Was war gut in 2020?

2020 war ein wahrlich bescheidenes Jahr. Voller zerplatzter Träume, unsagbaren Leids und eingeschränkter Freiheiten. Es war und ist nicht einfach, für niemanden. Viele fühlen sich einsam und allein, andere verlieren ihre Existenzen, wissen nicht, wie es weitergeht, gehen bis an ihre Grenzen und darüber hinaus. Jede*r fragt sich, was wirklich wichtig ist, hinterfragt sich und sein*ihr Leben. Auch jetzt, da sich das Jahr dem Ende zuneigt, blicken wir auf das Jahr zurück und versuchen, zwischen all dem Negativen das Positive zu sehen. Denn wir werden noch weiter durchhalten müssen. Was war gut in 2020? Drei Student*innen erzählen von ihren persönlichen Jahreshighlights, davon, was sie berührt hat, und wofür sie dankbar sind.    

Lisa, 23 Jahre, 7. Semester Anwendungsorientierte Interkulturelle Sprachwissenschaft

“2020 ist ein Jahr, das mich vor allem zum Nachdenken gebracht hat. Dadurch, dass ich mich möglichst von allen Menschen distanzieren soll, ist mir bewusst geworden, wie wichtig mir die Menschen sind, die ich liebe. Und ich versuche, meine Beziehungen in Ordnung zu bringen, denn alles kann sich von jetzt auf gleich ändern. Das habe ich durch die Krise verstanden. Jahrelang habe ich keinen wirklichen Kontakt zu meinem Vater gehabt und jetzt telefonieren wir jede Woche. Auch mit meinem Bruder rede ich jetzt wieder öfter und ich treffe mich wieder regelmäßig mit meiner besten Freundin. Ich bete öfter.

© Lisa K.

Und dann sind da noch die vielen coolen Situationen, die aus den Einschränkungen entstehen. Jeder hat plötzlich Zeit und Muße, seine Weihnachtsdeko aufzupeppen. Also sehe ich jeden Abend aus dem Fenster und betrachte die unterschiedlichsten Lichterkettenformationen auf den Balkonen meiner Nachbarn. Ich gehe gerne in die Bibliothek, weil ich mich da ungestört ausbreiten kann und in Socken rumlaufen kann. Das sieht ja sowieso fast niemand. Ich habe meinen Kleiderschrank minimalisiert. Das ist jetzt alles viel übersichtlicher. Ich lese wieder mehr Bücher als früher und ich mache wieder mehr Sport, draußen an der frischen Luft. Letzte Woche konnte ich sogar an einem Schnuppertag für einen Master in Dolmetschen teilnehmen, ohne meinen gemütlichen Homeoffice-Schreibtisch zu verlassen. Ja, ich Technikmuffel habe gelernt, mit den verschiedensten Softwares zu arbeiten. Sei es für Videokonferenzen oder vertonte Präsentationen. Außerdem muss ich mich ganz schön gut selbst organisieren, jetzt wo die Struktur durch die Uni wegfällt. Jede Krise im Leben ist eben auch eine Chance, um Neues zu entdecken und etwas zu lernen.

“Jede Krise im Leben ist eben auch eine Chance, um Neues zu entdecken und etwas zu lernen.”

Es fällt mir durchaus schwer, das Positive in der Krise zu sehen. Aber am Ende des Tages ist das die einzige Sichtweise, die mich weiterbringt. Dieses Jahr hielt nicht einige große, sondern viele kleine Highlights für mich bereit. Ich kann aber auch nicht leugnen, dass ich mit vielen Selbstzweifeln und Rückschlägen kämpfe. Ich schätze, so ist das eben im Leben. Aber ich bin dankbar, dass ich gesund bin und ein Dach über dem Kopf habe. Wie die Zukunft aussieht, das wird sich zeigen.”   

Hasan, 26 Jahre, 1. Semester Deutsch als Zweit- und Fremdsprache und Interkulturelle Kommunikation

