichen Facetten kennen. 

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