“Ein Highlight für mich war, dass ich mein Studium begonnen habe. Ich habe 2017 mit einer Ausbildung zum Heilerziehungspfleger angefangen. Im Laufe der Zeit habe ich mir immer wieder Gedanken gemacht, ob es das ist, was ich mein ganzes Leben lang machen möchte und ich hatte das Gefühl, dass mich das noch nicht ganz erfüllt. Es war mir sehr wichtig, aber ich habe festgestellt, dass es mich aufgrund meiner Vorgeschichte und meiner Vorlieben in Richtung Kulturen zieht. Daher habe ich nach einer Alternative gesucht, nach einem Studium, wo ich zum einen etwas mit Sprachen zu tun habe, weil mir das viel Spaß macht, zum anderen etwas mit Kulturen. Als es darauf ankam und ich zwei Jahre in der Behindertenhilfe gearbeitet habe, dachte ich mir: ja, das macht wahnsinnig viel Spaß und ich habe gewisse Fähigkeiten, mit Menschen mit geistiger Behinderung zu arbeiten, vor allem mit Autisten. Dennoch hatte ich diesen kleinen Traum, etwas zu studieren. Dann hat alles wieder bei null angefangen. Klar, meine Familie war nicht besonders begeistert davon, dass ich mit 26 noch ein Studium anfange, aber für mich ist es nie zu spät. Ich habe schon ein paar Geschichten hinter mir. So ticke ich eben.

© Hasan M.

Ein anderes Highlight war, dass meine Band MHA und ich im März unser Debütalbum veröffentlicht haben. Am 7. März war das Releasekonzert, welches ausverkauft war. Wir haben einen Punkt erreicht, an dem wir dachten: wow, was geht denn hier ab. Und dann kam Corona. Wir konnten nicht mehr proben, aber zum Glück sind wir finanziell nicht darauf angewiesen. Das Schöne ist, wir existieren noch. Wir sind Freunde, wir machen Musik, ich mache für mich zuhause den ganzen Tag Musik. Für mich ist das etwas, wovon ich seelisch lebe. Ich muss es für mich machen, ob mit der Band oder allein. Unser Gitarrist studiert auch DaF/DaZ und er war auch mit ein Grund, warum ich das machen wollte. Wir sind seelenverwandt. Ich teile gerne Sachen mit ihm und wollte auch seine Welt verstehen.

“Wenn ich ihn nicht hätte, wäre ich jetzt nicht da, wo ich bin.”

Ich bin unfassbar dankbar dafür, dass ich die zwei Kerle hab, zum einen eben Mathieu, der jetzt im fünften Semester ist, und zum anderen Franz, auch ein Freund von mir, der jetzt ebenfalls im fünften Semester DaF/DaZ ist. Er hat mir oft geholfen und mich beruhigt, weil ich ein bisschen frustriert war. Wenn ich ihn nicht hätte, wäre ich jetzt nicht da, wo ich bin. Das war sehr berührend, weil ich gemerkt habe, dass er geduldig mit mir ist, dass er mich mag und unbedingt will, dass ich Fuß fasse und nicht aufgebe. Ich war kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Ich habe mich gefragt, ob das jetzt die Uni ist. Onlinemäßig war ich nicht besonders fit, zum einen aufgrund meines Alters, zum anderen aufgrund der Lernkultur, die ich in Syrien hatte. Da lief alles komplett anders. Den Durchblick zu behalten, war schon hart. Ich würde behaupten, dass ich das noch nicht perfekt kann, aber ich kann es überleben. Es ist nicht mehr so schlimm.” 

Amanda, 23 Jahre, 2. Mastersemester Interdisziplinäre Europastudien und Anwendungsorientierte Interkulturelle Sprachwissenschaft

“Das Jahr war für mich grundlegend spannend, weil ich zuvor in Lyon war und einen Europäischen Freiwilligendienst gemacht habe. Dort habe ich mich vor allem mit internationalen Studierenden beschäftigt. Und dann kam ja Corona, was dazu geführt hat, dass ich am 15. März nachts mit der Grenzschließung auf den letzten Drücker zurück nach Deutschland gefahren bin. Denn ich wollte sichergehen, dass ich nicht in Frankreich feststecke, sondern zurück nach Deutschland komme, um dann mein Studium in Augsburg anzufangen. Das war recht schwierig, weil es ziemlich stressig und chaotisch war. Aber zum Glück ging das gut, dass ich den letzten Zug von Paris nach Frankfurt bekommen habe.

© Amanda G.

Ein anderer spannender Faktor war meine Bewerbung für das Masterstudium, oder die Masterstudiengänge, wo es darum ging, für welchen Studiengang ich mich grundsätzlich entscheide und einschreibe. Dann hat es sogar mit beiden Studiengängen geklappt, sodass ich jetzt im Doppelstudium bin. Da ja alles erst mal online angefangen hat, hatte man keine sozialen Kontakte. Ich war bei meinen Eltern und der Umzug hat sich verzögert. Aber ich habe viele neue Eindrücke gewonnen und sehr viel gelernt. Ich fand auch beeindruckend, dass die Professoren quasi mit uns gelernt haben, zumindest den Umgang mit der digitalen Lehre. Das war schon etwas Besonderes, weil uns normalerweise die Professoren auf dem Weg zu unserem akademischen Ziel begleiten. Durch die Pandemie war es eben so, dass wir mit ihnen diesen Weg gegangen sind und man gegenseitig voneinander lernen konnte. 

“Ich habe viele neue Eindrücke gewonnen und sehr viel gelernt.”

Was mich auch bereichert hat, war mein soziales Engagement, da ich Teil von ESN und Teil der Fachschaft ANIS geworden bin. Bei ESN ist da eine deutlich größere Entwicklung zu sehen. Mich interessiert dieses Sprach- und Kulturmilieu sehr, auch der internationale Austausch liegt mir am Herzen. Deshalb hatte ich mich vorher schon sehr engagiert und ich wollte dieses Engagement auch während des Masterstudiums weiterhin aufrechterhalten. Nach nicht mal einem Monat habe ich dann gesagt, dass ich mich für eine Vorstandsposition bei ESN interessiere. Und jetzt bin ich als Local Representative im Vorstand. Meine Kernaufgaben sind vor allem die Kommunikation mit dem nationalen und internationalen Board und die Teilnahme an Plattformen. Ich bin Repräsentantin der Sektion nach außen und für die Zusammenarbeit mit anderen Sektionen und Initiativen zuständig. Da lerne ich jeden Tag sehr viel und das bereitet mir große Freude. Gerade sind zwar nicht so viele internationale Studierende da, aber dadurch können wir uns eher auf die Studierenden aus Augsburg selbst und auch auf die Mitglieder konzentrieren.

“Ich habe mich hier sehr schnell sehr wohlgefühlt.”

Berührt hat mich mein neuer Lebensmittelpunkt Augsburg, dass ich mich hier sehr schnell sehr wohlgefühlt habe. Zum einen wegen dieses lässig lockeren Lebensstils, dass man offen in den Alltag reingeht. Auch generell sind die Menschen hier freundlich, offen und hilfsbereit. Dadurch, dass man hier auch eher duzt als siezt, ist es auch gleich wieder ein bisschen persönlicher. Zum anderen freue ich mich auch, eine neue Stadt kennenzulernen. Ich habe mich hier gut eingelebt und finde es beeindruckend, dass es in Augsburg so viel zu sehen und erleben gibt: das Univiertel mit seinem studentischen Flair, den Siebentischwald mit viel Natur und Wasser und den Kuhsee nebendran, wo man viel unternehmen kann, aber auch die Stadt mit ihren Sehenswürdigkeiten, ihrem Fachwerk, ihrer Architektur. Mich freut auch, dass ich mich für ein internationales Austauschsemester an der Université Laval in Quebec-Stadt in Kanada beworben habe. Das ist jetzt schon spannend, weil im Januar schon die Rückmeldung erfolgt und ich dann schon ein Stück weit in den Vorbereitungen dafür stecken werde.

“Ich habe auch Kontakte mehr zu schätzen gelernt.”

Ich bin dankbar dafür, dass in meinem Freundes- und Familienkreis niemand an Corona erkrankt ist und alle gesund sind. Klar, irgendwie ist man in dem Sinne nicht gesund, dass es einem psychisch nicht so gut geht, jetzt gerade auch unter den Lockdownbedingungen, aber ich meine grundsätzlich, dass man nicht erkrankt ist und sich keine Gedanken um nahestehende Personen machen muss. Natürlich macht man sich auch Gedanken um andere Menschen, die erkrankt sind und im Krankenhaus liegen, aber mir geht es einfach um meine Freunde und meine Familie, dass es ihnen gut geht. Ich habe auch Kontakte mehr zu schätzen gelernt und versucht, die Freundeskreise bestmöglich aufrechtzuerhalten. Dank der digitalen Netzwerke hat das auch funktioniert, dass ich weiterhin in Kontakt bleiben konnte mit den Menschen in der Ferne, die mir am Herzen liegen.”

Dieses Jahr lehrte uns also vor allem, die Menschen, die man um sich hat, wertzuschätzen und dankbar dafür zu sein, dass man gesund ist. Denn das ist nicht selbstverständlich. Besonders jetzt merken wir das überdeutlich. Wir gehen auf Abstand, um uns und andere zu schützen, und doch kommen wir uns näher, weil wir uns alle ähnlich fühlen. Angesichts dieser nie dagewesenen Situation und dieser immerzu neuen traurigen Rekorde. Was uns bleibt, sind die kleinen Momente im Leben, unsere persönlichen Highlights und gemeinsame Zeit mit unseren Liebsten. Denn wenn wir zusammenhalten, entfalten wir ungeahnte Kräfte. Und die werden wir brauchen.

Schreibe einen Kommentar